Mehr Stühle müssen her!
24.06.2025 Bezirk Sissach, Gesellschaft, Kultur, Baselbiet, Region, SissachOpen-Air-Konzert vor 700 begeisterten Gästen
Diese Aussage sei gewagt: Das Konzert auf dem Schulhausplatz Bützenen mit dem Neuen Orchester Basel und vier Oberbaselbieter Solisten wird als Höhepunkt des Sissacher Jubiläums in Erinnerung bleiben. ...
Open-Air-Konzert vor 700 begeisterten Gästen
Diese Aussage sei gewagt: Das Konzert auf dem Schulhausplatz Bützenen mit dem Neuen Orchester Basel und vier Oberbaselbieter Solisten wird als Höhepunkt des Sissacher Jubiläums in Erinnerung bleiben. Auf eine zweite Auflage will niemand weitere 800 Jahre warten.
Jürg Gohl
Eine grosse Konzertbühne und davor 500 Stühle für die zu erwartenden Gäste stehen auf dem Pausenplatz des Bützenen-Schulhauses bereit. So viele Gäste könnten schon erscheinen, denkt sich Kitty Schaertlin, die Initiantin und Organisatorin dieses erstmaligen Open-Air-Konzerts in Sissach. Schliesslich ist es der Sissacher Spezialistin für Kulturprojekte nicht nur gelungen, ein vielseitiges Musikprogramm mit namhaften Künstlerinnen und Künstlern auf die Beine zu stellen, sondern dabei auch allen Besuchern freien Eintritt zu gewähren.
Kitty Schaertlin sollte sich täuschen: Kurzfristig müssen erst zusätzliche Stühle, dann sogar Sitzbänke herangeschleppt werden. Am Ende sind es 700 Zuhörerinnen und Zuhörer, die sich das Musikspektakel unter freiem Himmel nicht entgehen lassen wollen. Und wo man nach dem dreistündigen Anlass hinhört: Für alle ist der lange Abend kurzweilig und begeisternd. Wie selbstverständlich kommen denn auch alle am Ende der Aufforderung nach, die Stühle in die Halle zurückzutragen.
Einheimische Kunst
Neben dem idealen Sommerwetter am längsten Tag des Jahres sowie den Hauptdarstellern trägt auch die breite Programmauswahl viel zum Erfolg des Abends bei: Von Klassikern wie Antonin Dvorak und, später, Nikolai Rimski-Korsakow gleitet das Konzert mit dem schwer einzuordnenden Komponisten Friedrich Gulda in Richtung Jazz und landet schliesslich über Filmmusik im Rock und bei der Oberbaselbieter Sängerin Ira May alias Iris Bösiger. «Bigger Plan», ihre musikalische Autobiografie, gibt es sogar noch als Zugabe und Schlusspunkt.
Ira May steht aber nicht als einzige Einheimische auf der Bühne: Sie wird von Sängerin Chiara Heuser assistiert, und vor dem Duo trägt eine weitere Sissacherin, Oboistin Julia Rechsteiner, Filmmusik von Ennio Morricone vor. Im Mittelpunkt des Abends steht aber unbestritten der in Tenniken aufgewachsene und heute in Zürich lebende und dort als Musikprofessor arbeitende Pianist Mischa Cheung.
Von Klassik zu Jazz
Cheung, als Solist in den grossen Konzertsälen dieser Welt zu Hause, hat es sich nicht nehmen lassen, sich erstmals nach seinem Heimauftritt vor drei Jahren in Tenniken «beruflich» nach Sissach zu begeben. Kitty Schaertlin, die 2019 gleichzeitig mit dem Pianisten den Baselbieter Kulturpreis gewann, hat ihn mit ihrer Idee eines Open-Air-Konzerts schnell überzeugt und das Programm des Abends, wie er hinterher verrät, auch auf seinen Ideen fussend aufgebaut.
Der unbestrittene Star des Abends zählt zu den wenigen Pianisten, die sich sowohl im Jazz als auch in der Klassik zu Hause fühlen und problemlos vom einen zu anderen wechseln können. Mal spielt er solo, mal im Verbund mit dem gesamten Orchester, mal jazzt er im Trio mit Schlagzeug und Bass. Und er lässt sich auch dann nicht aus der Konzentration bringen, wenn Zuschauer quasseln, Vögel mitmusizieren und ein Hündchen in der ersten Reihe bellt.
Appetit auf mehr
Gleiches lässt sich auch vom Neuen Orchester Basel sagen, das die Open-Air-Atmosphäre zu geniessen scheint und zu Mischa Cheungs Jazz-Einlagen ausgelassen wippt. Die jungen Musikerinnen und Musiker um Dirigent Christian Knüsel bestreiten das gesamte Programm und beschenken die jubilierende Gastgeber-Gemeinde am Anfang mit einer musikalischen Geste: Dvoraks «Slawische Tänze» leiten sie mit dem «Posamenterlied» ein. Dirigent Knüsel, wie immer darauf bedacht, nicht einfach klassische Musik zu spielen, sondern sie auch dem Publikum näherzubringen, besticht in seinen Moderationen auch mit viel Wissen über die Gemeinde Sissach.
Stellt sich nur noch eine Frage: Müssen Sissacherinnen und Sissacher weitere 800 Jahre auf die Zweitauflage warten, Frau Schaertlin? Als erste wird sie gleich nach dem Schlussakkord von Regierungsrätin Monica Gschwind und ihrer Kulturbeauftragten Esther Roth gestellt. Immerhin musste die Kulturveranstalterin mit Gönnern, Sponsoren und Zuwendungen ein Budget von knapp über 100 000 Franken erfüllen, um dem Publikum Gratiseintritt gewähren zu können. Theatralisch verdreht Kitty Schaertlin die Augen, während neben ihr die letzten Stühle weggeräumt werden: «Im nächsten Jahr bestimmt nicht …»