«Wir kämpfen nicht gegen die Landwirte»
23.08.2024 Bezirk Liestal, Abstimmungen, Natur, BaselbietEin regionales Komitee wirbt für ein Ja zur Biodiversitätsinitiative, über welche die Schweiz am 22. September abstimmt. Die Stärkung der Artenvielfalt widerspreche den Interessen der Landwirtschaft, der Energiewirtschaft und der Forstwirtschaft nicht.
Janis ...
Ein regionales Komitee wirbt für ein Ja zur Biodiversitätsinitiative, über welche die Schweiz am 22. September abstimmt. Die Stärkung der Artenvielfalt widerspreche den Interessen der Landwirtschaft, der Energiewirtschaft und der Forstwirtschaft nicht.
Janis Erne
Im Talboden zwischen Liestal und Bubendorf: Hier, eingebettet zwischen bewaldeten Hügeln, liegt idyllisch die «Obere Wanne». Das Hofgut gibt es seit dem 18. Jahrhundert und wird in der siebten Generation bewirtschaftet. Dieter Weber und Nadia Graber produzieren allerlei: Kartoffeln, Linsen, Kürbisse, Setzlinge, Jungpflanzen, Eier – und das nachhaltig.
«Ihr Betrieb ist ein gutes Beispiel für eine regenerative Landwirtschaft», sagte Susanne Kaufmann gestern auf dem Hofgut. Kaufmann war beim Ebenrain-Zentrum in Sissach lange Zeit für die Förderung von Biodiversitätsflächen zuständig. Jetzt engagiert sich die Biologin im regionalen Ja-Komitee zur Biodiversitätsinitiative, über welche die Schweiz am 22. September abstimmt.
Auf der «Oberen Wanne» erläuterten sie und ihre Mitstreiter den Medien, warum die Initiative angenommen werden soll. «Für Pflanzen, Tiere, Insekten, Mikroorganismen, Pilze und Bakterien ist es in der Schweiz eng geworden», sagte Kaufmann. Nationalrätin Florence Brenzikofer (Grüne) ergänzte: «Unsere Landschaften und Ortsbilder stehen vermehrt unter Druck. Wir sehen das im Ergolztal, wo sich das Siedlungsgebiet mittlerweile von der Agglomeration um Basel mit wenigen verbliebenen Lücken bis nach Ormalingen erstreckt.»
Zahlen bestätigen diese Aussagen. So sind in der Schweiz mehr als ein Drittel der Tier- und Pflanzenarten gefährdet oder bereits ausgestorben. Rund die Hälfte der Lebensräume ist bedroht. Noch schlechter steht es um die Auen, Moore und Trockenwiesen. Seit 1900 sind 90 Prozent von ihnen durch den Menschen zerstört worden. Auch die Gewässer stehen unter Druck, insbesondere die Bäche, wie Florian Schreier vom Verkehrsverband VCS beider Basel ausführte.
Dem Arten- und Naturverlust in der Schweiz will die Biodiversitätsinitiative entgegenwirken. Sie verlangt, dass der Landschaftsschutz und die Stärkung der Biodiversität in der Bundesverfassung verankert werden. Bund und Kantone sollen «Schutzobjekte» definieren. Dazu gehören gemäss Initiativtext nicht nur Naturlandschaften, sondern auch Ortsbilder und Baudenkmäler. Wie viele Flächen und Bauten unter Schutz gestellt werden sollen, lässt die Initiative indes offen. Ebenso, wie viel Geld dafür aufgewendet werden soll.
Diese Unklarheit stört die Gegner, die sich zu einer breiten Allianz zusammengeschlossen haben. Nein sagen auch einige Gruppen, die bei der Stärkung der Biodiversität und der Bekämpfung des Klimawandels eigentlich eine zentrale Rolle spielen: die Bauern, die Energieunternehmen und die Waldbesitzer. Sie befürchten mehr Schutzgebiete und sehen ihre Interessen gefährdet – sei es bei der Lebensmittelproduktion, beim Bau von alpinen Solaranlagen, Staudämmen und Windrädern oder bei der Holzproduktion.
Andere Parole als Mutterverband
Der Verband Wald Schweiz lehnt die Initiative ab und bezeichnet sie sogar als «schädlich» für die Biodiversität. Dies, weil mehr Schutzflächen die Pflege des Waldes erschweren und die Artenvielfalt darunter leiden würde. «Wald Schweiz» warnt davor, dass der Wald in Zukunft wichtige Funktionen nicht mehr erfüllen könnte. Ohne ausreichende forstliche Eingriffe werde der Wald zu gefährlich für Menschen, um sich dort aufzuhalten. Zudem verliere der Wald seine Schutzfunktion vor Unwetterkatastrophen und werde anfälliger für den Klimawandel, so «Wald Schweiz» in einer Mitteilung.
Anders sieht das Raphael Häner, Geschäftsführer von «Wald beider Basel». Die Sektion hat eine andere Parole als der Mutterverband gefasst und wirbt offensiv für ein Ja zur Biodiversitätsinitiative. Häner sagte, dass die Leistungen, die der Wald erbringt, nebeneinander erbracht werden können. Simon Tschendlik pflichtete ihm bei und bezeichnete die Parolenfassung von «Wald Schweiz» als «Fehleinschätzung». Durch die Förderung der Biodiversität werde nicht weniger Holz produziert, so der Waldenburger.
Für den Chef der Forstbetriebe Frenkentäler und Grünen-Landrat löst die Biodiversitätsinitiative ein Grundproblem der Waldwirtschaft: die Unterfinanzierung der Branche. Weil der Ertrag aus der Holzproduktion sinke und teilweise nur noch einen Sechstel des Umsatzes ausmache, brauche es andere Mittel, um den Wald pflegen zu können. Bei einem Ja zur Initiative würden Gelder zur Verfügung gestellt.
Wie beim Wald, sei die Förderung der Biodiversität auch mit anderen Interessen vereinbar, sagte Doris Vögeli, Co-Präsidentin des Basellandschaftlichen Natur- und Vogelschutzverbands. «Wir kämpfen nicht gegen Landwirte oder Energieunternehmen, sondern wollen gemeinsam Lösungen finden», sagte sie. «Keinen Konflikt» mit der Lebensmittel- und Energieproduktion sehen auch Florence Brenzikofer und Susanne Kaufmann.
Markus Wild, Philosoph und Professor für Tierethik an der Universität Basel, brachte es auf den Punkt: Die Biodiversitätsinitiative stehe für ein «zeitgemässes Bild» des Naturschutzes. «Sie fordert keine eingezäunten Gebiete, die niemand anfassen darf», so Wild. Vielmehr sorge sie dafür, dass die Lebensgrundlagen für künftige Generationen erhalten bleiben. So, dass der Betrieb auf dem Hofgut Obere Wanne vielleicht auch in der achten Generation weitergeführt werden kann.