Neue Deponie mit viel Zündstoff
18.04.2024 Bezirk Waldenburg, Energie/Umwelt, Reigoldswil, Bauprojekte, Gesellschaft, Bezirk Waldenburg, BaselbietBaugrunduntersuchungen im Gebiet Gauset
Auf dem Gemeindegebiet von Reigoldswil und Seewen soll eine grosse Deponie realisiert werden. Obwohl im Baselbieter Richtplan nichts von einer derartigen Deponie vermerkt ist, stehen der Kanton und die Gemeinde Reigoldswil dem Vorhaben wohlwollend ...
Baugrunduntersuchungen im Gebiet Gauset
Auf dem Gemeindegebiet von Reigoldswil und Seewen soll eine grosse Deponie realisiert werden. Obwohl im Baselbieter Richtplan nichts von einer derartigen Deponie vermerkt ist, stehen der Kanton und die Gemeinde Reigoldswil dem Vorhaben wohlwollend gegenüber. Die nahen Gasleitungen wecken allerdings schlechte Erinnerungen.
Andreas Hirsbrunner
Ein ratterndes Maschinchen, mit dem ein Mitarbeiter einer Vermessungsfirma mitten im Wiesland vergangene Woche Rohr um Rohr in den Boden rammte und diesem Proben entnahm, verriet ein nicht alltägliches Vorhaben. Der Mitarbeiter zeigte sich nicht sehr mitteilsam, gab aber unmissverständlich zu verstehen, dass Fotografieren unerwünscht sei. Die geheimnisvolle Mission im Gebiet Gauset auf Reigoldswiler und Seewener Boden südlich der Holzenbergstrasse entpuppt sich bei Nachforschungen als Auftakt eines kantonsübergreifend geplanten Grossprojekts, das noch viel zu reden geben dürfte: Die durchgeführten, bis zu fünf Meter tiefen Baugrunduntersuchungen sind Teil eines geologischen Gutachtens, das wiederum eine der Grundlagen für eine künftige Deponie Gauset sein soll.
Doch von einer solchen Deponie, ob Typ A (unverschmutzter Aushub) oder Typ B (Inertstoff), ist im aktuellen Baselbieter Richtplan nichts zu finden. Die Leiterin Kommunikation bei der Bau- und Umweltschutzdirektion (BUD), Andrea Tschopp, erklärt: «Der Standort ‹Gauset› wurde im Rahmen einer systematischen Deponiestandortsuche vor rund zehn Jahren evaluiert. Man kam seinerzeit zum Schluss, dass der Standort die Anforderungen an eine Deponie vom Typ A und B grundsätzlich erfüllt. An dieser Beurteilung hat sich seither nichts geändert.» Aber ein neuer Standort müsse zuerst im kantonalen Richtplan vermerkt werden. «Gauset» müsse sogar in zwei Richtpläne aufgenommen werden, weil sich der Standort genau auf der Kantonsgrenze zwischen Baselland und Solothurn befinde. Die Nordwestschweizer Kantone seien aber bei der Deponieplanung in einem regelmässigen Austausch.
Bezüglich Details zu «Gauset» verweist Tschopp an die Gemeinde Reigoldswil, die momentan den Lead habe, weil die Baugrunduntersuchungen auf ihrem Land stattfänden.
Der grosse Knall vor zehn Jahren
Der Reigoldswiler Gemeindepräsident Fritz Sutter sagt, dass die Planungsgemeinschaft Jost/Eberhard – erstere ist ein Transportunternehmen mit Sitz in Aesch, letztere ein grosses Bauunternehmen mit zehn Tochtergesellschaften mit Sitz in Kloten – auf die Gemeinde zugekommen sei mit der Absicht, im Gebiet Gauset eine Deponie für sauberen Aushub und Inertstoff mit einem Volumen von 1,8 Millionen Kubikmetern zu errichten. Und Sutter weiter: «Für uns ist es in Ordnung, wenn sie Abklärungen für eine solche Deponie machen. Wir haben deshalb auch eingewilligt, dass auf Bürgerland Sondierungen durchgeführt werden können. Bis da aber etwas geht im Gelände, dauert es noch mindestens zehn Jahre.» Drei von fünf angefragten Landbesitzern haben dagegen derzeit eine Zustimmung abgelehnt.
Macht es Sutter keine Angst, dass sich die Geschichte der nur wenige Hundert Meter entfernten Deponie Eichenkeller im «Gauset» wiederholen könnte? Für die Deponie Eichenkeller erteilte der Kanton 2012 eine Erweiterungsbewilligung für die Ablagerung von zusätzlichen 300 000 Kubikmetern Inertstoffmaterial. Vor ziemlich genau zehn Jahren barst dann die unterhalb der Deponie durchführende Leitung des Gasverbunds Mittelland mit einem grossen Knall – wohlgemerkt das erste derartige Ereignis in der Schweiz, bei dem nur mit viel Glück keine Personen zu Schaden kamen. Die Deponie wurde darauf geschlossen und es konnte nicht mit Sicherheit geklärt werden, ob der verstärkte Hangrutsch, der zum Gasleitungsbruch führte, eine Folge der Deponie war.
Auch beim «Gauset»-Projekt verlaufen sowohl die grössere Leitung der Transitgas sowie die kleinere des Gasverbunds Mittelland nur wenige Meter am Rand des projektierten Deponie-Perimeters vorbei. Dazu sagt Sutter: «Ob die geplante Deponie eine Gefahr für die Gasleitungen ist, kann ich nicht beurteilen. Das ist Aufgabe der Fachleute. Rein optisch besteht aber schon ein Unterschied: Die Deponie Eichenkeller ist wie angeklebt an den steilen Hang, im Gebiet Gauset käme die Deponie in ein bedeutend weniger steiles Gebiet zu liegen.»
Kanton sucht neue Deponien
Beim «Eichenkeller» herrscht laut Sutter seit vier Jahren Stillstand. Nachdem die Bürgergemeinde von 2015 bis 2019 fast eine halbe Million Franken für Messungen ausgegeben und der Kanton mittels Verfügung festgelegt habe, dass die Bürgergemeinde noch 50 Jahre lang nachsorgepflichtig sei, habe der Gemeinderat in Liestal vorgesprochen und klargemacht, dass die Verfügung aus finanziellen Gründen nicht umgesetzt werden könne. Seither, so Sutter, sei in dieser Angelegenheit kein Geld mehr die Frenke hinuntergeflossen und der Kanton messe selbst. Man warte nun seit zwei Jahren auf eine Antwort der Regierung auf das vom Landrat überwiesene Postulat, eine tragbare Lösung für die Deponie Eichenkeller zu suchen.
Und Sutter schiebt nach: «Ich habe noch einen Hintergedanken: Im Worst Case müssen wir die von 2012 bis 2014 aufgefüllten 90 000 Kubikmeter Material wieder ausgraben. Das könnte die Firma Eberhard von der jetzigen Planungsgemeinschaft machen, die schon die Sondermüll-Deponie Kölliken ausgeräumt hat, und das Material im nahen Gebiet Gauset deponieren. Das dürfte einiges günstiger als die prognostizierten 12 Millionen Franken kommen. Eine solche Summe zu stemmen, wäre für die Bürgergemeinde sowieso völlig unrealistisch.»
«Unverzichtbares Element»
Im Zusammenhang mit «Gauset» stellt sich aber auch eine grundsätzliche Frage. Der aktuelle Richtplan beinhaltet bei den Deponien des Typs B die «Höli» in Liestal, die erweitert werden soll, sowie die bereits erweiterten «Strickrain» in Sissach und «Bruggtal» in Bennwil. Beim Typ A figurieren die Deponie Tannenried in Sissach sowie die geplanten «Baholde» in Hölstein und «Wanne» in Zeglingen im Richtplan. Für die ebenfalls angedachte Deponie Schäftlete/Chlus in Blauen und Zwingen braucht es noch einen Landratsbeschluss für die definitive Aufnahme in den Richtplan.
Gleichzeitig hat die Bevölkerung im vergangenen November an der Urne klar Ja gesagt zur Erhebung von kantonalen Deponieabgaben zur Stärkung des Recyclings. Deshalb die Frage an die BUD: Braucht es in absehbarer Zeit überhaupt noch zusätzliche Deponien? Andrea Tschopp sagt: «Das Instrument Deponieabgaben soll als Ultima Ratio und gemäss dem Grundsatz ‹so viel wie nötig, so wenig wie möglich› eingesetzt werden.
Zudem können nicht alle anfallenden Bauabfälle zu hochwertigen Recycling-Baustoffen aufbereitet werden; insbesondere Rückbauten aus dem letzten Jahrhundert nicht, die Schadstoffe enthalten. Konsequenterweise gehören deshalb auch Deponien als unverzichtbares Element zu einem Baustoffkreislauf.» Alles andere würde die Entsorgungssicherheit der Wirtschaftsregion Basel gefährden. Und Tschopp folgert: «Die Evaluation von Deponiestandorten zählt zu den Daueraufgaben des Kantons.»