Wo es vor dem Anstieg Wasser und Kohle gab
27.03.2025 Bezirk Sissach, Gesellschaft, Wirtschaft, Baselbiet, SissachSeit 170 Jahren an das Eisenbahn-Netz der SBB angeschlossen
Sissach ist seit 1855 an das Schweizer Schienennetz angeschlossen. Das löste in der Gemeinde ein wirtschaftliches Wachstum aus, und sie entwickelte sich zum Zentrum des Oberbaselbiets. Zuerst ging es über den Oberen ...
Seit 170 Jahren an das Eisenbahn-Netz der SBB angeschlossen
Sissach ist seit 1855 an das Schweizer Schienennetz angeschlossen. Das löste in der Gemeinde ein wirtschaftliches Wachstum aus, und sie entwickelte sich zum Zentrum des Oberbaselbiets. Zuerst ging es über den Oberen Hauenstein Richtung Olten und Süden.
Kurt Häring
Kurz nachdem 1712 die Dampfmaschine erfunden worden war, wurde in England die Lokomotive entwickelt. Es dauerte aber bis 1825, bis die erste neun Meilen lange Eisenbahnstrecke mit der Fahrt der von George Stephenson erbauten Lokomotive «Nr. 1» eröffnet wurde. Die Spurweite dieses Gleises betrug 1435 mm. Dieses Mass wurde zur Normalspur und ist heute noch fast überall in der Welt gebräuchlich – auch in der Schweiz, wo sich die Eisenbahn ebenfalls im Schnellzugstempo entwickelte.
Schon ab 1820 begannen die damals noch souveränen Kantone und einige Industrielle, die Einführung der Eisenbahn zu planen. Da die Interessen aber recht gegensätzlich waren, wurde vorläufig nichts daraus. Dafür fuhr 1839 das erste Dampfschiff von Luzern nach Flüelen. Das erste Eisenbahnstück auf heutigem Schweizer Boden war ab 1844 das Ende der Strecke Strassburg–Basel mit einem provisorischen Bahnhof beim heutigen Bahnhof St. Johann. 1854 wurde die Linie in die immer noch von einer Mauer umgebene Stadt verlängert, wobei die Züge über eine Brücke über den Stadtgraben fuhren.
Da die Einführung des Eisenbahnverkehrs überall in der Schweiz vorangetrieben wurde, entstand 1852, vier Jahre nach der Annahme der Verfassung, das erste Eisenbahngesetz. Damit war der Weg frei für mehrere Privatbahnen. Führend dabei war die Schweizerische Centralbahn in Basel, die bereits 1854 das erste Teilstück der geplanten Strecke ins Mittelland von Basel bis Liestal in Betrieb nahm. Dieser Eröffnung gingen heftige Diskussionen voraus. So wurde der Bahnhof Muttenz weit weg vom Dorf gebaut, da die Bauern befürchteten, dass ihre Kühe wegen der rauchenden, pustenden Ungeheuer weniger Milch geben würden. Das wiederum führte dazu, dass der einst grösste Güterbahnhof der Schweiz in Muttenz angelegt wurde.
Die Eisenbahn in Sissach
Bereits ein halbes Jahr nach Liestal wurde auch Sissach am 1. Juni 1855 an diese Bahnlinie angeschlossen. Es wurde über zwei Linienführungen diskutiert, die eine über Gelterkinden, Rothenfluh und Oltingen durch die Schafmatt nach Aarau, das dann Eisenbahn-Knotenpunkt geworden wäre. Die Zentralbahn hat sich aber für die Variante durch das Homburgertal und durch den Hauenstein nach Olten entschieden. Dadurch war, anders als in den anderen Gemeinden im Ergolztal, die Lage des Bahnhofs vorgegeben. Er musste so angelegt werden, dass die Strecke dem Abhang des Homburgertals entlang weitergeführt werden konnte.
Schon vom ersten Tag an fuhren fünf Züge von Sissach nach Basel und fünf auch wieder zurück. An Sonnund Feiertagen waren es sogar noch zwei mehr. Die Fahrzeit betrug 43 Minuten. Von Sissach aus wurde in den kommenden Jahren dem Hang des Homburgertals entlang die Strecke vorerst bis Läufelfingen gebaut und am 1. Mai 1857 eröffnet. Keinen Monat später, am 28. Mai, ereignete sich beim Bau des Hauensteintunnels auf der Südseite ein schreckliches Unglück, dem 63 Arbeiter zum Opfer fielen. Trotzdem wurde kein Jahr später, am 1. Mai 1858, die Strecke bis Olten eröffnet. Damit war eine durchgehende Bahnstrecke von Basel – und damit von Deutschland und Frankreich – ins Mittelland entstanden. Olten war der Knotenpunkt, von dem aus es Linien in die ganze Schweiz und später nach Italien gab. Damals wie heute gehörte die Strecke von Basel nach Olten zu den wichtigsten der Schweiz.
Sissach war auf dieser Strecke die wichtigste Station. Hier begann die eigentliche Bergstrecke. Darum musste in Sissach die Dampflokomotive, die den Zug von Basel bis hierher gezogen hatte, neu betankt werden: An der «Tankstelle» wurden Wasser und Kohle nachgefüllt. Der runde Wasserturm und der Wasserhahn sind heute noch erhalten.
Auch die Lokomotiv-Remise steht noch. Diese und die dahinter liegende Drehscheibe, mit der die Dampflokomotiven von Hand in Fahrtrichtung gedreht wurden, zeugen von einer weiteren Besonderheit des Bahnhofs. Da die Strecke bis zum Scheiteltunnel sehr steil war, musste vor allem an schweren Güterzügen und den langen internationalen Schnellzügen eine zweite Lokomotive vorgespannt oder angehängt werden. Hatten sie in Läufelfingen ihren Dienst getan, kehrten sie im Leerlauf zu ihrem «Heimatbahnhof» zurück. Zwei bis vier solche Ungetüme, als solche wurden sie am Anfang betrachtet, wurden in und bei der Remise unter Dampf gehalten und rauchten still vor sich hin, damit sie stets betriebsbereit waren. Die Gebäude entlang der Strasse waren Werkstätten und Unterkünfte mit Küche für die Lokführer. Diese kann man an der Reuslistrasse auf dem Areal, auf dem heute die Wagen der «Modern Steam am Hauenstein GmbH» stehen, heute noch sehen.
Die alte Hauensteinstrecke war anfänglich die einzige des Landes mit Rechtsverkehr, weil so die Züge auf der rassigen Talfahrt auf der sicheren Bergseite fuhren. Als letzte Strecke der SBB wurde die alte Hauensteinlinie 1953 elektrifiziert.
Der grosse Aufschwung
Der Anschluss an das Eisenbahnnetz löste in Sissach einen grossen Aufschwung aus. Auf beiden Seiten der Bahnlinie entstanden mehrere Fabriken, Gewerbebetriebe und vor allem auch Gaststuben. Bald gab es an der Bahnhofstrasse deren sieben. Das hatte einen besonderen Grund: Während des Abhängens, Auftankens und Kohlenachfüllens und des Vor- oder Anhängens der zweiten Lokomotive verpflegten sich dort die Passagiere der internationalen Schnellzüge und kehrten kurz vor der Abfahrt, zum Teil von den Kondukteuren eingesammelt, in die Zugabteile zurück.
Auch auf die Bevölkerungszahl hatte die Eisenbahn einen grossen Einfluss. 1850 lag sie bei 1374. 20 Jahre später lebten hier bereits 1841 und 1900 schon 2798 Personen. Davor reichte das Dorf im Osten bis zum grossen Giebelhaus mit der Jahreszahl 1518. Nun wurde das Gebiet zwischen Hauptstrasse und Bahnlinie in kurzer Zeit überbaut und bis zur oberen Bahnhofstrasse erweitert.
Der wohl wichtigste Zuzüger war der Negoziant Josef Meyer aus Hergiswil. Er errichtete 1858 zwischen der Hauptstrasse und dem Bahnhof einen kleinen Laden. Weil wegen seines besonders guten Käses die Leute mit der Bahn von weit herfuhren, wurde er «Cheesmeyer» genannt. Seine Nachkommen bauten 1901 das erste Warenhaus im Kanton, das heute noch fast so aussieht wie damals. Bei der Kirche entstanden ebenfalls neue Quartiere.
Auch «hinter» der Bahnlinie, auf der Südseite, wurde gebaut. Die erste Strasse war die Margarethenstrasse. Sie erhielt ihren Namen, weil sie vom Bahnhof nach Süden führt, genau wie die Margarethenstrasse in Basel. Die Sissacher wollten städtisch wirken. Um in dieses Quartier zu kommen und um den Bauern die Möglichkeit zu geben, die Felder hinter der Bahnlinie zu bewirtschaften, wurden beim Bau der Bahn fünf Niveauübergänge errichtet. Diese hatten aber ein grosses Gefahrenpotenzial, verunglückten doch immer wieder Leute tödlich. Deshalb wurden die Übergänge 1899 wieder aufgehoben und durch eine Unterführung ersetzt. 1916 wurde östlich des Güterschopfs eine Passerelle gebaut, die aber acht Jahre später, bei der Elektrifizierung der Strecke, bereits wieder abgebrochen wurde.
Heute noch ist der Sissacher Bahnhof der wichtigste im Oberbaselbiet mit über 75 Schnellzügen pro Tag nach Basel, Olten und direkt nach Zürich und Luzern. Zudem ist er immer noch Ausgangspunkt des «Läufelfingerlis» und mehrerer Buslinien. Beim grossen Umbau 2007 wurde darauf geachtet, dass die alte Hauenstein-Linie als Ausweichroute benutzt werden kann.
Das «Gälterchinderli»
Durch den Entscheid gegen die Schafmattbahn war Gelterkinden vom Eisenbahnverkehr abgeschnitten. Das führte zur Gründung der S.G.B., der Sissach–Gelterkinden-Bahn. Das «Gälterchinderli» war eine Strassenbahn mit Meterspur. Sie wurde am 16. Mai 1891 in Betrieb genommen und war die zweite elektrisch betriebene Eisenbahn der Schweiz. Ihr Bahnhof war vor dem Bahnhofsgebäude. Bei der Eröffnung prangte auf der Lokomotive ein Schild mit dem Vers:
Ich puste, rauche, pfeife nicht und fahre leicht davon, warum, das weiss ich selber nicht, fragt die Herr’n aus Oerlikon.
Im Haus mit dem Türmchen direkt neben der «Badi» war die Turbine für die Stromproduktion untergebracht. Da aber Ergolz und Homburgerbach nicht immer genügend Wasser lieferten, musste bald auch eine Dampflokomotive angeschafft werden. Die Elektrolokomotive wurde 1915 aus dem Verkehr gezogen. Am 7. Januar 1916 wurde der Betrieb eingestellt, weil am Tag darauf der Hauenstein-Basistunnel eröffnet wurde. Und auch zum Abschied erhielt das «Gälterchinderli» ein Gedicht:
Heut rase ich zum letzten Mal
Durchs wunderschöne Ergolztal!
Ich habe meine Pflicht getan
Und mache Platz der Bundesbahn!
Adee ihr lieben Aktionär!
S’gibt keine Dividenden mehr!
Ihr denkt gewiss mit stillem Weh
Noch lange an die S.G.B.
Der Autor Kurt Häring arbeitete nach seiner Ausbildung zum Primarlehrer sechs
Jahre im Güterbahnhofdorf Muttenz, bevor er 1973 nach Sissach wechselte, wo er 39 Jahre im Schulhaus Dorf tätig war.