Nicht nur Elefanten vergessen nicht
19.03.2024 Bezirk Sissach, Nachtcafé, Kultur, Gesellschaft, Bezirk Sissach, Sissach, BaselbietZolli-Direktor Olivier Pagan war Gast im «Volksstimme»-Nachtcafé
Der Zoo Basel feiert in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen. Zoo-Direktor Olivier Pagan erzählte im «Volksstimme»-Nachtcafé aus dem Zoo-Leben und stellte sich auch der ...
Zolli-Direktor Olivier Pagan war Gast im «Volksstimme»-Nachtcafé
Der Zoo Basel feiert in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen. Zoo-Direktor Olivier Pagan erzählte im «Volksstimme»-Nachtcafé aus dem Zoo-Leben und stellte sich auch der lauter werdenden Kritik an der Institution.
David Thommen
Basler Zoodirektoren sind seit der Gründung der Institution vor 150 Jahren respektable Persönlichkeiten mit Zugang zu den höchsten gesellschaftlichen Kreisen der Stadt. Denn der «Zolli», nur am Rheinknie nennt man einen Zoologischen Garten so liebevoll, war stets das liebste Kind des Daigs, der sich schon früh gerne etwas exotische Weltläufigkeit in die Stadt holte. «Me gitt nyt» soll zwar die Devise der reichen Basler sein, doch für den Zolli galt das nie. Ein neues Affenhaus? Ein neues Vogelhaus? Nie öffnen sich die Herzen und die Portemonnaies der Erben von Roche, Geigy und so weiter schneller. Viele der Altreichen sind traditionell Aktionäre. Auch ein Ozeanium sollte vor einigen Jahren mit Daig-Geld gebaut werden, doch hier sagte das gemeine Stimmvolk schnöde nein.
Olivier Pagan (60) ist seit 20 Jahren Direktor dieser vielleicht baslerischsten aller Institutionen. Vergangene Woche kam er ins Nachtcafé der «Volksstimme» in den Sissacher «Cheesmeyer», um aus dem Leben im Zoo zu erzählen. Hier ging es allerdings weniger um dicke Checks und den geplanten grosszügigen Ausbau des Tierparks. Pagan stieg mit dem Unscheinbaren in diesen Abend ein. Sein Lieblingstier? Keines, befand er. Vielleicht der Spatz, der gerade im Storenkasten vor seinem Bürofenster niste, ihn stets neugierig beäuge und einen unglaublichen Lärm und Dreck verursache. Dieses Freiheitsgefühl, so Pagan, sei beneidenswert.
Um Freiheit gehts im Zoo allerdings eben gerade nicht. Die Institution mit dem Konzentrat der Tierwelt auf verhältnismässig kleinem Raum wird von Teilen der Bevölkerung zunehmend kritisch beurteilt, womit das Thema des Talks an diesem Abend gesetzt war. Darf man Tiere heute überhaupt noch einsperren, um sie den Blicken der nach Zerstreuung suchenden Menschen auszusetzen? In Zookritischen Kreisen in Basel werden in diesem Zusammenhang gerne die einstigen Völkerschauen im «Zolli» erwähnt. Diese seien unethisch gewesen – bei der Zurschaustellung von Tieren müsse man bei der heutigen Sensibilität zu einem ähnlichen Schluss kommen. Nachtcafé-Moderatorin Anita Crain: «Ist ein Zoo heute noch zeitgemäss?»
Im «Fünfsternehotel»
Pagan, ganz offensichtlich geübt in dieser Debatte, wehrte routiniert ab. Zoologische Gärten hätten in der Vergangenheit viel gelernt und die Tiere würden heute deutlich artgerechter als früher gehalten. Ein Heer von 200 Profis kümmere sich darum, dass es den Tieren gut gehe. Auffälligkeiten im Verhalten der Tiere im Zusammenhang mit der Haltung kämen heute nicht mehr vor. Im Vergleich zur Savanne, so Pagan, sei der Zoo ein «Fünfsternehotel». Die Lebenserwartung der Tiere liege deutlich höher als in der Wildnis. Das Mitleid, dass ihr Bewegungsraum eingeschränkt sei, spiegle lediglich die Emotionen der Menschen wider, die wenig bis keine Ahnung von Zoologie hätten. Tiere vermissten die Freiheit nicht. Sie bewegten sich in freier Wildbahn nur deshalb über so weite Strecken, weil sie sich auf Nahrungssuche begeben müssten. Sei genügend Futter vorhanden, seien die Bedürfnisse gestillt. Der freiwillige Sonntagsspaziergang, so Pagan, sei eine Erfindung des Menschen. Und auf die Nachfrage, ob die Tiere im Zoo glücklich seien, sagte er, dass «Glück» eine menschliche Kategorie sei; das Tier denke nicht darüber nach.
Selbstverständlich sei der Zoo manchmal auch Schauplatz von Dramen, Krankheiten und Tod. Vielfach gebe es Medienberichte und die Öffentlichkeit nehme regen Anteil am Geschehen. So hagelte es Kritik, als der Zoo vor einiger Zeit entschied, ein Orang-Utan-Baby zu töten, weil dessen Mutter gestorben war. Es sei für alle ein harter Entscheid gewesen, sagte Pagan. Denn es wäre möglich gewesen, das Tier wie einst das berühmte Basler Gorillababy Goma mit dem Fläschchen aufzuziehen, doch man schaffe sich einen «Problemaffen», wenn die Beziehung zum Menschen zu nah werde. Der Affe wisse dann nicht mehr, wo er hingehöre.
Doch Dramen spielten sich in der Natur ja ebenfalls ab. Und im Zoo lerne man stetig hinzu und nehme fortlaufend Verbesserungen vor. Als Beispiel nannte Pagan, dass alle gehaltenen Vögel mittlerweile gegen die Vogelgrippe geimpft seien und sich stets auch dann draussen aufhalten dürften, wenn das Hausgeflügel in den Stall gesperrt werden müsse.
Beitrag zur Artenvielfalt
Überdies, so Pagan, übernähmen zoologische Gärten eine immer wichtigere Funktion für den Erhalt von Arten in Zeiten des rasanten Artenschwunds. Die Aufgabe sei grösser, als einfach nur gefährdete Tierarten hinter den Zoomauern zu «konservieren». Als Beispiel nannte der Direktor, dass dank eines Zuchtprogramms der Zoos frisches Blut in den Genpool von frei, aber isoliert lebenden Nashornpopulationen gebracht werden könne, was zum Arterhalt beitrage. Zunehmend treffe für diese Leistung die Anerkennung von grossen und weltweit agierenden Tierschutzorganisationen ein, was ihn stolz mache.
Es gab an diesem Abend auch noch die weniger belastenden Themen. Pagan erzählte vom herrlichen täglichen Spaziergang der Pinguine im Winter. Kürzlich habe dies ein italienischer Influencer einer Million Followern als Sensation präsentiert. Dies habe dem Zolli sofort mehr Besucher beschert. Auch ein internationaler Fernsehsender berichtete in der Folge, der Reporter sei dann allerdings erstaunt gewesen, dass diese Spaziergänge keine sensationelle Neuheit seien, sondern seit den 1950er-Jahren stattfinden. Nicht wegen der Attraktion für die Besucherinnen und Besucher übrigens, sondern weil den Tieren der Auslauf gut tue. Und eine weitere Pinguin-Anekdote: Fast jährlich wiederkehrend gebe es die Zeitungsente, dass ein Schulkind einen der spazierenden Pinguine in den Schulsack gesteckt und nach Hause genommen habe. Pagan kann darüber herzlich lachen: Als gelernter Tierarzt könne er versichern, dass Pinguine äusserst wehrhafte Tiere seien, die man nicht einfach einpacken könne. Wolle man sie medizinisch behandeln, gebe es einen guten Trick: Man schneide den oberen Teil eines Strassenpilons ab, nähere sich damit unschuldig dem Vogel und stülpe ihm den Pilon dann überraschend über Kopf und Körper, damit er mit seinen Flügeln nicht mehr wild um sich schlagen kann …
Die Tiere seien allerdings nachtragend, so Pagan. Er, der vor seinem Antritt als Direktor Zolli-Tierarzt war, sei bei den Tieren kein besonders gern gesehener Gast. Tiere seien nicht dankbar für die medizinische Hilfe, sondern erinnerten sich vor allem lange Zeit an den Schmerz von Spritzen. Einmal sei er für ein ganzes Jahr auf einer Weltumsegelung –Segeln ist seine Passion – gewesen. Als er nach dieser langen Zeit das Affenhaus erstmals wieder betrat, seien die Gorillas vor Schreck zusammengezuckt. Nicht nur Elefanten vergessen also nicht.
Zur Feier des 150-Jahre-Jubiläums gibt es im Zolli diverse Aktivitäten und Feste. Angaben findet man fortlaufend auf www.zoobasel.ch. Das Nachtcafé-Publikum im «Cheesmeyer» verabschiedete Pagan mit dankbarem Applaus.