Südamerikanische Därme und die richtige Mischung
29.07.2025 Bezirk Sissach, Schweiz, Region, Kultur, Baselbiet, NusshofFür Metzger Peter Andrist gehört der «Klöpfer» einfach dazu
Der «Klöpfer» entwickelte sich vom «Kotelett der Armen» zur Schweizer Nationalwurst. Geschäftsführer des «Metzgerhuus», Peter Andrist, erklärt, ...
Für Metzger Peter Andrist gehört der «Klöpfer» einfach dazu
Der «Klöpfer» entwickelte sich vom «Kotelett der Armen» zur Schweizer Nationalwurst. Geschäftsführer des «Metzgerhuus», Peter Andrist, erklärt, warum der «Klöpfer» anspruchsvoller ist, als gemeinhin gedacht wird.
Nikolaos Schär
Es herrscht geschäftiges Treiben in der Kundenmetzgerei Andrist am Rand von Nusshof. Die Räucherkammer ist ausgekühlt, Würste hängen an einem Wagen. Metzger Peter Andrist hat fertig produziert und führt durch die Produktionsräume: «Heute Morgen habe ich Klöpfer gemacht.» Die «Volkswurst», wie er sie nennt, gehört zum kulinarischen Repertoire von Herrn und Frau Schweizer. Rund 160 Millionen Stück landen jährlich – grilliert oder kalt als Teil eines Wurstsalats – in den hiesigen Mägen.
Die Cervelat, wie sie ausserhalb der Nordwestschweiz genannt wird, wird gemeinhin unterschätzt: «Es gibt definitiv einfachere Würste; eine Schweinswurst ist im Vergleich simpel: zerkleinern und abfüllen», sagt Andrist. Zwei Jahre brauchte er, bis er den «Klöpfer» so hinbekam, wie er wollte. Dafür verwendet er zwei Drittel Rindfleisch und etwa ein Drittel Schweinefleisch. Die Gewürzmischung variiert von Metzger zu Metzger – und ist natürlich Berufsgeheimnis. Zwar gebe es Richtlinien, an die man sich halten müsse, doch im Mischverhältnis seien die Metzger frei, so Andrist.
Wer meint, mit der Wurst werde minderwertige Ware an den Käufer gebracht, täuscht sich: Die Zutaten müssen laut Andrist frisch sein und haben Hackfleischqualität. Die Herausforderung bestehe darin, ein konstantes Produkt hinzubekommen, sagt Andrist: «Wenn ich nur ein bisschen mehr Schweinefleisch dazugebe, merkt man das.»
Für die «Klöpfer»-Produktion braucht es laut Andrist Gerätschaften im Wert von rund einer halben Million Franken. Sie ist somit nichts für Hobby-Wurster. Mit dem «Blitz» (Kutter) wird das Fleisch zu Brät zerkleinert, nach dem Abfüllen in die Därme kommt die Wurst für rund eine Stunde in die Räucherkammer. Das Timing ist entscheidend. Damit die Würste das Raucharoma annehmen – Andrist verwendet Buchen-Sägemehl –, müssten sie richtig abgetrocknet sein. Der Rauchprozess verleiht dem «Klöpfer» – neben dem hohen Rindfleischanteil – auch seine typische rötliche Farbe; im Fachjargon spricht man von der «Umrötung». Danach werden die Würste in einem Wasserbad gebrüht. «Die Kerntemperatur sollte um die 72 Grad sein; ein Grad mehr macht die Wurst drei Tage länger haltbar», sagt Andrist.
Die Cervelat hat eine lange Geschichte: Erstmals erwähnt wurde sie im 17. Jahrhundert – damals war sie wegen des Schweinefleischs noch eine teure Delikatesse. Ihre heutige Form erhielt sie im 19. Jahrhundert. Mit der Erfindung des Fleischwolfs wurde es erstmals möglich, das Fleisch zu feinem Brät zu verarbeiten, was dem «Klöpfer» seine kompakte Konsistenz gab. Im Zuge der Industrialisierung und dem Aufkommen getakteter Fabrikarbeit avancierte der «Klöpfer» als reichhaltige Energiequelle zum «Kotelett der Armen». Dank des gestiegenen Wohlstands nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich das einstige «Proleten-Filet» zur echten Volkswurst.
Därme aus Südamerika
Doch bald reichte das inländische Angebot an Rindsdärmen nicht mehr aus, um die Nachfrage zu decken. «Bis in die 1970er-Jahre wurden noch Schweizer Därme verwendet, heute kommen alle aus Südamerika», sagt Andrist. Die grossen Rinderbestände dort sorgen für tiefere Preise. «Schweizer Därme würden den ‹Klöpfer› 30 Prozent teurer machen. Wir könnten das noch – wirtschaftlich gesehen funktioniert das aber nicht mehr», so Andrist. Die Därme des neu eröffneten Schlachthauses «Metzgerhuus» in Füllinsdorf, das kurze Tiertransporte für regionale Produzenten ermöglicht und von Andrist geleitet wird, landen in der Biogasanlage.
Jeder einzelne Kranzdarm wird von innen nach aussen gestülpt und gewaschen. Der zweihäutige Darm sorgt für die typische Krümmung des «Klöpfers» und verlangt laut Andrist vor dem Grillieren das Einschneiden der Wurst – sonst platzt der Darm; eine mögliche Erklärung, warum man in der Region zur Cervelat «Klöpfer» sagt.
In seiner Metzgerei in Nusshof verarbeitet Andrist wöchentlich 120 bis 180 Kilo Fleisch zu «Klöpfern» – im Sommer mehr als im Winter. Das Sissacher Bergrestaurant Fluh, das Andrist beliefert, benötigt rund 50 bis 60 Kilo pro Woche für Wurstsalat. Auch für die Wurstsalat-WM (siehe Artikel oben) hätten bereits Leute bei ihm «Klöpfer» bestellt. Ob seiner dort schon einmal gewonnen hat, könne er nicht mit Sicherheit sagen, so Andrist.
Trotz des Ehrgeizes, stets gute Qualität zu liefern, sei der bevorzugte «Klöpfer» letzlich Geschmacksache, sagt Andrist: «Gewisse haben den von Grossverteilern am liebsten.» Wobei er davon ausgehe, dass diese «Klöpfer» Zucker enthalten. Er selbst verzichte auf gesüsste Würste: «Da bin ich altmodisch und halte mich an die Tradition.»
Kurz vor dem 1. August dürfte die Nationalwurst wieder vermehrt auf dem Einkaufszettel stehen. Am ersten Nationalfeiertag 1891 trumpfte sie noch nicht gross auf. Erst mit der Weltausstellung 1900 in Paris schaffte es die Cervelat – pardon: der «Klöpfer»! – neben Schokolade und Emmentaler auf die Menükarte des «Châlet Suisse» und katapultierte sich damit ins kulinarische Gedächtnis von Herrn und Frau Schweizer.