Zukunft der «Tschudy-Villa» bleibt ungewiss

  19.06.2025 Bezirk Sissach, Gesellschaft, Gemeinden, Bauprojekte, Sissach

Kantonsgericht entscheidet nicht über Schutzwürdigkeit und spielt den Ball an die Regierung zurück

Abreissen oder teilweise beziehungsweise komplett wiederaufbauen? Der Entscheid über den Fortbestand der Sissacher «Tschudy-Villa» wurde vertagt. Das Kantonsgericht hat den Fall gestern an den Regierungsrat zurückgewiesen. Dieser muss ein besseres Gutachten einholen.

Janis Erne

Ist die Sissacher «Tschudy-Villa» schützenswert und muss sie wieder aufgebaut werden? Diese Fragen hat das Kantonsgericht gestern nicht beantwortet. Stattdessen hat das höchste Baselbieter Gericht die Sache an die Vorinstanz, den Regierungsrat, zurückgewiesen. Dieser muss die Schutzwürdigkeit des 1924 erbauten Gebäudes erneut beurteilen. Zu diesem Schluss sind die fünf Kantonsrichter gestern einstimmig gekommen.

«Die Sachverhaltsabklärung ist nicht Sache des Kantonsgerichts, sondern der Experten», brachte Richter Markus Clausen die Meinung seiner Kollegen auf den Punkt. Das Gutachten, auf dessen Grundlage der Regierungsrat seine Interessenabwägung vorgenommen und die «Tschudy-Villa» unter Denkmalschutz gestellt hat, sei unvollständig. Dies insbesondere, weil der Gutachter keinen Zugang ins Innere des Gebäudes erhielt. Auch seien wesentliche Dokumente im Gutachten nicht berücksichtigt worden, sagte Richter Jgnaz Jermann. Dazu zähle etwa ein Dokument der Vorgängerin der Denkmal- und Heimatschutzkommission aus den 1990er-Jahren, die damals gegen einen möglichen Abriss der «Tschudy-Villa» nichts eingewandt habe.

Die Richter liessen durchblicken, dass es angebracht sei, den Gutachter zu wechseln («um die festgefahrene Situation zu lockern und einen Neubeginn zu ermöglichen»). Angesichts der finanziellen Tragweite – der komplette Wiederaufbau der «Tschudy-Villa» würde mehrere Hunderttausend Franken kosten – sei es zentral, eine fundierte Grundlage zu haben: Dimension sowie Art und Weise der Beschädigung, Möglichkeiten zum Wiederaufbau und das Preisschild müssten klar sein, so Markus Clausen. «Allenfalls reicht es, das Gebäude äusserlich wiederherzustellen und innen auszuhöhlen», sagte Gerichtspräsident Pascal Leumann. Kurzum: Es müsse klar sein, was geschützt werden soll und was nicht. Dabei solle auch der Ist-Zustand des arg beschädigten Gebäudes berücksichtigt werden.

«Das geht nicht»
Zur Kritik an der Vorinstanz, der ungenaues Arbeiten vorgeworfen wurde, mischten sich auch Vorwürfe an die andere Partei, also an Laurent de Coulon. «In einem Rechtsstaat geht es nicht, das Recht in die eigene Hand zu nehmen und sich über eine Anordnung der Behörden hinwegzusetzen», sagte Daniel Ivanov – «egal, welche Meinung man über den Denkmal- und Heimatschutz hat.» Die Bagger auffahren und trotz Verbot ein Gebäude abbrechen zu lassen, sei nicht akzeptabel.

Auf die Beschwerden von Laurent de Coulon gegen die provisorischen Schutzmassnahmen (unter anderem Sicherheitsdienst, Gerüst und Notdach) trat das Gericht nicht ein, da diese bereits vollzogen wurden. Über die Kostenübernahme der Massnahmen entschied das Kantonsgericht nicht. Wer was zahlen muss, könne erst geklärt werden, wenn die definitive Kostenverfügung seitens der Behörden vorliege. Hierbei geht es Stand heute um rund 250 000 Franken, rechnete Ivanov vor.

Die Fragen zur Schutzwürdigkeit und zu den Kosten sind also vertagt. Wie beurteilt Laurent de Coulon diesen Entscheid? Nach der Verhandlung sprach er vor versammelter Medienschar von einem «Etappensieg»: «Ich gehe davon aus, dass der Regierungsrat die Hausaufgaben, die er nun erhalten hat, ziemlich rasch erledigen wird.» Die Frage, ob er einen neuen Gutachter ins Gebäude lassen würde, beantwortete der Weinhändler nicht. Sobald das schriftliche Urteil vorliegt, will sich das Team von Laurent de Coulon näher äussern, unter anderem zur Überbauung auf dem Areal der «Tschudy-Villa» – geplant sind rund 70 Wohnungen.

Kritik am Bundesgericht
Bis ein neues Gutachten zur Schutzwürdigkeit vorliegt und allfällige Beschwerden behandelt sind, wird es Monate, wenn nicht Jahre dauern. Ein Umstand, über den sich die Kantonsrichter gestern wiederholt kritisch äusserten. «Irgendwann muss man weiterkommen – oder soll das Notdach bis 2050 stehen, bis es selbst ein Schutzdenkmal wird?», fragte Richter Stefan Schulthess rhetorisch.

Er sprach von einer Pattsituation, die vorerst nicht aufgelöst werde.

Hintergrund der Kritik ist die Unklarheit beim Denkmalschutz – genau genommen bei der Frage, ob ein Gebäude auch ohne Einwilligung des Eigentümers unter Schutz gestellt werden darf. Das Baselbieter Denkmalund Heimatschutzgesetz (DHG) sei diesbezüglich nicht einheitlich, so die Richter, die erwähnten, dass vor der «Tschudy-Villa» erst einmal ein Gebäude gegen den Willen des Eigentümers unter Schutz gestellt worden war: die alte Schmitte in Ziefen 1996.

Es bestehe Handlungsbedarf für den Gesetzgeber, also den Landrat, das DHG anzupassen. Zumal das Bundesgericht mit Verweis auf das internationale Granada-Abkommen die Unterschutzstellung eines Gebäudes auch ohne Einverständnis des Eigentümers als rechtens einstufte. Auf diesen Entscheid bezog sich auch der Regierungsrat im Fall der «Tschudy-Villa».

Stefan Schulthess kritisierte diese Praxis: Indem das Bundesgericht das Granada-Abkommen grundsätzlich über Schweizer Recht stelle, sei es über das Ziel hinausgeschossen, und die Behörden seien dieser Ansicht «in vorauseilendem Gehorsam» gefolgt. Sein Unverständnis gründet darin, dass sich besagtes Abkommen nur auf «herausragende Objekte» bezieht, was die Unterschutzstellung ohne Einverständnis des Eigentümers anbelangt. Ob diese Beschreibung auf die «Tschudy-Villa» zutrifft, liess Schulthess offen: «Über den Wert des Gebäudes muss man sich nochmals Gedanken machen.» Genau das wird der Regierungsrat nach dem gestrigen Entscheid des Kantonsgerichts tun müssen.


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