Wenige Jahre vor der Rente aussortiert
24.01.2025 Bezirk Sissach, Region, Baselbiet, Gesellschaft, BöcktenEinst war er selbst Arbeitgeber, jetzt haben ihn seine Arbeitgeber altersbedingt fallen gelassen: Der Verkaufsprofi Reto Gyger stempelt mit einem kleinen Unterbruch seit zwei Jahren. So wie ihm geht es im Baselbiet fast 400 Personen, die 60 oder älter sind und keine Arbeit mehr finden.
...Einst war er selbst Arbeitgeber, jetzt haben ihn seine Arbeitgeber altersbedingt fallen gelassen: Der Verkaufsprofi Reto Gyger stempelt mit einem kleinen Unterbruch seit zwei Jahren. So wie ihm geht es im Baselbiet fast 400 Personen, die 60 oder älter sind und keine Arbeit mehr finden.
Andreas Hirsbrunner
Reto Gyger aus Böckten teilt sein Schicksal mit Hunderten anderer im Baselbiet, aber er ist einer der wenigen, die öffentlich darüber reden: Er ist 60 Jahre alt und ohne Arbeit. «Das ist zermürbend, weil man auf Stellensuche unabhängig von den Qualifikationen alleine aufgrund des Alters automatisch ausgeschieden wird», sagt Gyger. Der gelernte Verkaufskoordinator kann breite berufliche Erfahrung aufweisen, die ihn zeitweilig auch ein Stück weit zu einer Person des öffentlichen Lebens gemacht haben. So war er unter anderem Inhaber und Geschäftsführer des Liestaler Sportgeschäfts «Sport bym Törli» (1995 bis 2019) sowie des Switcher-Shops nebenan (2003 bis 2017) und Geschäftsführer der Sport Sissach AG, bei der er die Gesamtverantwortung für den operativen Betrieb der Eis- und Curlinghalle, des Schwimmbads sowie von zwei Pachtrestaurants inne hatte (2017 bis 2020).
Sein Geschäft «Sport bym Törli» habe wie andere regionale Sportgeschäfte in Sissach und Oberdorf wegen des Online-Handels und des Einkaufstourismus im nahen Ausland die Segel streichen müssen. Ein letztes Aufbäumen mit einem grossen gemeinsamen Geschäft vis-à-vis des Frenkendörfer Bahnhofs sei nach dem Absprung eines Investors gescheitert, erzählt Gyger. 2020 folgte er dem Ruf einer Billig-Warenhauskette, die ihm unter anderem den Einkauf für die Sport-Outlet-Läden übertrug, und gab seine Stelle bei der Sport Sissach AG auf. Doch das Glück verliess ihn zweieinhalb Jahre später: «Ich wurde Opfer einer Umstrukturierung, bei der die Ältesten entlassen wurden. Man behielt lieber die jüngeren, günstigeren Mitarbeiter.»
Perspektivlosigkeit nagt an ihm
Damit begann für Gyger eine mühsame, fast zweijährige Zeit der Arbeitslosigkeit mit Dutzenden von Bewerbungen und ebenso vielen Absagen. Dann im August des letzten Jahres ein Lichtblick, der bereits Ende Jahr wieder endete: «Ich erhielt bei einer grösseren Solar-Firma eine Stelle als Senior Sales Manager. Doch sie hatte sich mit gleichzeitig vier neuen Mitarbeitern im Aussendienst übernommen. Die beiden ältesten, ein 61-Jähriger und ich, mussten gehen.»
Resultat: Gyger ist seit Beginn dieses Jahres wieder auf Stellensuche. Er sagt: «Es ist frustrierend, denn ich will arbeiten, ich fühle mich energiegeladen und will noch etwas reissen in meinem verbleibenden Berufsleben.» Primär suche er eine Stelle in jenen Branchen, bei denen sein Rucksack am grössten sei. Doch er könne sich auch vorstellen, bei einer Firma wie der Securitas zu arbeiten, denn man lerne bei jedem Job etwas.
Die momentane Ungewissheit, wie es weitergeht, nage an ihm. Er versuche, dagegen zu halten, indem er sich eine Tagesstruktur gebe. So stehe er morgens um sieben Uhr auf, schreibe Bewerbungen, erledige den Haushalt – seine Frau steht im Berufsleben –, sei handwerklich tätig und treibe viel Sport. Aber er relativiert: «Das ist alles gut und recht, doch nicht so erfüllend wie ein Job, in dem man gefordert wird.»
«Ältere sind verlässlicher»
Dass gerade Gyger wenige Jahre vor der Pensionierung arbeitslos wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn er schaute zu seinen Zeiten als Arbeitgeber darauf, dass auch ältere Personen zu seinem Team gehörten. So war die Hälfte des zehnköpfigen Personals in seinen beiden Liestaler Geschäften «Sport bym Törli» und Switcher-Shop älter als 50. Gyger sagt: «Ein Mix aus Jung und Alt ist ideal. Für die älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spricht nebst dem grösseren Know-how, dass sie in der Regel verlässlicher und loyaler sind. Das hat auch damit zu tun, dass sie mangels Stellenalternativen abhängiger sind vom Arbeitgeber.»
Im vergangenen Dezember waren im Baselbiet laut kantonalem Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Kiga) 376 Personen im Alter 60 plus arbeitslos. Das entspricht einer Quote von 2,5 Prozent, die leicht tiefer ist als jene über alle Alterskategorien (2,6 Prozent). Mit 2,8 Prozent am höchsten war im Dezember die Arbeitslosenquote bei der Kategorie der 25- bis 49-Jährigen. Roman Zaugg, stellvertretender Kiga-Leiter, kommentiert die Zahlen aus seinem Amt mit den Worten: «Ältere Personen sind im Vergleich zu jüngeren weniger häufig von Arbeitslosigkeit betroffen. Allerdings profitieren sie weniger schnell von konjunkturellen Aufhellungen im Vergleich zu Jüngeren – einmal arbeitslos, haben Ältere häufig mehr Mühe, wieder eine passende Anstellung zu finden.»
Arbeitgeber gefordert
Zaugg betont, dass die Bedeutung von älteren Arbeitskräften für den Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren stetig zugenommen habe und weiter wachsen werde. Hinter diesem Trend stehe einerseits die demografische Entwicklung, andererseits sei das Qualifikationsniveau der heutigen älteren Arbeitskräfte deutlich höher als früher. Den besonderen Schwierigkeiten von Älteren trage die Arbeitslosenversicherung Rechnung, indem sie länger Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung als Jüngere hätten und ihnen ein breites Angebot an spezifischen Massnahmen zur Verfügung stünde, um den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu verbessern, erläutert Zaugg.
Reto Gygers Blick geht indes in Richtung Arbeitgeber: «Der Ball liegt bei ihnen. Ich bin überzeugt, dass es Lösungen gibt, wenn die Arbeitgeber wollen. Ich zum Beispiel könnte mir vorstellen, auf einen Teil des Lohns zu verzichten, um meine gegenüber einem Jungen höheren Sozialabgaben zu kompensieren.» Und Gyger regt an, dass sich Arbeitgeber, die Senioren beschäftigen, mit Kampagnen in der Öffentlichkeit in ein gutes Licht rücken können, so wie sie es auch mit der Lehrlingsausbildung gemacht haben.