«Wir merkten, dass wir nicht die einzigen ‹Spinner› waren»
05.01.2023 Baselbiet, Parteien, Politik, Sissach, SchweizDie Grünen Schweiz können im Mai 2023 den 40. Geburtstag feiern – der Sissacher Erwin Lack blickt zurück auf die Anfangszeiten
Vor 40 Jahren, am 28. Mai 1983, wurde in Freiburg die heutige Grüne Partei der Schweiz aus der Taufe gehoben. Gründungsmitglied war die Grüne Partei ...
Die Grünen Schweiz können im Mai 2023 den 40. Geburtstag feiern – der Sissacher Erwin Lack blickt zurück auf die Anfangszeiten
Vor 40 Jahren, am 28. Mai 1983, wurde in Freiburg die heutige Grüne Partei der Schweiz aus der Taufe gehoben. Gründungsmitglied war die Grüne Partei Nordwestschweiz. Der Sissacher Erwin Lack gehörte dieser Kleinpartei an. Er blickt zurück.
Matthias Manz
Herr Lack, 1983 wurde die «Föderation der grünen Parteien der Schweiz» gegründet, ein Zusammenschluss von kantonalen Umweltn. Welche Themen standen damals im Vordergrund?
Erwin Lack: Grosse Beachtung fand damals das Waldsterben, was zu verschärften Vorschriften zur Luftreinhaltung, zu Fahrzeugkatalysatoren und zu Tempolimits führte. Oder die Frage einer nachhaltigen Energieproduktion angesichts der gefährlichen Atomenergie und der Auslandabhängigkeit bei Öl und Gas. Die Ölkrise mit einem scharfen Konjunktureinbruch lag erst zehn Jahre zurück. Schon damals machte uns der Klimawandel Sorgen, noch unter dem Begriff Treibhauseffekt. Ein Dauerthema war die Eindämmung und Kanalisierung der Siedlungsabfälle und des Sondermülls; wir setzten uns für Sackgebühren, Abfalltrennung und für eine Kreislaufwirtschaft ein.
Das Buch «Die Grenzen des Wachstums» des «Club of Rome» wurde 1973 veröffentlicht. Weshalb dauerte es zehn Jahre, bis sich in der Schweiz eine ökologische Partei bildete?
In den Kantonen waren wir schon früher dran. In unserer Region hatte der Kampf gegen das AKW Kaiseraugst eine grosse, überparteiliche Bedeutung. 1979 wurde die Grüne Partei Nordwestschweiz (GPN) gegründet. Wir fanden, es könne so nicht weitergehen, immer mehr Strassen, mehr Flugverkehr. Die schweizerische Parteigründung 1983 gab uns in der Nordwestschweiz Auftrieb. Wir merkten, dass wir mit unseren Umweltanliegen nicht die einzigen «Spinner» waren, und dass wir in der Öffentlichkeit etwas bewirken konnten. Mit der Zeit hängten sich dann die anderen Parteien ein grünes Mäntelchen um.
Waren die Grünen am Anfang eine Ein-Themen-Partei?
Nein, überhaupt nicht. Wir engagierten uns auch für eine menschenwürdige Asylpolitik, für den Ausbau der Spitex, für die Gleichberechtigung von Frau und Mann. Wir Grünen hatten von Anfang an viele Frauen in Führungspositionen.
Weshalb gründeten die Umweltschützerinnen und Umweltschützer eine eigene Partei und traten nicht in eine traditionelle Partei wie die SP ein?
Wir Grünen wehrten uns gegen das «immer mehr» – beim Konsum, beim Wirtschaftswachstum, beim Strassenbau, bei der Mobilität allgemein. Die SP war damals wachstumsgläubig, wir Grünen waren wachstumsskeptisch. Die Erde ist begrenzt, ein fortdauerndes Wirtschaftswachstum muss zum Kollaps führen. Unser Ziel war stets ein qualitatives Wachstum statt ein quantitatives. Die Lebensqualität sollte wachsen.
Was war für Sie persönlich der Grund, sich in der GPN zu engagieren?
Als passioniertem Bergsteiger lagen mir Naturund Umweltfragen stets am Herzen. Mein Kollege Armin Mangold von der Sekundarschule Sissach motivierte mich 1980, bei der Grünen Partei Nordwestschweiz mitzumachen.
Wurden Sie als Grüner der ersten Stunde hier auf dem Land ernst genommen, belächelt oder gar angefeindet?
Ich fühlte mich nicht als Aussenseiter, wir wurden von den Zeitungen und vom Radio zu Podien eingeladen. Natürlich hatte ich politische Gegner, aber ich hatte keine Probleme. Ausser, wenn wir selbst provozierten, zum Beispiel, als ich 1988 zusammen mit Freunden ein riesiges Plakat gegen die Umfahrung Sissach an der Sissacher Fluh montierte. Da wurde mir mit einer Strafklage gedroht.
Zu Beginn gab es mehrere grüne Strömungen im Baselbiet – eher linke und eher bürgerliche, die sich dann jeweils bei Wahlen zusammenschlossen. Im Rückblick sieht das ziemlich verwirrend aus – war es schon damals kompliziert für die Wählerinnen und Wähler?
Unsere Grüne Partei Baselland war eher bürgerlich geprägt, aber wir sahen, dass die linken Grünen, die ehemaligen Progressiven Organisationen (POBL), professioneller agierten. Und wir fanden 1991 alle, dass wir uns die Mehrspurigkeit und Rivalität nicht mehr leisten konnten und schlossen uns zu einer einzigen Partei zusammen.
Sind Sie heute noch politisch aktiv?
Ich bin immer noch politisch interessiert, aber nicht mehr aktiv. Ich bin skeptischer als früher, ob wir Menschen genug lernfähig sind, um unsere Ansprüche gegenüber der Natur zurückzustecken und den Raubbau einzudämmen. Aber ich bin froh, dass sich weiterhin auch junge Personen in Parteien oder in Umweltgruppen für Umweltanliegen einsetzen.
Für den 13. Mai ist in Bern ein Jubiläumsfest «40 Jahre Grüne Schweiz» angekündigt.
Zur Person
mma. Erwin Lack, geboren 1945, wuchs in Meltingen (SO) auf einem Bauernhof auf. Ausbildung zum Mittellehrer in Physik, Mathematik, Chemie und Biologie an der Universität Basel. 1975 Umzug mit seiner Familie nach Sissach, wo er an der Sekundarschule bis zu seiner Pensionierung 2007 unterrichtet. Lack engagierte sich viele Jahre im Kirchenrat und im Pfarreirat der Röm.-kath. Kirchgemeinde Sissach, im Lehrergesangsverein und im Schweizer Alpenclub (SAC). Seit 1980 Mitglied der Grünen Partei Nordwestschweiz, der Grünen Partei Baselland (Präsident 1989–1991) und der Grünen Baselland. Er kandidierte erstmals 1983 für den Nationalrat und 1987 für den Landrat.
Die Anfänge der Grünen Partei
In der Schweiz:
1983, 28. Mai: Ökologische Parteien aus den Kantonen GE, VD, NE, ZH und Nordwestschweiz gründen die «Föderation der Grünen Parteien der Schweiz»(GPS) 1983, 23. Oktober, Nationalratswahlen: 1,7 Prozent der Stimmen und drei Sitze für die GPS
1987, 18. Oktober, Nationalratswahlen: Steigerung der Vertretung im Nationalrat auf 11 Sitze, 1991 auf 14 Sitze.
Im Baselbiet:
1979, 6. Dezember: Gründung der Grünen Partei Nordwestschweiz (GPN)
1983, 23. Oktober, Nationalratswahlen: Neben der GPN (1,9 Prozent Stimmenanteil) kandidieren zwei weitere ökologisch ausgerichtete Gruppierungen: die Grüne Liste Baselland (GLB, 3,0 Prozent) und die links-alternativen Progressiven Organisationen Baselland (POBL, 7,2 Prozent). Die Listenverbindung von GLB und POBL verfehlt nur ganz knapp ein Nationalratsmandat. Dieses geht an die SP.
1986: Die GPN benennt sich in Grüne Partei Basel-Stadt/Baselland um. 1989 teilt sich die GP BS/BL in zwei kantonale Parteien auf.
1987, 22. Februar, Landratswahlen: Die gemeinsame Umweltliste «Grünes Baselbiet» von Grüne Partei Baselland, Grüne Liste Baselbiet, POBL und grünen Parteilosen gewinnt quer durch den Kanton rekordverdächtige sechs zusätzliche Sitze und stellt nun 10 von 84 Landratsmitgliedern.
1987, 18. Oktober, Nationalratswahlen: Die Grüne Partei BS/BL, die Grüne Liste Baselbiet und die Grünen Baselland/POBL schnappen dank ihrer Listenverbindung der SP das dritte Mandat weg. Gewählt wird Susanne Leutenegger Oberholzer (Grüne Baselland/POBL).
1988: Die POBL lösen sich auf und gehen in den Grünen Baselland auf.
1991, 13. August: Die Partei «Grüne Baselbiet» entsteht als Zusammenschluss von Grüne Partei Baselland, Grüne Liste und Grüne Baselland. Erster Parteipräsident wird Dieter Bertschin (ehemals POBL).
1991, 20. Oktober: Nach dem Rücktritt von Susanne Leutenegger Oberholzer verteidigt Ruth Gonseth als Spitzenkandidatin der Grünen Baselbiet das Nationalratsmandat. Der Stimmenanteil der Grünen/POBL sinkt gegenüber den letzten Wahlen von 16,3 Prozent auf 11,0 Prozent.