«Sie verdienen Wertschätzung»
05.12.2025 Baselbiet, Gesellschaft, Baselbiet, KircheSozialarbeiter Samuel Hofer über den Tag der Freiwilligen, der heute stattfindet
Trotz seines jungen Alters hat Samuel Hofer beruflich schon einiges gesehen. Eine Begegnung mit dem 28-Jährigen, der seit gut 100 Tagen in der Reformierten Kirchgemeinde Liestal-Seltisberg als ...
Sozialarbeiter Samuel Hofer über den Tag der Freiwilligen, der heute stattfindet
Trotz seines jungen Alters hat Samuel Hofer beruflich schon einiges gesehen. Eine Begegnung mit dem 28-Jährigen, der seit gut 100 Tagen in der Reformierten Kirchgemeinde Liestal-Seltisberg als Sozialarbeiter tätig ist.
Anna Wegelin
Samuel Hofer hat sein Büro mit Gesprächsecke im schmucklosen Kirchgemeindehaus Martinshof in Liestal. Wer seinen frisch gestrichenen Arbeitsraum betritt, fühlt sich sofort wohl. Der Raum strahlt eine schlichte Schönheit aus. An der Wand hängen Druckgrafiken in Schwarz und Gold: ein Leuchtturm, ein Herz mit Gesichtszügen «für die Nächsten- und die Selbstliebe», so Hofer, und Zugvögel im V-Flug über der Sonne.
«In der V-Formation unterstützt man sich gegenseitig», sinniert der 28-jährige Baselbieter. Wer zuvorderst fliege, bekomme am meisten Gegenwind: «Wird dir das zu viel, wechselst du nach hinten und der Nächste übernimmt. Wenn man als Gruppe in der V-Formation zusammen unterwegs ist, entsteht eine spannende Dynamik.»
Eine spannende Dynamik vermittelt auch Samuel Hofer selbst, der in seiner freien Zeit Badminton spielt. «Man kann zwischen dem ganz Feinen und dem Festen variieren», erklärt er. «Das gibt es so in keinem anderen Racketsport.» Ist er von A nach B unterwegs, fährt er gerne «Surfskate», ein Skateboard für das wellenförmige, ausbalancierende Kurvensegeln über den Asphalt. «Ich liebe dieses Ding», so Hofer, «auch in meinem Beruf muss man skaten können.»
Seit gut 100 Tagen ist Hofer als Sozialdiakon in der Reformierten Kirchgemeinde Liestal-Seltisberg angestellt. Diakonie bedeute, den Mitmenschen zu dienen, erklärt er: «Sozialdiakonie ist professionalisierte Diakonie, die trotzdem nahe am Menschen bleibt.» Fachwörter wie «Partizipation» oder «Empowerment» zu kennen, mache noch keinen guten Sozialdiakon aus, meint er. Es sei die «Substanz bei der Arbeit mit den Menschen, die zählt. Sozialdiakonie ist eine lebenslange Aufgabe und ich stehe erst am Anfang.»
Die Grundhaltung in der kirchlichen Sozialarbeit sei der Glaube an den dreieinigen Gott, erklärt Hofer, und das Vorbild kein Geringerer als Jesus, für ihn ein «Gamechanger». Jesus habe die Weichen neu gestellt, indem er die herkömmlichen Maximen Macht, Status und Herrschen diametral umdrehte, hinstand und sagte, er sei da zum Dienen. «Jesus vollzog den ‹Werteswitch›. Was immer wieder als wertlos galt, bekam jetzt erst recht einen Wert.» Dies fasziniere ihn und habe ihm selbst «einen neuen Sinn und eine neue Perspektive gegeben».
Auf der «Hupp» aufgewachsen
Hofer gefällt es am neuen Arbeitsplatz: «Ein tolles Team und ein guter Mix aus unterschiedlichen Leuten.» Es habe schon eine Weile gedauert, bis er den richtigen Beruf gefunden habe, erzählt er. Dass er sich in Sozialdiakonie mit HF-Abschluss ausbildete, erstaunt nicht. Für andere da sein als Mitglied einer intrinsisch motivierten Gemeinschaft, das kennt er seit seiner Kindheit.
Seine Eltern gründeten mit anderen ein christliches Heim für Kleinkinder auf der «Hupp» bei Wisen (SO), wo Samuel seine ersten vier Lebensjahre verbrachte. Das Kinderheim, ein Bauernhof, gehört heute zum Sozialunternehmen WG Treffpunkt, das auf seiner Website schreibt: «Gott sind Menschen wichtig, darum steht der Mensch bei uns im Mittelpunkt.»
Die Schulzeit durchlief Hofer in Wisen und danach in Trimbach («Das war nicht so toll.»). Mit 16 ging er für ein Jahr als «jeune homme au pair», wie er sagt, in die Nähe von Yverdonles-Bains am Neuenburgersee. «Das war eine tolle Zeit. Ich war frei und lernte Freunde kennen, die das Wochenende auf dem Campingplatz verbrachten.»
Zurück auf der «Hupp», machte er einen kurzen Abstecher an die Wirtschaftsmittelschule, die er allerdings nach kurzer Zeit wieder abbrach. «Das war irgendwie komisch und nicht mein Ding.» Danach durchlief er eine dreijährige Ausbildung in der Systemgastronomie. Sein Arbeitsort war die Pharmafirma Actelion und später Idorsia im heutigen Life-Science-Hotspot Bachgraben in Allschwil.
Dort habe er das Auge fürs Ganze bekommen – Catering und Cafeteria, kalte und warme Küche. Dazu gehörten auch die Kontrolle des Geldflusses und der Abgleich der aufgestockten Kassen. «Und öfters habe ich über den Mittag bis zu 50 Tische abgewischt.»
Nach dem Zivildienst ging Hofer auf eine Pilgerreise: «Das war eine Sinnsuche.» Schliesslich entschied er sich für die Sozialdiakonie. In den vergangenen fünf Jahren war er in der offenen sowie in der kirchlichen Jugendarbeit im Oberbaselbiet tätig, darunter für das Jugendsozialwerk (JSW) in der Region Sissach-Diegtertal und insbesondere für die Kirchgemeinde Zunzgen-Tenniken. Und jetzt, in Liestal? «Nun arbeite ich vermehrt auch im Hintergrund und mit zusätzlichen Altersgruppen», sagt Hofer.
«Kinder sind begeisterungsfähig»
Bei seiner neuen Stelle in Liestal, wo er auch wohnt, hat er eine Vielzahl von Aufgaben. Ein Schwerpunkt wird die Arbeit mit jungen Erwachsenen sein. «Im kommenden Jahr will ich im Sozialraum der Kirchgemeinde erkunden, was sie brauchen und wie Kirche trotz sinkender Glaubwürdigkeit als zugänglicher sowie befreiender Ort erfahrbar wird.»
Zudem leitet er das Mittwochs-Freizeitangebot «Drachenhöhle» für Kinder vom Kindergartenalter bis zur 3. Klasse. «Kinder sind begeisterungsfähig», sagt er. «Das erfüllt mich und gibt Energie.» Als sie kürzlich in der Gruppe zusammen im Wald gewesen seien, hätten die Kinder eifrig Blätter und Eicheln gesammelt und einen erfundenen Schatz gesucht. «Solche Dinge hatte ich als junger Erwachsener gar nicht mehr gesehen.»
Zu seinem breiten Tätigkeitsfeld gehört auch das: im Vorratsschrank Lebensmittel der «Passantenhilfe» wieder auffüllen; einer obdachlosen jungen Frau zuhören und sie an das Frauenheim der Heilsarmee in Basel weiterleiten. «Die Kirche gilt in der Gesellschaft immer noch als ein Ort, der weiterhelfen kann, wenn es um existenzielle Fragen geht», weiss Hofer. Diakonie sei seit jeher die DNA der Kirche.
Die Vorweihnachtszeit gibt auch für ihn besonders viel zu tun. So ist er zuständig für die Koordination des beliebten Kerzen-Ateliers in der Adventszeit (siehe Termine). Und Hofer organisiert zusammen mit den ehrenamtlichen Mitgliedern der Freiwilligenkommission einen Dankesanlass für alle freiwillig engagierten Personen der Kirchgemeinde: Am Internationalen Tag der Freiwilligen, der heute Freitag stattfindet, gibt es für sie einen Hock mit gemeinsamem Pizzaessen. «Freiwillige sollte man nicht nur an ihren Leistungen messen», sagt Hofer. «Sie verdienen vor allem auch Wertschätzung, weil sie Teil eines Ganzen sind für den Dienst an Menschen.»
Zuletzt wollen wir von Samuel Hofer wissen, was neben der Sozialdiakonie und dem Surfskaten Platz hat in seinem jungen Leben. Die Antwort kommt prompt: Klavier spielen zu den Texten des legendären Schweizer Troubadours Mani Matter, der nächstes Jahr 90 geworden wäre. «Mani Matter schafft es, mit Wörterketten vom brennenden ‹Zündhölzli› bis zum Weltkrieg die ganz grossen philosophischen Themen in kleine Alltagsgeschichten zu verpacken – und trifft uns damit im Herzen», sagt Hofer. «Das musst du zuerst mal schaffen und ist brandaktuell.»
Kerzenzieh-Atelier der Kirchgemeinde
Liestal-Seltisberg in Liestal, beim
Kirchgemeindehaus Martinshof an der
Rosengasse 1. Mittwoch, 10., bis Sonntag,
14. Dezember, Öffnungszeiten unter: www.ref-liestal-seltisberg.ch/kerzenziehen/

