Mehr Velo und öffentlicher Verkehr statt eine Umfahrung
27.08.2021 Baselbiet, Verkehr, Gelterkinden, Politik, SissachChristian Horisberger
Der Strassenverkehr zwischen dem Chienbergtunnel in Sissach und dem Roseneck-Kreisel in Gelterkinden hat seit der Eröffnung des Tunnels im Jahr 2006 stark zugenommen. Während der Spitzenzeiten am Morgen und am Abend kommt es täglich zu ...
Christian Horisberger
Der Strassenverkehr zwischen dem Chienbergtunnel in Sissach und dem Roseneck-Kreisel in Gelterkinden hat seit der Eröffnung des Tunnels im Jahr 2006 stark zugenommen. Während der Spitzenzeiten am Morgen und am Abend kommt es täglich zu Staus. Der Regierungsrat hat auf ein Postulat von Stefan Degen (FDP, Gelterkinden) zur Verkehrsüberlastung auf der Achse im Oktober 2020 eine Reihe von Lösungsansätzen präsentiert.
Diese sehen wie folgt aus: Ausbau von Knoten oder Strecken auf der heutigen Kantonsstrasse, Ausbau der kombinierten Mobilität (Park+Ride, Bike+Ride), Ausbau des Veloverkehrspotenzials sowie ein Regionales Verkehrsmanagement im Raum Sissach, Gelterkinden und Ormalingen. Letzteres mit dem Ziel, den Verkehr bewusst zu steuern.
Nichts wissen will der Regierungsrat von einer Umfahrung von Gelterkinden und Böckten. Mit dieser zwei Kilometer langen Lösung würden die hohen Belastungen auf den Zubringerachsen weiterbestehen oder zunehmen, argumentiert er. Zudem würde zusätzlicher Verkehr in den ländlichen Raum gezogen. Anstatt viel Geld für eine Umfahrung oder Park+Ride-Anlagen zu investieren, legt der Regierungsrat den Fokus also auf die Optimierung der bestehenden Infrastruktur mit punktuellen Massnahmen sowie auf die Verlagerung des Verkehrsgeschehens auf den öV und aufs Velo.
Breitere Strasse und Ampeln
Nun hat sich die Bau- und Planungskommission des Landrats mit dem Engpass befasst, ihren Bericht hat sie vorige Woche veröffentlicht. Auf Wunsch der Kommission hat die Bau- und Umweltschutzdirektion den Nutzen einzelner vorgeschlagener Optionen vorgestellt: Beim Knoten Sissach Ost (Portal Chienbergtunnel) seien eine überbreite Fahrbahn und zweistreifige Kreiselzufahrten ein vielversprechender Ansatz, um den Rückstau in den Tunnel zu unterbinden.
Beim Kreisel Roseneck in Gelterkinden sei denkbar, in den Abendspitzenstunden die maximale Grünzeit für Busse, die vom Bahnhof her in die Sissacherstrasse einmünden, zu verkürzen. Auch seien Lichtsignale beim Kreisel oder beim Badweg eine Option, um den Rückstau in den Kreisel zu vermeiden. Eine «umfassende Optimierung» würde einen mittleren sechsstelligen Betrag kosten, heisst es im Kommissionsbericht, eine Erfolgsgarantie gäbe es nicht.
Ein Kommissionsmitglied wies in der Beratung auf Schwachstellen der Veloverbindung zwischen Gelterkinden und Sissach hin: die «Zickzack-Routenführung» durch Böckten und die enge Passage unter der Schwarzen Brücke. Seitens des Kantons wurde in diesem Zusammenhang angeführt, dass derzeit an einer Veloroutennetz-Entwicklung gearbeitet werde. Gemäss Entwurf führe die Vorzugsroute bis Sissach; sie könne längerfristig nach Gelterkinden weitergezogen werden, wofür sie aber breiter ausgestaltet werden müsse.
Keine wesentliche Verbesserung während der Spitzenzeiten ist laut den Fachleuten der Baudirektion durch den Homeoffice-Trend zu erwarten: Die gewonnene Zeit würde vermutlich wieder in die Freizeit investiert, was zu erneutem Verkehr führte.
Eine Massnahme zur Verflüssigung des Verkehrs und zur Entschärfung eines Unfallschwerpunkts ist bereits aufgegleist, wie aus dem Bericht weiter hervorgeht: Bei der Abzweigung in Richtung Thürnen bei der Schwarzen Brücke wird 2023 eine Einspurstrecke markiert.
Bearbeitung salopp, Kommissionsarbeit bescheiden: Stefan Degen ist mit der Ausbeute seines Postulats nicht zufrieden. Er habe ja grundsätzlich Verständnis, dass eine Umfahrung «nicht sofort» angestrebt wird, «ich verstehe jedoch nicht, dass man sich nicht überlegt, wie man für die Zukunft Möglichkeiten schaffen kann». Denn, davon ist Degen überzeugt, mit der Elektromobilität werde der Individualverkehr tendenziell überproportional zunehmen, womit potenziell weitere Bevölkerungsgruppen auf den Individualverkehr umsteigen würden.
Ideologische Verwirrung
Die hohe Gewichtung des Veloverkehrspotenzials hält Degen für «eine ideologische Verirrung»: Die Distanzen im oberen Baselbiet und den umliegenden Kantonen seien dafür zu weit. Viele Pendler stammten aus den Kantonen Aargau und Solothurn und lediglich ein kleiner Teil der Verkehrsteilnehmer fahre nur die Strecke Gelterkinden–Sissach, ist Degen überzeugt. Auch im Umsteigen auf den öV sieht er keine wirkungsvolle Entlastung für die Sissacherstrasse, da die Züge bereits mehr als überlastet seien.
«Was passiert denn nun mit den genannten Optionen Knoten Sissach Ost und Knoten Roseneck?», möchte Degen gerne wissen. Die einfachen Optimierungen sind für den Gelterkinder im Bericht des Regierungsrats zu wenig konkret. Dabei enthalte dieser mit der Optimierung der Knoten, Ausbau der kombinierten Mobilität und dem regionalen Verkehrsmanagement prüfenswerte Gedanken, «die bloss einer weiteren Konkretisierung bedürften und allenfalls ‹Quick wins› darstellen könnten».
Sofortmassnahmen erwartet
Aufgrund der sehr hohen Anzahl Stimmen für die Überweisung des Postulats hätte der FDP-Landrat erwartet, dass die Regierung einfache Massnahmen sofort konkret angeht. Denn: «Ganz generell sollten wir uns an den Bedürfnissen der mobilen Bevölkerung orientieren und nicht einfach versuchen, eine Verkehrsart abzuwürgen. Ausserdem wäre es sinnvoll, die Option Umfahrung anzudenken und Massnahmen für eine spätere Realisierung einzuleiten.»
Die Bau- und Planungskommission hat die Abschreibung des Anti-Stau-Postulats einstimmig beschlossen, was Degen bedauert, denn damit dürfte sich im Landrat keine Debatte ergeben. Er sei kein Freund von Postulaten, die «ewig stehen bleiben» und werde sich der Abschreibung nicht widersetzen. Aber: «Ich werde nun etwas abwarten und allenfalls mit weiteren Vorstössen konkrete Fragen zum Umsetzungsstand stellen.»