«Vor Weihnachten wurde ich überrannt»
22.01.2021 Bezirk Waldenburg, Gesundheit, Reigoldswil, Bildung, GesellschaftAusgefragt: Schulsozialarbeiter Harry Barelds, Reigoldswil
Der Reigoldswiler Schulsozialarbeiter Harry Barelds steht in direktem Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern. Er erzählt, wie die Jugendlichen mit der Pandemie umgehen, wo die grössten Schwierigkeiten liegen ...
Ausgefragt: Schulsozialarbeiter Harry Barelds, Reigoldswil
Der Reigoldswiler Schulsozialarbeiter Harry Barelds steht in direktem Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern. Er erzählt, wie die Jugendlichen mit der Pandemie umgehen, wo die grössten Schwierigkeiten liegen und welche positiven Effekte die Einschränkungen durch das Virus mitbringen.
Lara Uebelhart
Herr Barelds, die Corona-Massnahmen führen auch bei den Schulen zu strengen Regeln. Wie gehen die Schülerinnen und Schüler mit den Einschränkungen im Schulalltag um?
Harry Barelds: Die Schülerinnen und Schüler gehen extrem gut mit der Situation um. Zuerst haben sie das Virus noch nicht so ernst genommen. Ich finde aber, sie sind Jugendliche und sie dürfen auch rebellieren und mal ohne Maske herumlaufen. Das gehört zum Erwachsenwerden. Gerade mit dem Mundschutz hatten anfangs viele Jugendliche Mühe. Die Masken verschwanden immer wieder. Wir haben dann vermehrt kontrolliert und die Pausenaufsicht verstärkt. Ziemlich bald haben sie gemerkt, dass es uns ernst ist. Zu Beginn gab es noch Umarmungen zur Begrüssung. Jetzt begrüssen sie sich entweder per Fuss, Ellenbogen oder mit der Faust. Die Jugendlichen sind mittlerweile sehr diszipliniert. Niemand möchte krank werden. Wir haben zum Glück fast keine positiven Fälle. Bis jetzt haben sich erst zwei Schüler angesteckt. Andere Schulen hatten weniger Glück.
Gibt es unter den Jugendlichen Symptome von «Pandemie-Müdigkeit»?
Allgemein ist die Stimmung gut. Die Schülerinnen und Schüler sind, wie immer, positiv gestimmt. Sie haben jetzt bei dem vielen Schnee beispielsweise trotzdem eine Schneeballschlacht gemacht. In der dritten und letzten Klasse ist es etwas anders. Da geht es jetzt unter anderem um die Lehrstellensuche, und nicht jeder und jede kann schnuppern gehen. Viele Geschäfte sind geschlossen. Das macht die Berufsfindung schwieriger.
Mit welchen Problemen kommen jetzt, während der Pandemie, die Schülerinnen und Schüler in der Beratung am häufigsten zu Ihnen?
Psychische Probleme, also Depressionen, haben zugenommen. Und die sozialen Medien gibt es ja immer noch. Über diese Kanäle kann man weiterhin jemanden fertigmachen. Das hat sich auch unter Corona nicht verändert. Die psychische häusliche Gewalt hat ebenfalls zugenommen. Es ist nicht einfach, wenn pubertierende Jugendliche vermehrt zu Hause sind. Es gibt Eltern, die damit leider nicht umgehen können.
Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag als Schulsozialarbeiter während der Pandemie verändert?
Im ersten Lockdown haben wir die Beratungen online via Microsoft Teams angeboten. Da haben wir aber gemerkt, dass die Schülerinnen und Schüler das nicht wirklich nutzen wollten, die Hemmschwelle war höher. Sie haben direkte Gespräche lieber. Aber auch danach war es eher ruhig. Vor Weihnachten wurde ich dann überrannt. Es gab sehr viele Fälle von häuslicher Gewalt, Depressionen oder Cybermobbing. Es ist normal, dass Schulsozialarbeiter vor Weihnachten «Highlife» haben. Aber in diesem Jahr kam es wirklich in Massen. Jetzt habe ich wieder nur wenige Fälle, die sind dafür happig. Es ist schwierig, einen direkten Zusammenhang zu Corona herzustellen, aber einige Fälle haben sicher mit der Pandemie zu tun. Und die Beratungen sind mit Mundschutz anders als ohne. Wir haben beispielsweise Schülerinnen und Schüler mit Asperger oder Autismus. Sie haben natürlich grosse Mühe, wenn sie die Mimik des Gegenübers nicht sehen können.
Die Corona-Fallzahlen halten die und auch das Oberbaselbiet trotz der bestehenden Massnahmen weiterhin in Atem. Was halten Sie von möglichen Schulschliessungen?
Die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrpersonen sind gut auf eine mögliche Schliessung vorbereitet. Wir haben aus dem ersten Lockdown natürlich enorm viel gelernt. Jeder Schüler und jede Schülerin hat ein eigenes Tablet oder einen Laptop von der Schule, um den Unterricht zu Hause zu gewährleisten.
Wie wichtig sind die sozialen Kontakte für die Jugendlichen? Diese würden durch Schulschliessungen bestimmt stark eingeschränkt werden.
Es ist wichtig, dass die Jugendlichen irgendwie noch zusammenkommen. Sie brauchen die sozialen Kontakte. Das und weitere Gründe sprechen dafür, dass die Schulen offenbleiben. Es ist wichtig, dass sie bei einer allfälligen Schulschliessung trotzdem miteinander virtuell Unterricht haben. Die Struktur muss beibehalten werden, der Stundenplan bleibt. Leider haben wir in Reigoldswil kein Jugendhaus, und die Sportvereine fallen auch aus. Alle Orte, wo die Jugendlichen ihre Energie ausleben können, sind weg.
Gibt es denn auch positive Aspekte, welche die Jugendlichen aus der Pandemie mitnehmen können?
Sie haben ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass das Leben nicht immer einfach ist und dass man das Leben geniessen muss. Und dass man nicht immer das machen kann, was man gerne möchte. Ich habe das Gefühl, dass sie einen grösseren Respekt für das Leben entwickelt haben.
Zur Person
lue. Harry Barelds arbeitet seit 16 Jahren als Schulsozialarbeiter an der Sekundarschule in Reigoldswil. Auch an den Primarschulen in Reigoldswil und Birsfelden ist er in seinem, wie er selber sagt, «Traumjob» tätig. Der dreifache Vater, wohnhaft in Augst, kommt ursprünglich aus Holland und lebt seit 1988 in der Schweiz. Barelds ist der am längsten tätige Schulsozialarbeiter im Kanton.