Dem nächsten «Rössli» geht der Schnauf aus
08.02.2024 Bezirk Waldenburg, Gastronomie, Oberdorf, Kultur, Bezirk Waldenburg, Baselbiet, RegionTraditionelle Dorfbeiz schliesst per sofort ihre Türen
Die Küche von Wirt Andi Suter im «Rössli» in Oberdorf war hoch gelobt. Dennoch muss der 50-Jährige aufgeben: Er verweist auf einen Gästerückgang seit Corona und stark gestiegene Kosten.
...Traditionelle Dorfbeiz schliesst per sofort ihre Türen
Die Küche von Wirt Andi Suter im «Rössli» in Oberdorf war hoch gelobt. Dennoch muss der 50-Jährige aufgeben: Er verweist auf einen Gästerückgang seit Corona und stark gestiegene Kosten.
David Thommen
Über das Lichterlöschen im «Rössli» in Zeglingen hatte die «Volksstimme» vor Wochenfrist berichtet. Jetzt trifft es erneut ein «Rössli» im Oberbaselbiet – jenes in Oberdorf: Am Dienstagmorgen verkündete Wirt Andi Suter die sofortige Schliessung des traditionsreichen Restaurants.
Auf der Internetseite heisst es: «Ich habe das ‹Rössli› per sofort geschlossen. Es gibt viele Gründe dafür.» Ein grosser Aspekt sei der steigende Kostendruck. Die Fixkosten würden immer höher – die Stromkosten, die Lohnkosten, die Mehrwertsteuer «und noch einiges mehr». Zudem habe sich das Konsumverhalten der Menschen in den vergangenen beiden Jahren stark verändert. «Bevor der Schaden noch grösser wird, habe ich mich entschlossen, andere Wege zu gehen», schreibt Suter. Und bedankt sich bei Personal und Gästen.
«Es ist ein trauriger Moment», sagt Suter am Dienstag im Gespräch mit der «Volksstimme». Er werde noch diese Woche den Weg unter die Füsse nehmen müssen, um Konkurs anzumelden. Vier Teilzeitangestellte sind von der Geschäftsaufgabe betroffen. Einen Kochlehrling hatte das «Rössli» zuletzt nicht mehr in Ausbildung.
Zeitenwende
2015 hat Andi Suter, gelernter Metzger und Koch, im Oberdörfer Restaurant begonnen. «Es ging damals stetig bergauf», sagt er. Die Kritiken waren gut: «Das ‹Rössli› trabt und geht oft in den Galopp über. Es gehört zur Sektion Musterbetrieb,Abteilung heile Welt», jubelte die «Sonntagszeitung» einmal. Die Küche sei einfach, regional und grundsolide – das Restaurant sei «erste Wahl».
Ja, es sei damals gut gelaufen, sagt Suter heute. 2019 war für ihn und sein Team das Spitzenjahr. Corona habe danach grundlegend alles verändert – eine Zeitenwende in der hiesigen Gastronomie.
Denn das Verhalten der Gäste habe sich seither stark gewandelt. «Die Leute gehen nicht mehr häufig in den Ausgang», sagt Suter. Auch, weil für die Menschen seit Covid-19 von Miete über Krankenkasse bis zum Strom alles teurer geworden sei. Die Zeiten seien unsicher und die Menschen achteten stärker aufs Geld. So sei das Mittagsgeschäft regelrecht eingebrochen: Heute verpflegten sich die Leute vor allem mit Take-away-Nahrung. Vor der Pandemie habe das «Rössli» im Monat Januar über Mittag und am Abend jeweils 700 bis 900 Essen serviert. In diesem Januar seien es nur noch 500 Mahlzeiten gewesen.
Der Gästerückgang wäre für seinen Betrieb vielleicht noch irgendwie zu verkraften gewesen, meint Suter. Doch sei immer weniger in der Kasse geblieben, da alles laufend teurer geworden sei: «Allein die Ausgaben für den Lebensmitteleinkauf für unsere Küche sind von 2022 bis 2023 um 20 000 Franken gestiegen.» Ein Beispiel: Ein Liter Rahm habe vor der Pandemie im Einkauf 4,20 Franken gekostet, heute seien es 6,50 Franken: «Das sind 50 Prozent mehr. Ich kann deswegen aber die ‹Panna Cotta› nicht für 15 statt für 10 Franken auf die Karte nehmen.» Ein anderes Beispiel sei der Strom: Im Vergleich zu früher habe er für seinen Betrieb nun monatlich 250 Franken mehr bezahlen müssen, also 3000 Franken im Jahr. Zwar habe er die Preise im Restaurant erhöht, doch die gestiegenen Kosten hätten bei Weitem nicht vollständig auf die Gäste abgewälzt werden können: «Bei einem Weitermachen hätte ich immer höhere Schulden angehäuft», sagt er. Daher habe er sich nun für ein «Ende mit Schrecken» entschieden. «Und ich werde wohl nicht der Letzte sein, dem es so ergeht. Die Gastronomiebranche leidet enorm», sagt der Wirt. Für viele Restaurants komme erschwerend hinzu, dass nach wie vor die Covid-Kredite drückten. Aufgenommen worden sei das Geld von den Wirten in der Annahme, dass die Umsätze irgendwann wieder das Vor-Corona-Niveau erreichen würden und die Kredite dadurch abgestottert werden können. Dies erweise sich in vielen Fällen nun als Irrtum. Auch er konnte nicht alles zurückbezahlen.
Wie weiter in Oberdorf?
Das «Rössli»-Gebäude im Zentrum von Oberdorf ist im Besitz zweier Privatpersonen – eine davon ist der Architekt Heini Dalcher (Basel/Sissach): «Restaurants, die bereits am Limit waren, werden in der aktuellen Situation vollends an die Wand gedrückt», sagt er. Andi Suter habe sehr gute, traditionelle Fleischgerichte angeboten und sich als Gastronom nie verbogen. Doch die deftige Küche habe es heute enorm schwer: «Das Ess-, Trink- und Ausgehverhalten haben sich enorm verändert», sagt er. Gerade Essbeizen auf dem Land gerieten immer mehr ausser Mode: «Wenn schon in den Ausgang, dann pilgern die Leute meiner Beobachtung nach eher in die Stadt und gehen dort in Restaurants, die den aktuellen Trends folgen.» Restaurants mit traditionellen Fleischgerichten gehörten hier nicht hinzu, so Dalcher. Wie es mit dem «Rössli» nun weitergeht, könne er noch nicht sagen. Sein Wunsch sei es aber, dass dort, in diesem wunderschönen Gebäude aus dem Jahr 1750, weiterhin gewirtet wird – auch wenn sich die Suche nach einem neuen Pächter wohl nicht ganz einfach gestalten werde.
Und was bedeutet das «Rössli»- Aus für Oberdorf? «Ich bedaure die Schliessung sehr», sagt Gemeindepräsident Piero Grumelli. Bei Andi Suter habe man stets sehr gut gegessen. Die Restaurant-Situation präsentiere sich in seiner 2550-Einwohner- Gemeinde mittlerweile etwas prekär. Jetzt gebe es im Wesentlichen noch das «Tigris», das unter anderem anatolische Spezialitäten auf der Karte hat. Dorfvereine kehrten dort ein. Weitere Lokale mit regelmässigen Öffnungszeiten gebe es nicht mehr. Im ganzen Waldenburgertal habe die Beizenszene in den vergangenen Jahren arg gelitten: «Wenn ich das mit dem Zustand vor 30 Jahren vergleiche, gibt es heute nicht mehr allzu viel …»
Für Andi Suter gibt es übrigens eine berufliche Perspektive: «Ich habe etwas in Aussicht», sagt er. Voraussichtlich werde er sich anstellen lassen und nicht mehr selbstständig als Wirt tätig sein.