Ruf nach besserem Hochwasserschutz
27.07.2021 Baselbiet, Zunzgen, Tenniken, NaturChristian Horisberger
Das fatale Hochwasser vom 23. Juni sitzt vielen Hauseigentümerinnen und -eigentümern noch tief in den Knochen. «Die Besorgnis ist gross, dass das Wasser wieder kommt», sagt der Zunzger Gemeindepräsident Hansruedi Wüthrich. Zögen ...
Christian Horisberger
Das fatale Hochwasser vom 23. Juni sitzt vielen Hauseigentümerinnen und -eigentümern noch tief in den Knochen. «Die Besorgnis ist gross, dass das Wasser wieder kommt», sagt der Zunzger Gemeindepräsident Hansruedi Wüthrich. Zögen seither Gewitter auf, bekomme er häufig Anrufe von Bürgern, die sich erkundigten, was sie unternehmen können, um ihre Häuser zu schützen – und ob und wo Sandsäcke verfügbar seien. Oft werde auch gefordert, dass die Gemeinde etwas unternehmen solle, um das Hochwasserrisiko zu bannen.
Ähnlich die Situation in Tenniken oder in Rothenfluh, wo das schwere Gewitter ebenfalls für Überschwemmungen gesorgt hatte. Patrick Vögtlin, interimistischer Gemeindepräsident von Rothenfluh, spricht von einer latenten Verunsicherung in der betroffenen Bevölkerung, Tennikens Gemeindepräsidentin Sandra Bätscher von Angst. «Das ist kein Zustand für die Leute», sagt sie.
«Wir nehmen die Besorgnis sehr ernst», versichert Hansruedi Wüthrich. Als Sofortmassnahme hat die Gemeinde unter dem Autobahn-Viadukt Sand bereitgestellt, mit dem Einwohnerinnen und Einwohner ihre Sandsäcke füllen können. Dabei lässt es der Gemeinderat aber nicht bewenden. Um die Hochwassergefahr zu reduzieren, sucht Zunzgen das Gespräch mit dem Kanton und mit der Gebäudeversicherung, wie die «bz Basel» berichtete. Desgleichen Tenniken und Rothenfluh.
Verzögerung wegen Naturschutz
Wüthrichs Fokus liegt auf dem Nestelbach, vom Gebiet Hard her kommend. Bereits beim Hochwasser von 2016 schwoll das Bächlein massiv an, ergoss sich quer durchs Dorf und richtete enormen Schaden an. Der Bau eines Rückhaltebeckens und eines Rechens für das Geschiebe seien längst in Planung, die Umsetzung verzögert sich gemäss Wüthrich aber unter anderem wegen Natur- und Umweltschutzvorgaben.
Eine ganz andere Baustelle sei der Diegterbach: «Je weiter unten im Tal, desto grösser ist das Risiko, dass er über die Ufer tritt», sagt Wüthrich. Auch über einen Hochwasserschutz für den Diegterbach will sich Wüthrich daher mit Vetretern des Kantons unterhalten. Hier möchte er die anderen Gemeinden des Diegtertals mit ins Boot holen, um in Liestal mehr Druck aufbauen zu können. Wobei guter Rat teuer ist: So kann sich der Zunzger Präsident nicht vorstellen, dass das Bachbett so tief ausgehoben wird, damit es Wassermassen wie die vom 23. Juni schlucken könnte.
Ohne auf die konkrete Situation vor Ort einzugehen, hält Philipp Meyer von der Abteilung Wasserbau beim Kanton fest, dass bei offenen Gewässern drei Massnahmen infrage kommen: eine Erhöhung der Bachmauern, eine Verbreiterung des Bachs sowie eine Tieferlegung. In der Regel würden die drei Massnahmen bei Hochwasserschutzprojekten kombiniert.
Um eine Begehung vor Ort will auch der Rothenflüher Patrick Vögtlin die Abteilung Wasserbaufachleute des Kantons bitten. In seiner Gemeinde liegt der Fokus auf dem Dübach, der die gesamte Hirschengasse unter Wasser gesetzt hatte. «Wir möchten die Flaschenhälse eruieren und anschauen, was gemacht werden muss, um weitere Überflutungen zu verhindern», sagt Vögtlin. Denn in Anbetracht des Klimawandels dürfte es nun keine 100 Jahre dauern, bis es wieder zu einem «Hundertjährigen» kommt.
Massnahmen reichten nicht aus
Auch Tenniken hat die Abteilung Wasserbau um einen Lokaltermin gebeten. Besonderes Augenmerk soll dabei dem Bach im Gebiet Buelzgraben gelten. Nach dem Hochwasser von 2016 seien beim bereits bestehenden Rückhaltebecken weitere Verbauungen gemacht worden, die nun jedoch nicht ausgereicht hätten. Bätscher möchte die Situation weiter optimieren. Sie könnte sich vorstellen, dass ein weiteres Rückhaltebecken oder die Ableitung eines Teils des Wassers in andere Bahnen das Überschwemmungsrisiko im Dorf bannen könnte.
Ein weiterer Engpass befindet sich unter dem Boden: Im Tenniker Siedlungsgebiet laufen unterirdisch zwei Bäche, einer davon ist der Leisimattbach, zusammen. Bei extremem Starkregen drücken die Wassermassen an die Oberfläche, da die Dolen überlastet sind. Dann herrscht im Niedermattquartier und an der Alten Landstrasse Land unter. Einen Gesprächstermin mit dem Kanton gebe es noch nicht, sagt Bätscher. Sie hoffe, dass die Angelegenheit möglichst rasch in Angriff genommen werden kann – bevor wieder etwas passiert. Auf eigene Faust dürfe die Gemeinde nichts unternehmen: «Die Fliessgewässer sind in der Zuständigkeit des Kantons.» Wasserbau-Fachmann Meyer hält fest: Der Kanton sei nur für offene Fliessgewässer zuständig. Für eingedolte Bäche liege die Verantwortung bei den jeweiligen Grundeigentümern, also je nachdem bei Gemeinden, Privaten oder dem Kanton.
Dafür, dass die Gemeinden den Hochwasserschutz lieber heute als morgen in Angriff nehmen möchten, hat der Wasserbau-Ingenieur grosses Verständnis. Der Leisimattbach in Tenniken und der Diegterbach in Zunzgen seien in der Naturgefahrenkarte des Kantons erfasst und befänden sich auf der «To-do-Liste» des Kantons. Aber: Er selber sei seit dem Birs-Hochwasser von 2007 mit der Umsetzung von baulichen Massnahmen in fünf Laufentaler Gemeinden beschäftigt. Das Zigmillionen-Franken-Projekt lastet ihn die kommenden Jahre ziemlich aus. Der zweite Projektleiter bei der Abteilung Wasserbau müsse sich demnach um die weiteren 81 Gemeinden im Kanton Baselland kümmern …