Einsprachen, Vorstösse, Gutachten, Ausnahmen
15.03.2024 Baselbiet, Nusshof, Verkehr, Sissach, BaselbietTempo 30 auf Hauptstrassen – der Versuch einer Auslegeordnung
Die eidgenössischen Räte haben sich kürzlich gegen Tempo 30 auf verkehrsorientierten Strassen innerorts ausgesprochen. Dies scheint keinen Einfluss auf mehrere zur Debatte stehende Strassenabschnitte im ...
Tempo 30 auf Hauptstrassen – der Versuch einer Auslegeordnung
Die eidgenössischen Räte haben sich kürzlich gegen Tempo 30 auf verkehrsorientierten Strassen innerorts ausgesprochen. Dies scheint keinen Einfluss auf mehrere zur Debatte stehende Strassenabschnitte im Unterbaselbiet und die Prüfung von Temporeduktionen in Sissach zu haben.
Christian Horisberger
Der National- und der Ständerat wollen Tempo 30 innerorts auf wichtigen Strassen erschweren. Eine von beiden Kammern gutgeheissene Motion des Luzerner FDP-Nationalrats Peter Schilliger verlangt eine entsprechende Anpassung des Strassenverkehrsgesetzes. Speziell auf «verkehrsorientierten Strassen» (siehe Kasten unten rechts) soll demnach weiterhin Tempo 50 gelten.
Im Kanton Baselland steht in mehreren Gemeinden eine Temporeduktion auf Kantonsstrassenabschnitten zur Debatte, und im Fall von Maisprach ist diese bereits umgesetzt worden. Muss der Kanton nun die Tempo-30-Schilder in Maisprach wieder einsammeln und die Gesuche und Prüfungsberichte aus zehn weiteren Gemeinden schreddern? «Nein», sagt dazu die Baselbieter Sicherheitsdirektion.
Am heftigsten um Tempo 30 auf Kantonsstrassen gestritten wird im Leimental. Gegen Temporeduktionen auf sechs Strassenabschnitten in Bottmingen, Oberwil und Therwil haben sich die Verkehrsverbände ACS und TCS gewehrt. Nach dem Regierungsrat bestätigte im vergangenen Dezember auch das Kantonsgericht die Verkehrsanordnung der Baselbieter Sicherheits- sowie der Bau- und Umweltschutzdirektion. In wenigen Wochen dürfte das schriftliche Urteil des Kantonsgerichts vorliegen. Dann werden die Kläger entscheiden, ob sie den Fall ans Bundesgericht weiterziehen werden.
Dies werden sie müssen, wenn sie an ihrem Ziel festhalten wollen. Obwohl es sich im Leimental um verkehrsorientierte Strassen handelt, seien diese vom Entscheid der National- und Ständeräte «voraussichtlich nicht betroffen», erklärt Andreas Schiermeyer, Sprecher der Baselbieter Sicherheitsdirektion (SID), auf Anfrage. Dabei verweist er auf Artikel 108 der Signalisationsverordnung (SSV), der die Ausnahmen regelt, das heisst, unter welchen Voraussetzungen die Höchstgeschwindigkeiten herabgesetzt werden können (siehe Kasten unten links). Die Baselbieter Richter hatten ihren Entscheid im Wesentlichen mit dem Lärmschutz begründet.
Nusshof: Tempo 30 überall
Tempo 30 auf Hauptstrassen wünschen sich auch Einwohner von Sissach oder Nusshof. Sissach verlangt vom Kanton aufgrund eines Beschlusses der Gemeindeversammlung eine Prüfung für Temporeduktionen in der Bahnhof-, der Zunzger- und der Rheinfelderstrasse, Nusshof will flächendeckend Tempo 30 im Siedlungsgebiet einführen – also auch auf der Kantonsstrasse im Innerortsbereich.
Für Nusshof sieht es gut aus: Aus Gründen der Verkehrssicherheit geben die Fachstellen des Tiefbauamts und der Polizei grünes Licht für Tempo 30, so SID-Sprecher Schiermeyer. Liege ein Gemeindeversammlungsbeschluss vor, könne das erforderliche Gutachten erstellt und die weiteren Schritte veranlasst werden.
Auch für die Rheinfelderstrasse in Sissach sehen die Fachleute des Kantons die Voraussetzungen erfüllt, um für mehr Sicherheit die Höchstgeschwindigkeit herabzusetzen. Begründung: «Die Situation für Fussgänger ist unbefriedigend. Teilweise hat es keine oder nur sehr schmale Trottoirs oder Gehbereiche. Bei Begegnungsfällen mit Lastwagen wird aufs Trottoir ausgewichen.» Als Nächstes wird ein Gutachten erstellt.
Die Bahnhof- und die Zunzgerstrasse werden von den Experten des Kantons als ausreichend sicher beurteilt, womit für sie hier eine Temporeduktion aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht infrage kommt. Könnte stattdessen wegen zu viel Strassenlärm ein tieferes Tempolimit verfügt werden? Eine Prüfung möglicher Lärmgrenzwertüberschreitungen erfolge erst dann, wenn Erfahrungen über die Akzeptanz bereits verfügter Abschnitte vorliegen, schreibt dazu die Sicherheitsdirektion. Voraussetzung dafür ist ein abschliessendes Urteil zu den Tempo-30-Bereichen in Bottmingen, Oberwil und Therwil. Bis dahin dürfte es noch einige Zeit dauern: Laut Andreas Dürr, Präsident des ACS beider Basel und FDP-Landrat, ist ein Weiterzug des Kantonsgerichtsurteils vor Bundesgericht wahrscheinlich.
Das Votum aus dem Bundeshaus zur Motion Schilliger wertet der Rechtsanwalt aus Biel-Benken als Fingerzeig, dass die Hauptstrassen möglichst offen zu halten und Ausnahmen mit äusserster Zurückhaltung zu erteilen sind. Einen direkten Einfluss auf die hängige Klage sieht Dürr darin nicht. Mehr Wirkung verspricht er sich da von der TCS-Initiative «Tempo 30 auf Hauptstrassen – nur mit Zustimmung des Volkes». Eine Motion mit derselben Stossrichtung hat Dürr im Landrat eingereicht. Die Initiative, deren Rechtsgültigkeit der Regierungsrat bestreitet, und seine Motion lägen gegenwärtig bei der Justiz- und Sicherheitskommission des Landrats.
«Es ist kompliziert», bemerkt Andreas Dürr im Gespräch mit der «Volksstimme» über Tempo 30, Gerichte, Gutachten, Ausnahmen, Vorstösse in Bundesbern und im Baselbiet durchaus treffend. Und es wird noch komplizierter: Der Nationalrat hat am Montag bei der Revision des Umweltschutzgesetzes einen Antrag des Schaffhauser SVP-Nationalrats Thomas Hurter gutgeheissen. Dieser will im Gesetz einen Satz platzieren, der lautet: «Auf verkehrsorientierten Strassen kann die Herabsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit nicht verlangt werden.»
Grundsätzlich Tempo 50, ausser …
vs. Auf Hauptstrassen innerorts gilt generell Tempo 50. Gemäss Artikel 108 der Signalisationsverordnung des Bundes kann die allgemeine Höchstgeschwindigkeit herabgesetzt werden, wenn:
• eine Gefahr nur schwer oder nicht rechtzeitig erkennbar und anders nicht zu beheben ist;
• bestimmte Strassenbenützer eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes bedürfen;
• auf Strecken mit grosser Verkehrsbelastung der Verkehrsablauf verbessert werden kann;
• dadurch eine im Sinne der Umweltschutzgesetzgebung übermässige Umweltbelastung (Lärm, Schadstoffe) vermindert werden kann. Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu wahren.
Verkehrsorientierte Strassen
vs. Als verkehrsorientierte Strassen können sowohl Haupt- wie auch Nebenstrassen gelten. Es handelt sich um alle Strassen innerorts, die primär auf die Anforderungen des Motorfahrzeugverkehrs ausgerichtet und für sichere, leistungsfähige und wirtschaftliche Transporte bestimmt sind. Sie bilden in besiedelten Gebieten das übergeordnete Netz. Der Begriff stammt aus dem Bau- und Planungsrecht und wird auch in der Rechtsprechung verwendet.