«Pflegende gehören ans Bett, nicht ans Pult»
20.06.2024 Baselbiet, Gesundheit, Gemeinden, Gesellschaft, BaselbietThomas Weber kontert als neuer Präsident des Spitex-Verbands Vorwürfe der Befangenheit
Der frühere SVP-Regierungsrat und Gesundheitsdirektor Thomas Weber ist neuer Präsident des Spitex-Verbands Baselland. Weber will dafür kämpfen, dass der Aufwand der ...
Thomas Weber kontert als neuer Präsident des Spitex-Verbands Vorwürfe der Befangenheit
Der frühere SVP-Regierungsrat und Gesundheitsdirektor Thomas Weber ist neuer Präsident des Spitex-Verbands Baselland. Weber will dafür kämpfen, dass der Aufwand der Pflegenden für die Administration reduziert wird, und hat kein Verständnis für die Kritik der FDP, er sei nicht unabhängig.
Jürg Gohl
Herr Weber, können Sie die Argumentation von FDP-Landrat Rolf Blatter nachvollziehen, Sie seien zu befangen für das Präsidium des Spitex-Verbands Baselland? Hat Sie dieser Vorstoss getroffen?
Thomas Weber: Als Politiker verfüge ich inzwischen über einen sehr breiten Rücken. Der Vorstoss gibt mir aus zwei Gründen Rätsel auf: Erstens wurde er erst zwei Tage nach meiner Wahl durch die Delegiertenversammlung eingereicht, obwohl schon lange vorher publik war, dass ich für die Funktion vorgeschlagen war; zweitens ist die Argumentation, ich würde als früherer Gesundheitsdirektor die privaten Spitex-Anbieter benachteiligen, an den Haaren herbeigezogen. Ich präsidiere nicht etwa eine Einrichtung des Kantons, sondern einen kantonalen Dachverband, der auf vereinsrechtlicher Basis funktioniert.
Rolf Blatter fordert in seinem Vorstoss eine – Zitat – «Ausstandspflicht ehemaliger Regierungsmitglieder bei einem engen Bezug zum vormaligen Amt». Was entgegnen Sie?
Würden wir diese Forderung konsequent zu Ende denken, dürfte eigentlich auch kein Landratsmitglied mehr Mandate oder Verwaltungsratsfunktionen von Organisationen in staatlich regulierten Bereichen annehmen. Ich kann beim besten Willen keinen Interessenkonflikt erkennen. Die uns angeschlossenen Spitex-Organisationen, es sind 17 örtliche und 3 im ganzen Kantonsgebiet tätige, handeln mit den Versorgungsregionen beziehungsweise mit den Gemeinden ihre Leistungsvereinbarungen aus. Deshalb sind die gemeinnützigen Spitex-Organisationen im Gegensatz zu den privaten auch verpflichtet, die Kontinuität der Leistungen unter allen Umständen und jederzeit sicherzustellen.
Weshalb kommt der Vorstoss ausgerechnet aus der Partei, die Ihrer SVP am nächsten steht?
Das ist mit der Nähe der FDP zu den privaten Gesundheitsorganisationen und den Wirtschaftsverbänden zu erklären.
Haben Sie einen persönlichen Bezug zur Spitex, oder entstand dieser über Ihre politische Tätigkeit?
Beides. Als ich vor einem Jahr als Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektor aus der Regierung austrat, wurde ich für viele verschiedene Aufgaben angefragt, und bei den meisten habe ich abgesagt. Bei der Spitex sagte ich zu, weil mich die Thematik besonders interessiert, da ich inzwischen auch über 60 Jahre alt bin. Meine Mutter wurde bis zu ihrem Eintritt ins Altersheim durch die Spitex betreut. Es handelt sich hier wirklich um eine sinnvolle Einrichtung, die der Bevölkerung nahesteht und immer wichtiger wird. Und wenn ich mit meinem Engagement etwas dazu beitragen kann, dass die Rahmenbedingungen für die Spitex-Organisationen oder die Kommunikation über ihre Arbeit kontinuierlich gestärkt werden können, so tue ich das sehr gerne.
Im Jahresbericht Ihres Verbands werden für vergangenes Jahr 590 Vollzeitstellen sowie 8600 Klientinnen und Klienten ausgewiesen. Hat Sie dieser Wert überrascht?
Die Zahl 8600 liegt 18 Prozent höher als noch vor fünf Jahren, sie bewegt sich im allgemeinen Trend der vergangenen Jahre. Sieht man vom Ausreisser 2021, dem Corona-Jahr, ab, so steigen die Zahlen bei den betreuten Personen wie bei den geleisteten Stunden Jahr für Jahr spürbar an.
Woran liegt das hauptsächlich?
Ein Grund dafür ist die Demografie. Wir werden immer älter, und die Babyboomer steuern aufs Greisenalter zu. Mit der höheren Lebenserwartung hängt auch zusammen, dass mit dem Alter auch die Fallkomplexität zunimmt. Damit steigen die Ansprüche an die Pflege und die Ausbildung, was wiederum alles fair entschädigt sein soll.
Das Arbeitsvolumen bei der Spitex steigt auch, weil auf der einen Seite Leute früher aus dem Spital entlassen und in die Obhut der Spitex übergeben werden und auf der anderen Seite Heimeintritte immer später erfolgen. Könnten die Spitäler und Heime die Spitex nicht entlasten?
Es ist umgekehrt: Die Spitex entlastet die stationären Einrichtungen. Sie verfügt dazu über zwei entscheidende Vorteile. Die Spitex ist in Zeiten der stetig ansteigenden Gesundheitskosten weit günstiger als Heime und Krankenhäuser, und Pflegebedürftige leben lieber in den eigenen vier Wänden. Getreu dem Grundsatz «ambulant vor stationär». Die Pflege zu Hause wird dann meist von der Spitex erledigt. Eine ähnlich wichtige Rolle, auch bei den jüngeren Personen, kommt übrigens auch der Physiotherapie zu. Eine gute Physio kann dazu beitragen, Pflegekosten zu sparen und operativen Eingriffen vorzubeugen.
Wie finden Sie da beim aktuellen Pflegenotstand genügend Spitex-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter?
Da sprechen Sie ein generelles Problem im Gesundheitswesen an, im stationären wie im ambulanten Bereich. Aus diesem Grund bilden die Spitex-Organisationen auch intensiv Lernende aus. Wir werden eindeutig mehr Pflegepersonal benötigen, um mehr Pflegebedürftige zu betreuen. Die Spitex-Organisationen als Arbeitgeber müssen auch ein gutes Umfeld und Arbeitsklima für ihre Pflegenden schaffen, damit diese auch in ihrem Beruf bleiben.
Aber das reicht nicht. Wie lässt sich der Beruf attraktiver gestalten, wie das ja auch die Pflegeinitiative vorsieht, die wir angenommen haben?
Wer sich für einen Beruf in der Pflege entscheidet, der oder die arbeitet gerne mit Menschen. Das wird mir immer wieder bestätigt. Was diese Angestellten hingegen nicht schätzen, ist die zunehmende Arbeit im Büro. Pflegende gehören ans Bett, nicht ans Pult. Dem ähnlichen Problem begegnen wir auch bei der Polizei oder bei den Lehrpersonen.
Die Administration kann nicht einfach abgeschafft werden.
Nein. Aber sie lässt sich reduzieren und kann vielleicht besser von jemandem mit einer kaufmännischen Ausbildung oder durch gute Informatiksysteme erledigt werden. Es braucht auch wieder einen gewissen «Mut zur Lücke».
Thomi Jourdan, Ihr Nachfolger in der Regierung, hat diesen Schritt kürzlich angekündigt.
Das freute mich sehr. Die Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion befasst sich schon länger mit diesem Thema. Er geht es nun mit einem Projekt der früheren Zürcher Chefärztin Brida von Castelberg konkret an. Ich denke, wir sollten bald einmal damit leben, dass im Gesundheitswesen nicht mehr jedes Detail dokumentiert ist. Zermürbend ist für Pflegende auch, dass sie bei Ausfällen immer wieder kurzfristig einspringen müssen. Auch hier müssten bessere Lösungen zu finden sein. Ein weiterer Faktor, der nicht vernachlässigt werden darf, ist die Stimmung im Team. Sie sehen, diese Faktoren hängen alle eng zusammen.
«Wenig Fingerspitzengefühl bewiesen»
jg. Am 1. Juli ist ein Jahr vergangen, seit Thomas Weber aus dem Baselbieter Regierungsrat ausgetreten ist. Zehn Jahre lang war er dort unter anderem für den Bereich Gesundheit zuständig. Nun bekleidet der 62-jährige SVP-Politiker aus Buus wieder ein öffentliches Amt. Die Delegierten des Spitex-Verbands Baselland wählten ihn am 28. Mai zu ihrem neuen Präsidenten und Nachfolger von Sabine Eglin Buser (die «Volksstimme» berichtete). Zwei Tage nach der Wahl warfen die Freisinnigen dem Oberbaselbieter vor, er werde private Spitex-Organisationen benachteiligen und beweise mit seinem Vorgehen «wenig Fingerspitzengefühl».