Es braucht mehr Wohnraum
28.06.2024 Bezirk Sissach, Finanzen, Bauprojekte, Bezirk Sissach, BaselbietGemeindepräsident Martin Mundwiler über abgelehnte Wohnüberbauung
Der Gemeinderat von Itingen ist gefordert: Er muss nach dem wuchtigen Nein der Einwohnerinnen und Einwohner für das Neubauprojekt «Zentrum» beim Bahnhof im Auftrag der ...
Gemeindepräsident Martin Mundwiler über abgelehnte Wohnüberbauung
Der Gemeinderat von Itingen ist gefordert: Er muss nach dem wuchtigen Nein der Einwohnerinnen und Einwohner für das Neubauprojekt «Zentrum» beim Bahnhof im Auftrag der «Gmäini» versuchen, den bisher privaten Teil des Landstücks mit einer Fläche von 2400 Quadratmetern zu kaufen.
André Frauchiger
Er ist enttäuscht, resigniert aber nicht: Itingens Gemeindepräsident Martin Mundwiler bedauert, dass die Gemeindeversammlung von vergangener Woche mit einem wuchtigen Nein den Landverkauf an einen privaten Investor (First Site Invest Basel) abgelehnt hat. Damit ist die geplante neue Überbauung direkt beim Bahnhof mit 56 Wohnungen, einer Autoeinstellhalle mit 29 öffentlichen Parkplätzen, 20 gedeckten Veloabstellplätzen und einem Aussenparkplatz für die neue Unterflur-Wertstoffsammelstelle vom Tisch (siehe «Volksstimme» vom 20. Juni, Seite 10). Mundwiler ist nach wie vor vom Projekt «Zentrum» im Sinne des verdichteten Bauens und der kurzen Wege zu den öffentlichen Verkehrsmitteln wie den SBB überzeugt.
Der private Investor hätte die gesamten Kosten der Neuüberbauung inklusive öffentliche Autoparkplätze in der Einstellhalle übernommen. Durch den Verkauf von netto 1620 Quadratmetern Land zu 700 Franken pro Quadratmeter hätte die Gemeinde einen Gesamtverkaufspreis von 1,134 Millionen Franken erzielt. Die Gemeinde ihrerseits hatte im Jahr 2018 von der Post Immobilien AG die Hälfte ihres jetzigen Landstücks, also rund 800 Quadratmeter, dazugekauft – zu einem sehr moderaten Kaufpreis von 523 Franken pro Quadratmeter. Zusammen mit den drei privaten Landeigentümern handelt es sich beim besagten Areal um eine Gesamtfläche von rund 4000 Quadratmetern.
Leicht mehr Parkplätze
Für Martin Mundwiler ist klar: Mit dem wuchtigen Nein-Entscheid von 147 Nein- gegen nur 34 Ja-Stimmen ist das Projekt definitiv vom Tisch. Es bleibt im Wesentlichen beim ziemlich brachliegenden Areal zwischen SBB-Bahnlinie, Bahnweg, Landstrasse und Sonnenbergweg mit bisher kostenlosen 24 Autoparkplätzen. Umgesetzt wird nun aber ein Beschluss der Einwohnergemeindeversammlung aus dem Jahr 2018, der die Erneuerung und Erweiterung des bisherigen Autoparkplatzes und der Veloabstellplätze vorsieht.
In Zukunft sollen rund 40 Autoparkplätze zur Verfügung stehen, allerdings nicht mehr kostenlos. Für die Benützung dieser Parkplätze soll im Anschluss eine moderate Gebührenpflicht tagsüber eingeführt werden, betont Martin Mundwiler. Die Ablehnung des Überbauungsprojekts sei vor diesem Hintergrund sicher nicht wegen der wegfallenden Gratisparkplätze erfolgt, bilanziert er auf eine entsprechende Frage.
Der Auftrag der Gemeindeversammlung, mit den privaten Grundbesitzern nach dem Scheitern des Neubauprojekts Kaufverhandlungen für das sogenannte Itin-Land – 2400 Quadratmeter Landfläche – aufzunehmen, wird vom Gemeindepräsidenten ernst genommen. Die Ausgangslage hierfür sei aber nicht günstig. Die Gemeindekasse würde mit dem Kauf auf jeden Fall stark belastet werden. Den Kaufentscheid hätte die Einwohnergemeindeversammlung abschliessend zu treffen, sofern die heutigen Eigentümer überhaupt zum Verkauf bereit seien. Ein Landkauf in der Absicht, dieses dann weitgehend brachliegen zu lassen, sei ohnehin ziemlich speziell, unterstreicht der Gemeindepräsident.
Wie kam es zum Nein?
Wie ist es zum Nein der Einwohnerinnen und Einwohner gekommen, wie kann sich der Gemeindepräsident und der gesamte Gemeinderat dies erklären? Martin Mundwiler meint dazu, das sei auch für ihn schwierig zu sagen. Die Einwohnerinnen und Einwohner seien am 17. April vergangenen Jahres an einer Informationsveranstaltung im Rahmen des Mitwirkungsverfahrens mit rund 80 Teilnehmenden über die Neubaupläne informiert worden. In diesem Zusammenhang seien damals drei schriftliche Eingaben erfolgt. Es habe mit allen drei Mitwirkenden ein persönliches Gespräch gegeben, die spezifischen Anliegen seien dann grösstenteils in den weiteren Projektarbeiten miteinbezogen worden. Themen seien dabei die Installation einer Photovoltaikanlage auf den Dächern der drei geplanten Neubauten, der befürchtete Mehrverkehr auf dem Schulweg, die Verkehrsplanung und die Aussenraumgestaltung gewesen. Die Bedenken und Einwände hätten Eingang im Projekt gefunden. Um eine generelle Ablehnung des Neubauprojekts sei es bei den Eingaben aber nicht gegangen.
Der Gemeindepräsident sieht die Ablehnung rückblickend aber auch selbstkritisch: Es sei dem Gemeinderat offensichtlich nicht gelungen, genügend Überzeugungsarbeit für das Vorhaben zu leisten. Er habe dies unterschätzt in der Meinung, das Projekt spreche für sich. Einen Nachteil in der Lobby-Arbeit in seiner Gemeinde sieht er aber auch darin, dass es in der Gemeinde keine Ortssektionen von Parteien gibt. Keine aussenstehende Organisation habe sich für das Vorhaben in der Öffentlichkeit eingesetzt. Auch im Gemeinderat seien alle Mitglieder parteilos. Das sei in diesem Fall sicher ein Nachteil gewesen. Und Ortsvereine könnten eine notwendige Lobby-Arbeit letztlich nicht wie politische Parteien übernehmen. Die Vereine hätte aber im Kreis der Gegnerschaft nach seinen Informationen eine gewisse Rolle gespielt, erklärt Martin Mundwiler.
Gesamtauslegeordnung
Der Itinger Gemeinderat will nun nach den Sommerferien eine Gesamtauslegeordnung über das Geschehen, über das «Wie weiter?», machen. Eine erste Aussprache ist nun bereits am Dienstag dieser Woche erfolgt.
Der Gemeindepräsident betont, die Gemeinde mit ihren aktuell rund 2500 Einwohnerinnen und Einwohnern benötige Entwicklungsprojekte, die auch zu Steuer-Mehreinnahmen führen. Es brauche mehr Wohnraum und Möglichkeiten für die ortsansässigen Firmen, sich zu entwickeln. Zurzeit gibt es in Itingen rund 900 Arbeitsplätze, davon allein 350 bei Ikea. Und dieses Unternehmen wolle wie andere Firmen ausbauen – mehr Arbeitsplätze schaffen. Dabei sei der Pendlerverkehr ein grosses Thema. Dieser müsse in einem für die Einwohnerinnen und Einwohner erträglichen Rahmen gehalten werden – zum Beispiel eben mit mehr Wohnraum vor Ort für Arbeitnehmende. Kürzere Arbeitswege seien aus ökologischen Gründen vermehrt anzustreben – dies als Gebot der Stunde.
Die Gemeinde verfügt über rund 17 300 Quadratmeter Landflächen im Dorf- und Bahnhofsbereich, darunter das grosse Areal nördlich beim Bahnhof. Diese Flächen müssen laut Martin Mundwiler entwickelt werden. Der gute Rechnungsabschluss 2023 der Gemeinde mit einem Ertragsüberschuss von rund 1,6 Millionen Franken dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Finanzlage voraussichtlich bereits ab dem laufenden Jahr aus mehreren Gründen wieder verschlechtere. Das Eigenkapital der Gemeinde beziffere sich auf 8,5 Millionen, die Schuldenlast betrage 10 Millionen Franken. Die Schuldenlast müsse verringert werden.
Der von der Gemeindeversammlung vorige Woche verlangte Kauf der privaten Landfläche beim gescheiterten Neubauprojekt werde die Schuldenlast nur noch vergrössern. Beim Steuerfuss, der mit 63 Prozent ohnehin schon höher liege als bei den umliegenden Gemeinden, besteht vorläufig laut Martin Mundwiler kein Spielraum nach oben. Fest steht: Auf den Itinger Gemeinderat wartet nach den Sommerferien noch viel Arbeit – auch in der Kommunikation mit der Einwohnerschaft.