Ueli Fausch und das politische Netzwerk Sissachs
07.02.2025 Baselbiet, Sissach, Gemeinden, Baselbiet, PolitikHistoriker Ruedi Epple hat das politische Netzwerk der frühen 1950er-Jahre in Sissach rekonstruiert. 115 Schlüsselfiguren bestimmten damals die Geschicke der Gemeinde. Ueli Fausch, später als Kommunist gebrandmarkt, war bis zur Russlandreise ...
Historiker Ruedi Epple hat das politische Netzwerk der frühen 1950er-Jahre in Sissach rekonstruiert. 115 Schlüsselfiguren bestimmten damals die Geschicke der Gemeinde. Ueli Fausch, später als Kommunist gebrandmarkt, war bis zur Russlandreise seiner Frau Helene Bossert fest im lokalen Machtgefüge verankert.
Ruedi Epple
Als Helene Bosserts Reise in die Sowjetunion 1953 in Sissach hohe Wellen warf, war sie nicht alleine betroffen. Es litten auch die Männer an ihrer Seite: Bosserts Ehemann Ulrich Fausch und ihr gemeinsamer Sohn Hans-Ulrich. Ein Blick auf das politische Netzwerk Sissachs jener Tage zeigt, dass der gesellschaftliche Ausschluss mit Ueli Fausch keinen Aussenseiter traf. Im Gegenteil: Man stellte mit ihm jemanden ins gesellschaftliche Abseits, der bis zu diesem Zeitpunkt sehr wohl dazu gehört hatte.
Wertet man Verzeichnisse von Kommissionen und ihren Mitgliedern, Gemeinderatsprotokolle sowie Berichte der «Volksstimme» aus, lässt sich ein Netzwerk der politischen Elite Sissachs erstellen. Dieses umfasste um 1950 insgesamt 115 Personen. Es handelte sich um 5 Frauen und 110 Männer. Die Männer wirkten in Behörden wie dem Gemeinde- oder Bürgerrat mit oder waren Mitglieder von Kommissionen, die sich beispielsweise um Baulinien, Kanalisationen, Steuern oder Rechnungen kümmerten. Die Frauen, die damals noch kein Stimmrecht besassen, gehörten wie etwa Pauline Wirz der Schulpflege an oder hatten wie Salome Rickenbacher das Amt der Salzauswägerin inne.
Die Netzwerkkarte
Das Netzwerk zwischen den 115 Personen entstand, weil diese im gleichen Gremium sassen oder der gleichen politischen Partei angehörten (vgl. Netzwerkkarte). Die einzelnen Personen, die um 1950 zum Netzwerk gehörten, sind in der Grafik mit einem Kreis repräsentiert. Dessen Grösse sagt etwas über deren Einfluss aus: Je grösser der Kreis, desto einflussreicher war die Position der Person. Die Farbe des Kreises verrät, welcher politischen Gruppierung die betreffende Person angehörte: Die Mitglieder der Demokraten oder der Evangelischen Volkspartei sind gelb gezeichnet. Die bürgerlichen Kräfte aus der freisinnigen oder der Bauernpartei sind an der blauen Farbe zu erkennen. Rot ist, wer als Gewerkschafter oder Sozialdemokrat der Arbeiter-Union angehörte. Personen, für die sich keine Parteizugehörigkeit feststellen lässt, bleiben weiss.
Die Verbindungen zwischen den einzelnen Kreisen bilden die Kontakte zwischen den Personen ab. Diese sind gegeben, wenn die Personen den gleichen Gremien oder der gleichen Partei angehörten. Die Dicke einer Verbindung sagt etwas über die Häufigkeit der Kontakte aus: Je dicker die Verbindung, desto häufiger sind die Kontakte. Wer mehreren Gremien angehörte, stand zu mehr Personen in regelmässigem Kontakt. Spitzenreiter unter diesem Aspekt war damals Gemeinderat Theodor Rippstein von der Arbeiter-Union. Er war für die Bildung zuständig und sass in sechs Gremien. Dadurch kam er regelmässig mit fast der Hälfte der Personen in Kontakt, die dem politischen Netzwerk angehörten.
Politisches Zentrum
In der Netzwerkkarte der politischen Elite Sissachs fällt zunächst ein verdichtetes und zudem buntes Zentrum auf. Die Personen, die um 1950 zu diesem Zentrum gehörten, zeichneten sich erstens dadurch aus, dass sie untereinander stark verbunden waren. Zweitens ist an der Grösse der Kreise erkennbar, dass hier die einflussreichsten Netzwerkpersonen anzutreffen waren. Drittens weist die Buntheit darauf hin, dass die meisten Personen dieses Zentrums einer Partei angehörten: Wer in den wichtigen Gremien, etwa im Gemeinderat, aktiv sein und über Einfluss verfügen wollte, musste damals einer Partei angehören. Parteilose Personen wie etwa Hans Schelker-Furler oder Willy Rünzi-Albrecht, die ebenfalls dem politischen Zentrum angehörten, bildeten die Ausnahme.
Um 1950 waren die bürgerlichen Parteien im politischen Zentrum Sissachs etwas stärker vertreten als die übrigen Parteien. Das Kräfteverhältnis betrug etwa 3 zu 2 zum Vorteil der Bürgerlichen. Wenn die Kräfteverhältnisse trotz Mehrheitswahlrecht nicht krasser ausfielen, so hing das mit dem freiwilligen Proporz zusammen. Häufig taten sich die Parteien zusammen und schlugen den Stimmberechtigten eine gemeinsame Kandidatenliste zur Wahl vor. Kampfwahlen fanden deshalb selten oder nur dann statt, wenn sich sogenannte «wilde» Kandidaten fanden, die sich dem freiwilligen Proporz der Parteien nicht unterziehen wollten.
Verdichtete Randregionen
Zum andern zeigt die Netzwerkkarte eine Reihe verdichteter Regionen, die um das politische Zentrum herum angesiedelt sind. Bis auf eine Ausnahme setzten sich diese aus parteilosen Personen zusammen. Die Ausnahme bildete die Region C, die sich am oberen Rand befindet. Dabei handelte es sich um Vertreter der Bürgergemeinde, die hin und wieder unter der Bezeichnung «Eine Wählerversammlung» in Erscheinung traten. Diese Gruppierung vertrat in erster Linie die Interessen der Sissacher Bürger.
Bei den weiteren verdichteten Regionen handelt es sich um Kommissionen, deren Mitglieder untereinander in regelmässigem Kontakt standen. So sind in der Region B etwa die Angehörigen der Armenpflege aufzufinden. Diese stand damals noch in engem Kontakt mit dem Bürgerrat, weil die Finanzierung der Armenunterstützung bis in die 1970er-Jahre hinein eine wichtige Aufgabe der Bürgergemeinden war. In der Person von Pfarrer Andreas Pitschen-Kleiber war aber auch die Kirchgemeinde in diesem Gremium vertreten.
In den Regionen F und G als weitere Beispiele sind die Mitglieder der Primarschulpflege und der Rekurskommission anzutreffen. Hier ist am unteren Rand des politischen Zentrums auch Ulrich Fausch-Bossert aufzufinden, der gleichzeitig beiden Gremien angehörte. In Verbindung mit seiner Mitgliedschaft in der Arbeiter-Union führte diese Doppelmitgliedschaft dazu, dass Fausch auch dem Zentrum des politischen Netzwerks angehörte. Er war unter den Mitgliedern der Arbeiter-Union eine der einflussreicheren Personen.
Festungswachtkorps
Der im St. Galler Rheintal aufgewachsene Ueli Fausch kam 1942 nach Sissach. Als Angehöriger der 4. Kompanie des Festungswachtkorps war er in der Unteren Fabrik einquartiert. In der Soldatenstube des Schweizer Verbands Volksdienst lernte er Helene Bossert kennen. Im Januar 1944 heirateten die beiden. Im Oktober 1945 kam ihr Sohn Hans-Ueli zur Welt. 1948 zog die Familie von der «Müli» ins eigene Haus beim Eptingerbrücklein in der Bützenen um.
Als aktiver und politisch links stehender Gewerkschafter war Fausch Mitglied der Arbeiter-Union Sissach. 1947 wählten ihn die Stimmberechtigten in die Primarschulpflege. Dort wirkte er während vieler Jahre als Aktuar. Zudem gehörte er der Rekurskommission an, welche über Steuerangelegenheiten zu befinden hatte. Wie Gemeindepräsident Karl Matter später aussagte, habe man gemerkt, dass Fausch «sehr links» stehe, doch sei seine Mitarbeit in beiden Gremien korrekt gewesen und habe «nie Anlass zur Klage gegeben».
Mit politischen Anliegen trat Fausch in seinen Ämtern nur ausnahmsweise in Erscheinung. So etwa, als die Schulpflege 1952 über die Teilnahme der Schülerschaft an einem Schützenfest diskutierte. Bei dieser Gelegenheit beantragte Fausch unter Verschiedenem, die Lehrerschaft solle ihre gesamte Tätigkeit «unter das Motto ‹Erziehung zum Frieden›» stellen. Die Schulpflege stimmte der Tätigkeit von Schülern als Zeiger am Schützenfest zu, begrüsste gleichzeitig aber auch Fauschs Antrag. Der Rektor übernahm es, dessen Anliegen an die Lehrerschaft weiterzuleiten.
Die Wiederwahl in seine Ämter schaffte Fausch jeweils mit guten Ergebnissen. Auch in der Nachbarschaft wurde Fausch zu einem geschätzten und gut integrierten Mitbürger. Gemeindepräsident Matter, der oft in persönlichem Kontakt zu Fausch stand und ihn hin und wieder in privaten Angelegenheiten beriet, meinte: Er habe Fausch als «integre», «solide», «aufrichtige», «schweizerisch und vaterländisch gesinnte» und «um seine Familie besorgte» Person kennen gelernt.
Ein Kommunist? Ein Kommunist!
Doch Helene Bosserts Reise in die Sowjetunion änderte die Situation Fauschs schlagartig. Der bisher nur gerüchteweise zirkulierende Verdacht, er sei 1950 aus dem Festungswachtkorps entlassen worden, weil er ein radikaler Kommunist sei, galt nun von einem Tag auf den anderen als Gewissheit. Ohne über weitere Beweise zu verfügen, entzog ihm die Arbeiter-Union in einer Medienmitteilung das Vertrauen.
Fausch liess sich vorerst nicht aus der Ruhe bringen. Er hoffte, der Sturm, der seine Familie heimsuchte, werde sich bald legen, und setzte sich mit Briefen an den Gemeinderat gegen die Verunglimpfungen seiner Frau zur Wehr. Auch an seinen Ämtern hielt er vorläufig fest. Doch seine Hoffnungen erfüllten sich nicht. Die Familie Fausch-Bossert blieb im gesellschaftlichen Abseits. Ohne Unterstützung der Arbeiter-Union verlor Ueli Fausch seine Ämter und damit auch seine Position im politischen Netzwerk Sissachs. Spätestens ab Ende 1955 gehörte er in Sissach nicht mehr dazu.
Der Sissacher Historiker Ruedi Epple arbeitet an einer Biografie Ulrich Fauschs. Am Donnerstag, 20. Februar, 19.30 Uhr, stellt er im «Cheesmeyer» Ulrich Fausch und seine Arbeit an dessen Biografie vor.
Ausstellung und neue Publikation
vs. Im «Distl – Dichter:innen- und Stadtmuseum Liestal» läuft seit dem 9. November 2024 und noch bis zum 17. August 2025 die Sonderausstellung «Helene Bossert – Heimatdichtung und Hexenjagd». Unter dem gleichen Titel ist eine knapp 260 Seiten starke Publikation mit verschiedenen Beiträgen zum Fall Helene Bossert erschienen. Im Buch geht Historiker Ruedi Epple ausführlich auf Bosserts Ehemann Ulrich Fausch ein. Die Publikation ist beim Verlag Baselland erschienen und ist im Buchhandel erhältlich.