Eine Zeitreise über die Sissacher Fluh
31.10.2025 Bezirk Sissach, Natur, Baselbiet, Kultur, SissachDie bisherigen archäologischen Funde geben vieles pr
Auf einer Wanderung zeigt Simone Kiefer von der Archäologie Baselland die abwechslungsreiche Geschichte der Sissacher Fluh und ihre Beziehung zum unterhalb liegenden Dorf Sissach neu auf. Auf der Fluh sind ab sofort ...
Die bisherigen archäologischen Funde geben vieles pr
Auf einer Wanderung zeigt Simone Kiefer von der Archäologie Baselland die abwechslungsreiche Geschichte der Sissacher Fluh und ihre Beziehung zum unterhalb liegenden Dorf Sissach neu auf. Auf der Fluh sind ab sofort Infotafeln mit interessanten archäologischen Angaben zu entdecken.
Simone Kiefer
Die Sissacher Fluh wurde in den Jahren 1923 bis 1925, 1928 und 1936 archäologisch untersucht. Dabei wurden auf dem Plateau und auf dem nordwestlich vorgelagerten Hügelrücken mehr als 200 Gräben, sogenannte Sondierschnitte, sowie zusätzlich wenige kleinere Grabungsflächen geöffnet. Die Sondierschnitte wurden hauptsächlich entlang der damals noch sichtbaren Mauern, einige aber auch innerhalb der einstigen Wehranlage vorgenommen (siehe Abbildung 1).
Nach dieser kurzen Einführung startet die Wanderung ab der Bushaltestelle Wintersingerhöhe und führt die Strasse Richtung Sissacher Fluh hinauf. Kurz vor dem Fluhplateau, auf dem vorgelagerten Hügelrücken, ist der nächste Halt. Der Hügelrücken liegt kurz vor einer scharfen Rechtskurve und gibt den Blick auf eine Fläche mit leicht eingetiefter Mulde frei. Hier kann nach dem steilen Anstieg erstmals eine Verschnaufpause eingelegt werden.
Wären wir tatsächlich auf einer Exkursion, würde ich der Wandergruppe hier die Erkenntnisse von den Grabungen aus dem Jahr 1936 erläutern. Allein in dieser kleinen Mulde konnten sicher drei unterschiedliche Epochen nachgewiesen werden. In den Sondierschnitten fand sich eine Brandschuttschicht mit einigen Topfscherben aus der mittleren Bronzezeit. Weiter fanden sich Reste von verbranntem Lehm, Steinnestern und Pfostenlöcher von ehemaligen Holzpfählen. Zur Zeit der Ausgrabungen wurden diese Befunde zu einer Reihe von Blockbauten mit talseitig in Trockenmauerwerk ausgeführtem Unterbau rekonstruiert (Abb. 2).
Neben der bronzezeitlichen Keramik konnten aber auch jüngere, eisenzeitliche Tonscherben geborgen werden. Spätere Forschungen ergaben, dass die eisenzeitlichen Eingriffe die bronzezeitlichen Strukturen tangierten und diese teilweise zerstörten. Ab den 1970er-Jahren geht die Forschung auch aufgrund neuester Erkenntnisse davon aus, dass hier möglicherweise eine späteisenzeitliche, also keltische, Wehranlage stand in Form einer sogenannten Pfostenschlitzmauer. Es handelt sich dabei um eine Holz-Erde-Stein-Konstruktion, bei der Holzpfosten auf zwei parallelen Linien in regelmässigen Abständen zueinander stehen und aus einer Erde-Stein-Füllung bestehen. Die Schalung bestand aus Trockenmauerwerk.
Eine ähnliche Konstruktion einer keltischen Wehranlage wurde bereits durch Julius Caesar als Murus Gallicus beschrieben (Abb. 3) und ist auf dem Basler Münsterhügel archäologisch nachgewiesen. Die genaue Ausdehnung dieser Wehranlage konnte jedoch nirgends festgestellt werden.
Kein Ort, an dem gewohnt wurde
Als Siedlungsstandort käme die Fluh zwar in Frage, jedoch fehlen für eine dauerhaft besiedelte Fläche die typischen Spuren. Neben den nur spärlich geborgenen Keramikresten fehlen hier auch typische Metallfunde wie Fibeln (Gewandnadeln) oder Münzen, welche in spätkeltischen Siedlungen zum normalen Fundspektrum gehören. Im Sissacher Brühl wurde in den 1930er-Jahren eine keltische Töpfersiedlung mit 12 Töpferöfen entdeckt. In diesem Töpfereibezirk wurde schon fast in Massenproduktion Feinkeramik für das Umland hergestellt. Leider fehlen bis heute jegliche Hinweise, wo die Abnehmer dieser Feinkeramik und die Handwerker und deren Familien wohnten. Denn auch im Töpferbezirk und im heutigen Dorf Sissach fehlen bisher jegliche Siedlungsstrukturen aus dieser Zeit.
Leider wurden auf dem vorgelagerten Hügelrücken und in der Fläche östlich der Strasse, also dem Areal direkt hinter der Pfostenschlitzmauer, keine Grabungen vorgenommen. So fehlen bisher Informationen, ob eine Innenbebauung vorhanden war. Diese sind bei einer befestigten Siedlung der späten Eisenzeit zu erwarten.
Zwar passt es dazu, dass sich Anfangs des 1. Jahrhundert vor Christus die Siedlungsstandorte von den Talniederungen auf die Höhen verlagerten. So geschehen in Basel mit der Siedlung auf dem ehemaligen Areal der Gasfabrik, die um 80 v. Chr. aufgegeben und kurze Zeit später durch das Oppidum auf dem Münsterhügel ersetzt wird. Denn das 1. Jahrhundert v. Chr. ist eine Zeit des Umbruchs. Rechtsrheinische Stämme, durch Caesar als Germanen beschrieben, drängten unter dem Stammesführer Ariovist in den 70er-Jahren v. Chr. über den Rhein und beanspruchten Gebiete von dort ansässigen keltischen Stämmen. Später, ab 58 v. Chr., zieht Caesar mit seinen Truppen gegen Gallien und beansprucht das Gebiet links des Rheins für Rom. Aufgrund der möglichen Wehranlage auf der Fluh ist es offenbar auch eine unruhige Zeit für die Einwohner in und um Sissach.
Rückzugsort bei Gefahr
Aufgrund der bis heute gewonnenen Erkenntnisse geht die Forschung davon aus, dass die Sissacher Fluh in prähistorischer Zeit vermutlich als Rückzugsort in Gefahrenzeiten genutzt wurde. Die Spuren, welche auf eine spätlatènezeitliche (Späte Eisenzeit) befestigte Anlage hinweisen, sind sehr spärlich und die Frage, weshalb der Murus Gallicus möglicherweise nicht beendet wurde, kann zurzeit nicht beantwortet werden.
Die Wanderung geht nun trotz all der verwirrenden Hinweise weiter die Strasse Richtung Plateau hinauf. Oben treffen wir nun nach der scharfen Rechtskurve auf die heute noch sichtbaren Mauerzüge. Das zweischalige Trockensteinmauerwerk mit einer Stein-Erde-Füllung könnte aufgrund dieser Technik ins Frühmittelalter um das 6. bis 10. Jahrhundert n. Chr. datieren. Eine eindeutige Zuweisung nur aufgrund des ähnlichen Aufbaus des Mauerwerks im Vergleich mit anderen eindeutig datierten Wehranlagen ist jedoch gewagt. Bis heute fehlen genaue Untersuchungen zu vergleichbaren frühmittelalterlichen Wehranlagen.
Besser steht es um die Datierung einer Wehranlage in nächster Umgebung. Auf der Burghalde in Liestal handelt es sich ebenfalls um eine zweischalige Trockenmauer. Diese Mauer konnte durch einige Funde sicher ins 10. Jahrhundert datiert werden. Durch die Nähe zur Sissacher Fluh, die ähnliche Bautechnik und die eindeutige Datierung darf für die Mauerzüge auf der Sissacher Fluh die gleiche Zeitstellung angenommen werden – obwohl die gesamten bisherigen Untersuchungen keinerlei Funde aus dem Frühmittelalter hervorbrachten. Wie schon für die Eisenzeit kann das ein Hinweis darauf sein, dass die Sissacher Fluh auch im frühen Mittelalter nicht permanent besiedelt war, sondern dass die Hochebene als Rückzugsort nur in Krisenzeiten gedient hat. Bei einer Flucht aus der Gefahrenzone wird nur das Nötigste und Wertvollste mitgenommen, das aber bei einer Rückkehr auch nicht zurückgelassen wird.
Für eine frühmittelalterliche Fluchtburg spricht auch, dass in der Zeit des 10. Jahrhundert die Ungarn-Einfälle (899 – 933 n. Chr.) für unruhige Zeiten in Mittel- und Westeuropa sorgten. Dabei wurde 917 auch Basel geplündert.
Zerstörtes Schwert
Die heute sichtbaren Mauerzüge wurden aufgrund der Grabungen der 1930er-Jahre rekonstruiert (Abb. 4). Die Anlage zeigt heute im Norden eine Toranlage mit einziehenden Torschenkeln und in der Nordostecke einen Turm, der bodeneben zugänglich war.
Im Bereich der nördlich gelegenen Toranlage wurde der Rest einer verbogenen Schwertscheide geborgen, die jedoch in die Eisenzeit, genauer in die mittlere Latènezeit, datiert (250 bis 150 v. Chr.). Dass das Schwert nicht unbedingt beim Bau der frühmittelalterlichen Toranlage zerstört wurde, zeigt die mutwillige Zerstörung von wertvollen Gegenständen von Grabbeigaben und anderen rituellen Kontexten der gesamten Latènezeit (450 bis 50 v. Chr.). So wurde ein bestimmtes Objekt während eines Rituals der profanen Welt entzogen und einer sakralen Bestimmung zugeführt. Ein weiterer Hinweis auf eine mögliche rituelle Handlung sind menschliche Überreste, welche am gleichen Ort gefunden wurden. Es könnte sich dabei um eine latènezeitliche Grablegung handeln, in der die Sitte der Zerstörung der Grabbeigaben gepflegt wurde.
Wandern wir weiter auf der Strasse Richtung Restaurant. Auf der linken Seite erscheint ein kegelförmiger Koloss aus Beton. Die Archäologie Baselland wird immer wieder darauf angesprochen, was das denn sei. Es handelt sich um ein Wasserreservoir und hat keinerlei militärischen oder archäologischen Hintergrund …
Auf der Hochwacht
Nach dem Restaurant, kurz vor dem bewaldeten Stück vor dem Aussichtspunkt, sind durch die archäologischen Ausgrabungen weitere bronzezeitliche Spuren belegt. Es handelt sich um einen typischen Hausgrundriss eines sogenannten Pfostenbaus der Bronzezeit. Mehrere verschiedene Fundstellen im Ausgang des Diegtertals zeigen, dass auch in dieser Epoche der Talgrund um Sissach zur späten Bronzezeit (1300 bis 800 v. Chr.) besiedelt war. Ob der Pfostenbau auf der Sissacher Fluh nun die spärlichen Reste einer Siedlung auf dem Plateau ist oder es sich hier wiederum um ein Refugium der Bewohner aus dem Diegtertal handelt, kann aufgrund des heutigen Forschungsstands nicht abschliessend geklärt werden.
Wir folgen weiter dem Weg Richtung der markanten Felskante der Fluh und kommen in einen bewaldeten Bereich kurz vor dem Aussichtspunkt. Hier ist noch ganz schwach ein Rest eines Doppelwalls sichtbar. Er verläuft links und rechts des Wegs im Halbkreis um ein heute noch sichtbares Steinfundament. Die Fundamente gehören zu einem Wachthäuschen der Hochwacht, die Teil eines Signalnetzes war. Das Signalnetz war spätestens ab dem Jahr 1668 einsatzbereit.
Die Hochwacht auf der Sissacher Fluh bestand aus dem Wachthäuschen, einem Doppelwall und Palisadenzaun mit Schildhäuschen beim Tor. Das Wachthäuschen mass 6 × 4 Meter, die Wachtmannschaft war dementsprechend klein, etwa vier Leute, und wurde nur in Notzeiten von den Gemeinden gestellt. In Friedenszeiten waren die Wachten nicht besetzt (Abb. 5).
Das System der Hochwachten im Kanton Basel-Landschaft wurde spätestens im 17. Jahrhundert als Frühwarn- und Nachrichtensystem für Kriegszeiten und gegen räuberische Banden eingeführt. Vermutlich bestanden schon früher ähnliche Warnsysteme und die Hochwachten im 17. Jahrhundert bauten darauf auf. Die Stadt Basel und die umliegende Landschaft lagen damals eingekesselt zwischen den feindlichen Lagern Habsburg-Österreich und Frankreich.
Mit dem System der Hochwachten konnte Basel die benachbarten eidgenössischen Orte warnen und zu Hilfe rufen. Denn einige der Hochwachten waren zum Teil aus den Kantonen Solothurn und/oder Bern einsehbar. Verzeichnet sind die Hochwachten neben der Sissacher Fluh auf dem Pratteler Horn, Wisenberg (Häfelfingen), Geissfluh (Bennwil) und Chellenberg (Waldenburg). Je nach Wetter oder Tageszeit gab es unterschiedliche Notsignale: Feuer, Rauch und akustische Signale wie Böller, Kanonenoder Musketenschüsse.
Hier endet die Wanderung. Wer jetzt noch nicht müde ist, kann auf dem Grat Richtung Osten weiterwandern und die Ruine Bischofstein besichtigen, in deren Umgebung auch eine spätbronzezeitliche Siedlung verortet wird. Ansonsten kann man vom Aussichtspunkt der Fluh den Blick schweifen lassen und den Burgenrain in den Fokus nehmen. Auf ihm sind Spuren seit der späten Steinzeit bis ins Frühmittelalter nachgewiesen; unter anderem eine Wallanlage, die aufgrund zahlreicher Siedlungsfunde wie Feinkeramik und Spinnwirtel in die frühe Eisenzeit, die sogenannte Hallstattzeit (800 bis 450 v. Chr. ), datiert. Mit dem Blick ins Tal und der Führung im Hinterkopf kann man noch einmal die reichhaltige und kontinuierliche Siedlungsgeschichte Sissachs Revue passieren lassen.
Simone Kiefer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Archäologie Baselland. Sie hat Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie und Alte Geschichte an der Universität Basel studiert und 2012 abgeschlossen. Bei der Archäologie Baselland (im Amt für Kultur) ist sie seit bald 12 Jahren zuständig für Baugesuchskontrolle, Baustellenkontrolle vor Ort, Raumplanung, Verwaltung Schutzzonen und Vermittlung.
Zwei neue Informationstafeln
vs. Gestern Donnerstag am späteren Nachmittag sind auf der Sissacher Fluh zwei neue Infotafeln feierlich eingeweiht worden. Eine davon befindet sich beim Parkplatz auf dem Plateau, die zweite beim Eingang zum Wald Richtung Aussichtskanzel. Die Tafeln geben Auskunft über die archäologischen Fundstellen vor Ort mithilfe zahlreicher Bilder und unterschiedlicher Texte zu den verschiedenen Epochen. Federführend war Simone Kiefer von der Archäologie Baselland. Die Einwilligung dafür haben Bürger- und Einwohnergemeinde Sissach gegeben.
Die Archäologie Baselland erstellt im ganzen Kanton laufend neue Infotafeln und bereitet alte neu auf, «um der Bevölkerung des Kantons Basel-Landschaft ihren reichen Kulturschatz näherzubringen». Die Tafeln werden durch die Archäologie Baselland finanziert.
Die nächsten beiden Infotafeln sollen auf dem Burgenrain und dem Bischofstein platziert werden. An den dannzumal drei Sissacher Tafelstandorten soll nicht zuletzt auch die Beziehung dieser Orte untereinander und zum Siedlungsraum Sissach erläutert werden.
Die Epochen
vs. Im Artikel werden folgende Epochen angesprochen (die Jahreszahlen sind als Circa-Angaben zu verstehen):
Jungsteinzeit 5500 – 2200 v. Chr.
Bronzezeit 2200 – 800 v. Chr.
Eisenzeit 800 – 50 v. Chr.
Römerzeit 50 v. Chr. – 450 n. Chr.
Frühmittelalter 450. – 1000 n. Chr.
Neuzeit 1500 – 1800 n. Chr.






