«Es muss nicht primär einfach schön sein»
21.03.2025 Bezirk Sissach, Region, Baselbiet, Natur, SissachDer Bund Schweizer Landschaftsarchitekten (BSLA) feiert in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen. Der Sissacher Pascal Gysin präsidierte den Verband während fünf Jahren. Der Landschaftsarchitekt mit eigenem Büro erklärt im Interview, wo aktuell die Herausforderungen ...
Der Bund Schweizer Landschaftsarchitekten (BSLA) feiert in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen. Der Sissacher Pascal Gysin präsidierte den Verband während fünf Jahren. Der Landschaftsarchitekt mit eigenem Büro erklärt im Interview, wo aktuell die Herausforderungen liegen und weshalb für ihn die Ästhetik in einer Planung nicht an erster Stelle kommt.
Tobias Gfeller
Herr Gysin, wieso sind Sie Landschaftsarchitekt geworden und nicht klassischer Architekt, was mit mehr Prestige verbunden ist?
Pascal Gysin: Ich lernte ursprünglich Landschaftsgärtner. Ich realisierte bald, dass ich das nicht ein Leben lang machen möchte und kann, auch aus körperlichen Gründen, obwohl es ein wunderbarer Beruf ist. Ich interessierte mich schon zuvor auch für Grafik und Design und überlegte mir auch eine Lehre in diese Richtung. Mit dem Studium der Landschaftsarchitektur konnte ich beide Interessen verbinden. Die Landschaftsarchitektur ist das gestalterische Element der Umwelt im weitesten Sinne.
Was macht für Sie die Landschaftsarchitektur so spannend?
Alles, was man landläufig unter Freiraum versteht, ist quasi das Tummelfeld der Landschaftsarchitekten. Mich haben schon immer Systeme und Prozesse interessiert und weniger das reine Design: Wie interagieren wir als Menschen mit Pflanzen, Tieren und der Umwelt? Das habe ich an der Architektur lange Zeit kritisch beäugt. Der Fokus auf sich selbst und das marktschreierische Bemühen nach Aufmerksamkeit waren mir stets zuwider. Der Freiraum hingegen steht im steten Dialog mit den Nutzenden, ist dynamisch und von unzähligen, nicht direkt zu beeinflussenden Faktoren geprägt. Das macht unser Schaffen vielschichtig und interessant.
Landschaftsarchitekten werden immer wichtiger und spielen bei Bauund Entwicklungsprojekten eine immer bedeutendere Rolle. Einverstanden?
Das kann ich selber biografisch bestätigen. Als ich angefangen habe, kam es ab und zu mal vor, dass ich erklären musste, was ich mache. Das ist heute anders. Das hat auch mit dem Verband zu tun, der sehr viel Aufklärungsarbeit leistete. Heute ist es fast nicht mehr denkbar, dass ein Architekturwettbewerb ohne Landschaftsarchitekten abläuft. Landschaftsarchitekten sind heute gefragt.
Inwiefern hat es auch mit den zunehmenden Herausforderungen und Ansprüchen an den knappen Raum zu tun? Stichworte Verdichtung, Hitzeausstrahlung und Biodiversität.
Sehr viel. Der Raum wird knapper, die Ansprüche höher. Das Waldsterben löste einst eine Ökobewegung und ein neues Bewusstsein aus. Jüngst war es die Pandemie mit dem Lockdown, die den Fokus der Gesellschaft in die Alltagslandschaft lenkte. Als es nicht mehr möglich war, kurzentschlossen nach Bali zu fliegen, hat man die Qualität des direkten Wohnumfelds entdeckt. Dazu kommen die Klimathemen, die in der Gesellschaft angekommen sind. Das alles hat der Branche einen Schub verliehen.
Wenn Sie es auf den Punkt bringen müssten, was macht ein Landschaftsarchitekt und weshalb ist er heute so wichtig?
Er oder sie gestaltet den Sozialraum und die belebte Umwelt. Durch die Verdichtung steigt der Druck auf diese Räume. Das heisst, wir müssen die Räume neu verhandeln. Da stossen unterschiedliche Interessen aufeinander. Beim Erkennen, dem Abwägen und der darauf basierenden Gestaltung nehmen Landschaftsarchitekten eine zentrale Rolle ein.
Wie gehen Sie als Planer mit diesen unterschiedlichen Ansprüchen um?
Als Erstes braucht es Verständnis für alle Interessen. Ich muss gut mit Menschen umgehen können. Die Vermittlerrolle ist wichtig. Was passiert, wenn es nicht funktioniert, sehen wir an der Hauptstrasse in Sissach. Vom Netzenkreisel bis zur GF JRG ist die Strasse brandneu. Wir schreiben das Jahr 2025 und kriegen eine Strasse wie aus den 1970er-Jahren präsentiert. Dort könnten zentral auch 25 Bäume in einem Grünstreifen stehen. In diesem Fall ist es nicht gelungen, Themen wie Hitzeminderung und Biodiversitätsförderung einzupflegen. Das Potenzial war jedenfalls da. Die Partikularinteressen des Verkehrs waren zu stark. Ein Paradebeispiel, wie sich ein Dorf einbringen und Einfluss nehmen kann, ist die Planung der Hauptstrasse durch Ziefen.
Mit der Sissacher Begegnungszone sind Sie auch nicht glücklich. Weshalb?
Der «Strichcode» ist ein jahrzehntelanges Lamento. Man spricht nur über Parkplätze. Es geht aber überhaupt nicht um Parkplätze. Die braucht es. Es geht darum, dass dieser Raum eine Hitzeinsel ist. Wenn man das Szenario in die Zukunft weiterdenkt, wird man vor den Schaufenstern der Gewerbler im Hochsommer nicht mehr stehen können. Es geht um Entsiegelung, um die Nutzung von Dach- und Oberflächenwasser und der Kühlung mit Vegetation, damit man auch an heissen Tagen in Sissach einkaufen und draussen sitzen kann. Mich stören auch die Sitzbänke ohne Rückenund Armlehne. Da fehlt es an Sorgfalt, weil das gerade älteren Menschen wichtig ist. Deshalb wünsche ich mir, dass sich die Menschen mehr einbringen.
Also ist die Begegnungszone für Sie mehr chic als praktikabel?
Genau. Wenn man nur in der Tradition des Designs Freiräume gestaltet, wo das Visuelle im Zentrum des Interesses steht, bringt das den Nutzenden oft wenig. Ich brauche nicht immer eine neue Bank, ich brauche die richtige Bank am richtigen Ort. Um das zu verstehen, muss ich mit den Nutzenden in den Dialog gehen. Die Lauten haben wir sowieso, die Kritiker auch. Die, die sich etwas wünschen, die von Veränderung und mehr Lebensqualität träumen, sind meistens still. Wir haben uns mit unserem Büro den Namen gemacht, dass wir sehr früh in Prozesse eingehen, um diese Bedürfnisse abzuholen.
Welche Herausforderungen in Sachen Landschaftsarchitektur sehen Sie aktuell in der Region Basel und konkret im Oberbaselbiet?
Wir haben einen wahnsinnigen Schatz an ISOS-geschützten Dörfern in einer wunderbaren Landschaft. Genau dort gilt es, die Interessenabwägung zu machen. Ein sehr schönes Beispiel ist Rothenfluh. Dort geht es darum, zu verhandeln, wie wir den Raum gestalten, damit das Dorf seine Qualität, seinen Charakter und seinen Wert behält und nicht einfach eine neue, funktionale Strasse durchs Dorf gebaut wird. Es geht darum, dass wir nicht nur schwarzen Asphalt verbauen, sondern auf die Farbigkeit des oberen Baselbiets eingehen. Da sind wir in den Städten schon weiter. Da beissen wir noch ziemlich auf Baselbieter Kalkstein (lacht). Aber wir bleiben dran. Es geht nicht nur um die Dörfer, es geht auch um die Landschaften, unsere Kulturzeugen, darum, wie wir unsere gesamte Landschaft prägen.
Was ist für Sie gute Landschaftsarchitektur?
Die, die man täglich nutzt und nicht primär als designed anschaut. Schönheit ist nicht nur visuell. Es kann einem auch etwas gefallen, das man lieb bekommt. Es muss nicht primär einfach schön sein.
Zur Person
gfe. Pascal Gysin (50) wohnt mit seiner Familie in Sissach und ist Gründer, Geschäftsführer und Inhaber der «pg Landschaften GmbH» mit Sitz in Sissach. Bevor er Landschaftsarchitektur studierte, absolvierte er eine Lehre zum Landschaftsgärtner. Von 2011 bis 2016 präsidierte Pascal Gysin den Bund Schweizer Landschaftsarchitekten.