«Der Klimawandel bringt neue Pollen in unsere Breiten»
28.05.2021 Baselbiet, Gesundheit, Natur, SchweizSie sind gefürchtet: Die Pollen der Gräser plagen rund 1,2 Millionen Pollenallergikerinnen und -allergiker in der Schweiz. Da es noch eher nass und kalt ist, sind sie dieses Jahr spät dran. Während sonnigen Abschnitten fliegen sie so richtig los.
Christian ...
Sie sind gefürchtet: Die Pollen der Gräser plagen rund 1,2 Millionen Pollenallergikerinnen und -allergiker in der Schweiz. Da es noch eher nass und kalt ist, sind sie dieses Jahr spät dran. Während sonnigen Abschnitten fliegen sie so richtig los.
Christian Roth
Frau Ravazzolo, gibt es einen Anstieg der Allergiker in der und weltweit?
Bettina Ravazzolo: Ja, es wird allgemein eine Zunahme von Allergien beobachtet. So hat beispielsweise die Häufigkeit der Pollenallergie in der Schweiz seit Anfang des 20. Jahrhunderts frappant zugenommen: Reagierte in den 1920er-Jahren etwa 1 Prozent der Bevölkerung auf Pollen, sind es heute 20 Prozent.
Warum nehmen Allergien zu?
Seien es Allergien auf Lebensmittel, auf Pollen oder Hausstaubmilben – die Gründe sind in unserem westlichen Lebensstil zu finden: Unser vielseitiger und exotischer Speisezettel bringt uns mit mehr möglichen Auslösern in Kontakt. Zudem halten wir unseren Hygienestandard so hoch, dass das Immunsystem weniger mit echten Erregern konfrontiert ist und sich darum gegen harmlose Stoffe wehrt. Und: Die Veränderung des Klimas bringt neue Pflanzen in unsere Breiten und damit neue Pollen. Auch die Luftschadstoffe haben Auswirkungen: Sie können Pollen aggressiver machen und die Atemwege zusätzlich reizen. Nicht zuletzt dauert die Pollensaison länger als früher. Die Saison von Hasel, Birke und Esche beginnt aufgrund des Klimawandels etwa zwei bis drei Wochen früher als vor dreissig Jahren. Die Gräser stehen im Mai rund zehn Tage früher in Blüte und gewisse Pflanzen blühen länger in den Herbst hinein.
Gibt es Veränderungen der Pflanzentypen, die Allergien auslösen?
Aufgrund des Klimawandels verändert sich die Vegetation in der Schweiz. So kann sich künftig etwa die Birke auch in höheren Gebieten ausbreiten, was zu mehr Pollen in den Bergen führen kann. Zudem können neue allergene Pflanzen aus dem Mittelmeergebiet bei uns heimisch werden, wie etwa der Olivenbaum, die Zypresse oder das Glaskraut.
Wieso ist die Nordschweiz ein Hotspot?
Die Stärke des Pollenflugs ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Neben dem jeweils aktuellen Wetter kann etwa bei Gräserpollen auch die Intensität der landwirtschaftlichen Nutzung eine Rolle spielen. Dazu können wir aber leider nicht mehr sagen. Für genauere Informationen verweisen wir gerne an Meteo Schweiz.
Was sind die meisten und schlimmsten Symptome bei Allergikern?
Die Symptome einer Pollenallergie sind meistens Niesattacken, laufende oder verstopfte Nase, erschwerte Nasenatmung, juckende und tränende Augen und auch Juckreiz in Gaumen, Nase und Ohren. Wird eine Pollenallergie über eine längere Zeit nicht behandelt, kann sich ein allergisches Asthma entwickeln.
Was kann man gegen die Allergie tun?
Wir empfehlen, eine Allergie stets von einem Hausarzt oder einer Allergologin abklären zu lassen. Die Behandlung der Wahl ist bei Heuschnupfen – neben möglichst wenig Kontakt mit dem Allergieauslöser – die Einnahme von Antihistaminika, allenfalls in Kombination mit Kortisonpräparaten. Die Pollenallergie kann auch ursächlich angegangen werden mit einer allergenspezifischen Immuntherapie (Desensibilisierung): Laut Studien können die Beschwerden um 75 bis 80 Prozent gelindert und der Medikamentenverbrauch dadurch deutlich reduziert werden.
Wie lässt sich der Kontakt mit den Pollen möglichst gering halten?
Ein paar Verhaltenstricks können helfen, dass Betroffene weniger Symptome haben: den Pollenflug mit der App «Pollen-News» verfolgen, nur kurz stosslüften, draussen immer eine Sonnenbrille tragen, Wäsche nicht im Freien trocknen lassen, Kleider nicht im Schlafzimmer ausziehen und deponieren, vor dem Schlafengehen die Haare waschen.
Mit welchen Allergien kann man sich problemlos gegen Covid-19 impfen lassen?
Eine Covid-19-Impfung ist für die meisten Allergiebetroffenen unbedenklich. So können alle Personen, die auf Pollen, Nahrungsmittel, Hausstaubmilben, Tiere, Insektengift oder Latex allergisch sind, ganz normal geimpft werden.
Was ist für Sie und Ihre Organisation relevant, um die Allergien zu behandeln?
Als gemeinnützige Stiftung und gesamtschweizerische Patientenorganisation unterstützen wir Menschen, die an Allergien, Asthma, atopischen Ekzemen oder Intoleranzen leiden. Indem wir Betroffene informieren, beraten und schulen, können sie den Umgang mit ihren gesundheitlichen Einschränkungen verbessern und zu mehr Lebensqualität finden. Wir führen auch immer wieder Präventions- und Informationskampagnen durch, um auch eine breite Öffentlichkeit für die vielschichtige Allergiethematik zu sensibilisieren, und schulen ausserdem Fachpersonen, damit diese ihr Wissen weitergeben können.