«Wir sind uns des Jö-Effekts bewusst»
28.02.2025 Baselbiet, Gesellschaft, Baselbiet, NaturAls oberster Baselbieter Jäger steht Martin Thommen voll und ganz hinter der konsequenten Jagd auf Waschbären. Gleichzeitig hat er als Stiftungsratspräsident des Tierparks Weihermätteli die Aufnahme einer Gruppe der Kleinbären befürwortet.
Christian ...
Als oberster Baselbieter Jäger steht Martin Thommen voll und ganz hinter der konsequenten Jagd auf Waschbären. Gleichzeitig hat er als Stiftungsratspräsident des Tierparks Weihermätteli die Aufnahme einer Gruppe der Kleinbären befürwortet.
Christian Horisberger
Herr Thommen, wir haben es soeben im Gehege des Tierparks Weihermätteli erlebt: Waschbären sind ganz herzige Tiere. Man hat eher den Wunsch, sie zu streicheln, als sie tot sehen zu wollen. Geht es Ihnen als Jäger auch so?
Martin Thommen: Ich finde sie auch herzig, keine Frage. Aber als invasive Tierart gehören sie einfach nicht in unsere Gegend.
Haben Sie je einen gestreichelt?
Das nicht, nein.
Verzichten Sie bewusst darauf?
Ich hatte bisher nicht das Bedürfnis danach. Das hat aber gar nichts damit zu tun, dass ich es so vermeide, eine zu enge Bindung zum Tier aufzubauen.
Wie schwer fällt es Ihnen als Jäger, einen Waschbären in Freiheit zu töten?
Bis jetzt ist es nicht dazu gekommen. Und wenn es so wäre: Für mich ist es immer ein emotionaler Akt, ein Tier zu töten. Es braucht für mich immer Überwindung. Jedes Mal, wenn ich ein Tier zur Strecke gebracht habe, bin ich überwältigt und aufgewühlt. Das wäre bei einem Waschbären nicht anders. Ich hätte dieselbe Ehrfurcht. Aber ich könnte es tun. Das gehört zu den Aufgaben eines Jägers.
Haben Sie auch noch keinen Waschbären in Freiheit angetroffen?
Nein.
Den meisten anderen Jägern geht es gleich. Dennoch werden die Tiere konsequent gejagt. Wie gross ist das Waschbär-Problem im Baselbiet tatsächlich?
Im Moment zum Glück noch nicht riesig. Wir wissen ja nicht genau, wie viele wir im Kanton haben. Aber aufgrund der gemeldeten Sichtungen aus der Bevölkerung und von Jägern gehen wir davon aus, dass es deutlich mehr als 100 sind.
Das sind wirklich nicht viele …
Noch nicht. Aber wenn man nicht eingreift, werden aus 100 schnell einmal 1000 und mehr. Waschbären fühlen sich bei uns sehr wohl, vermehren sich mit durchschnittlich drei bis vier Jungtieren stark und haben vor allem kaum natürliche Feinde.
Auch den Luchs nicht?
Luchse kämen infrage, doch die streifen durch die Wälder und sind menschenscheu, während sich die Waschbären weitgehend in den Agglomerationen aufhalten, wo sie am leichtesten zu Futter kommen und auch Unterschlupf finden.
Wo sind im Baselbiet die grössten Populationen?
Wenn man von den Sichtungen ausgeht, dann der Ergolz entlang. Die meisten Meldungen betreffen die Räume Liestal-Sissach-Gelterkinden.
Gibt es Anhaltspunkte, warum sie sich das Baselbiet und hier das Ergolztal ausgesucht haben?
Hauptgrund ist die Nähe zu Deutschland. Dort ist der Waschbär weit verbreitet und wird intensiv bejagt. Im vergangenen Jahr wurden dort mehr als 200 000 Tiere zur Strecke gebracht. Über den Rhein kommend, wandern die Tiere südwärts und sind damit bei uns und in anderen Grenzkantonen im Norden angekommen. Je südlicher, desto weniger Sichtungen gibt es in der Schweiz. Den Bächen entlang wandern sie, weil sie dort Wasser, Nahrung und Deckung haben.
Wie dramatisch wäre eine stärkere Verbreitung effektiv?
Als guter Kletterer bedroht der Waschbär mit dem Ausräumen von Vogelnestern einheimische Vogelarten. Er vertilgt auch Fische,Amphibien oder Froschlaich. Und die Schäden, die er im Unterbau von Hausdächern anrichten kann, sind deutlich gravierender als beispielsweise diejenigen von Mardern.
Die Sichtungen und Schäden sind bislang überschaubar. Dennoch hat das Baselbiet zum Angriff auf die Tiere geblasen; das ist schwer nachzuvollziehen.
Wenige Schäden gibt es gerade deshalb, weil wir seit 2022 gegen diese Einwanderer konsequent vorgehen. Würden wir nicht handeln, käme es in kürzester Zeit zur explosionsartigen Verbreitung und wir würden der Sache nicht mehr Herr und Meister. Darum lieber früh eingreifen.
Gibt es wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse darüber, wie stark der Waschbär das Ökosystem aus dem Gleichgewicht bringt?
Davon habe ich keine Kenntnis.
Wie stehen die Jägerinnen und Jäger zur Jagd auf Waschbären?
Es ist sicher nicht ihr Lieblingsjob. Aber längst nicht alle Jäger kommen mit dem Waschbären in Kontakt. Zumeist sind es die Jagdaufseher, die bei Sichtungen Anlaufstelle sind. Handelt es sich um einen Waschbären, der sich beispielsweise in einem Dachstock eingenistet hat, rückt in der Regel der Jagdaufseher aus, stellt Fallen auf und bringt die gefangenen Tiere in den Wald, um sie dort zu töten.
Werden Fleisch und Fell verwertet?
Waschbärfleisch ist meines Wissens nicht gefragt. Was das Fell angeht, bräuchte es für einen Mantel 30 bis 40 Waschbären, und ob ein Jäger mit einem solchen Mantel in der Öffentlichkeit gut ankommt, ist fraglich … Es gibt aber Jäger, die sagen, dass sie sich aus einem selbst erlegten Waschbären eine Mütze anfertigen lassen würden.
Als Präsident von Jagd Baselland unterstützen Sie die Tötung von Waschbären. Als Vertreter des Tierparks in Liestal präsentieren Sie die putzigen Tierchen, die so in der Bevölkerung Sympathien gewinnen. Kein Widerspruch?
Zunächst: Wir wollen ein attraktiver Tierpark sein. Deshalb haben wir entschieden, Waschbären aufzunehmen. Es sind interessante Tiere und man bekommt sie fast nirgendwo sonst zu sehen. Schon bei der Aufnahme der Tiere vor drei Jahren war die drohende Ausbreitung im Kanton ein Thema. Wir fanden aber, das sei eine gute Kombination: Die Attraktivität des Tierparks erhöhen auf der einen Seite und auf der anderen eine Art Plattform schaffen, um darüber zu informieren, dass der Waschbär nicht in unsere Natur gehört und deshalb bekämpft werden muss.
Ist der Effekt nicht der, dass Kinder und Eltern eher Mitleid mit ihm haben, wenn sie erfahren, dass auf ihn Jagd gemacht wird?
Natürlich sind wir uns des Jö-Effekts bewusst – ich persönlich trage ja selber zwei Hüte. Und es ist genau das, was wir wollten: aufklären, informieren und Verständnis schaffen. Dafür muss man das Tier aber auch zeigen.
Funktioniert das Konzept?
Die Menschen verstehen es. Jedenfalls hören wir in den Gesprächen mit Parkbesuchern nicht, dass sie den Abschuss von Waschbären strikt ablehnen.
Als ein Sissacher Jagdaufseher vom Baselbieter Jagdverwalter die Order erhielt, einen gefangenen Waschbären zu töten, den er hätte in einem Tierpark unterbringen können, hatten nicht viele Menschen Verständnis …
Das war etwas anderes. Es ging um ein verwaistes Waschbär-Baby …
Das ist eine Nuance. Die Sympathien waren beim herzigen Tier und beim Jäger, der es verschonen wollte.
Zu Beginn hatten wir hin und wieder Anfragen, ob gefangene Waschbären bei uns im Tierpark einquartiert werden könnten. Die Jagdverwaltung hat hier aber eine glasklare Position: Das kommt nicht infrage, ein wildes Tier kommt nicht in Gefangenschaft.
Das sagt die Jagdverwaltung. Was sagt der Präsident von Jagd Baselland?
Ich bin hier natürlich etwas gespalten. Als der kleine verwaiste Jungbär gefangen worden ist, hätte ich grundsätzlich Sympathien für einen Entscheid auf der Basis gesunden Menschenverstands gehabt: kastrieren und im Tierpark aufnehmen. Aber ich sehe auch, dass der Kanton damit ein Präjudiz geschaffen hätte, was er keinesfalls wollte. Das kann ich absolut nachvollziehen.
Zur Person
ch. Der Sissacher Martin Thommen (63) ist Präsident von Jagd Baselland und Stiftungsratspräsident des Tierparks Weihermätteli in Liestal. Beruflich war er bis zu seiner Pensionierung im Bankwesen tätig und präsidiert aktuell den Verwaltungsrat der Elektra Baselland.
Lästiger Hausgast ohne natürliche Feinde, aber Publikumsliebling
ch. Als gebietsfremde Art bedroht der Waschbär einheimische Tierarten wie Vögel, Kleinsäuger, Reptilien und Amphibien und hat so gut wie keine natürlichen Feinde. Sein natürliches Habitat sind wasserreiche Mischwälder, aber er fühlt sich auch im Siedlungsgebiet wohl, wo er Abfälle nach Nahrung durchwühlt und sich häufig in Dachstöcken einnistet. Innerhalb von Häusern kann er mit seinen Fäkalien für Verschmutzungen sorgen und insbesondere an der Dachisolation grossen Schaden anrichten.
Der Waschbär war ursprünglich in Nordund Mittelamerika heimisch. Seine Verbreitung in Europa geht auf Deutschland zurück: 1934 wurden dort Tiere zu Jagdzwecken ausgesetzt und 1945 sollen Exemplare aus einer Pelzfarm entwichen sein. In einzelnen Regionen Deutschlands sind die Tiere zur Plage geworden. Die Population in der Schweiz entwickelte sich bisher zögerlich. Erst 2020 gab es den ersten nachgewiesenen Fortpflanzungserfolg. Als invasive Art können Waschbären ganzjährig gejagt werden.
Im Tierpark Weihermätteli in Liestal leben seit 2022 Waschbären. Es ist die einzige Gruppe der Kleinbären-Art, die in einem öffentlichen Tierpark oder Zoo in der Region zu sehen ist. Tierpflegerin Marine Bläuer beschreibt die Waschbären als intelligent, geschickt, friedlich, neugierig und verspielt. Deshalb seien sie bei den Parkbesuchern auch sehr beliebt. Gegenüber den Tierpflegern seien die Tiere zutraulich. Ausser, wenn sie sich bedrängt oder bedroht fühlten – beispielsweise beim Impfen: Dann könnten sie selbst gegenüber den ihnen vertrauten Tierpflegern rabiat werden, so Bläuer. Und wenn es ums Futter geht, könnten sich die Waschbären, speziell die Weibchen, auch gegenseitig anfauchen und einander wegstossen.
Um auszuschliessen, dass die Waschbären ausbüxen und sich in freier Wildbahn fortpflanzen, wurden sie nicht nur kastriert, sondern es musste auch ein fluchtsicheres Gehege mit Eingangsschleuse und Elektrozaun gebaut werden.