«Medea» hinterlässt bleibende Eindrücke
19.08.2025 Bezirk Sissach, Kultur, Region, Baselbiet, SissachFreilufttheater hatte eine erfolgreiche Premiere
Schauspielerin Sarah Spale («Platzspitzbaby») verkörpert an der Premiere des Theaterstücks «Medea», eine gebrochene, unaufhaltsame Frau. Gemeinsam mit dem sechsköpfigen Frauenensemble zieht sie das ...
Freilufttheater hatte eine erfolgreiche Premiere
Schauspielerin Sarah Spale («Platzspitzbaby») verkörpert an der Premiere des Theaterstücks «Medea», eine gebrochene, unaufhaltsame Frau. Gemeinsam mit dem sechsköpfigen Frauenensemble zieht sie das Publikum in eine Welt aus Schmerz, Verrat und Rache. Ein Abend, der noch lange nachhallt.
Melanie Frei
Die Premiere des Theaterstücks «Medea» auf dem Nebiker-Areal in Sissach (die «Volksstimme» berichtete) entfaltete eine Atmosphäre, die vom lauen Sommerabend zu einer geradezu beklemmenden Intensität führte. Vergangenen Donnerstagabend war die Stimmung vor Beginn der um 20 Uhr startenden Aufführung heiter. Das Publikum plauderte, trank Bier und liess die warme Abendsonne auf sich wirken.
Sobald die Schauspielerinnen wortlos die Bühne betraten, sich positionierten und auch zwischen den rund 100 Zuschauenden Platz nahmen, wurde aus der Leichtigkeit eine gespannte Aufmerksamkeit. Schauspielerin Sarah Spale («Wilder») erklomm ein Gerüst auf der Bühne und klammerte sich daran fest. Sie verkörperte eine gebrochene Medea: verletzt und ohne Hoffnung. In ihr loderte jedoch das Verlangen nach Vergeltung. Und so begann eine zweistündige Reise, welche die Zuschauer in eine Welt hineinzog, in der Schmerz, Verrat und Rache die Oberhand hatten.
Spale spielte Medea mit grosser Intensität. Mit einer Stimme, die von kaum hörbarem Flüstern bis zu schrillem Schreien wanderte, und einer Darstellung, die zwischen Verletzlichkeit und plötzlicher Entschlossenheit wechselte.
Die Kindstötung
Besonders eindrücklich war der Moment, in dem sie zwischen der Liebe zu ihren Kindern und dem Drang nach Rache gefangen war. Sie entschied, ihre Kinder zu töten: «Mein Entschluss steht fest. Auf der Stelle töte ich meine Kinder», sagte sie. Auch als Zuschauer war man hin- und hergerissen, ob sie nun die herzlose Mutter war, die ihre Kinder für ihre persönliche Rache tötet, oder eine verletzte Frau, die Konsequenzen aus ihrem Schmerz zieht. Das nach dem Verrat ihres Geliebten Iason, für den sie Land und Leben zurückgelassen hatte.
Lucía Carro Veiga verstärkte mit ihrer musikalischen Begleitung diesen emotionalen Sog: Trommelschläge, körperlich erzeugte Rhythmen und rauschende Klänge und übertönten teils sogar den Lärm des nahegelegenen Verkehrs.
In Erinnerung blieb auch die Umsetzung des antiken Chors durch das Frauenensemble mit Claudia Adrario, Sophie Eglin, Julia Sewing und Anna Sonnenschein. In ihren Stimmen lag die belehrende Mahnung an Medea: «Darum beschwöre ich dich. Lass ab von dieser Tat.» Später wurde der Ton unbarmherzig und eher kommentierend: «Keine Hoffnung mehr für das Leben der Kinder, keine mehr, schon sind dem Tod sie nah.»
Szenen nur durch Worte erzählt
Regisseur Kaspar Geiger war nach der Aufführung seine Begeisterung anzusehen. «Noch nie hat das Ensemble so gut zusammengespielt», sagte er mit Blick auf die Bühne. Aber das Publikum, die Nervosität – «das macht etwas mit einem». Tatsächlich fügten sich Spales Raserei, Carros Rhythmik und das präzise Zusammenspiel von Adrario, Eglin, Sewing und Sonnenschein zu einem packenden Ganzen zusammen.
So auch bei der Schilderung der beiden Boten, die Medea über den von ihr geplanten Mord an König Kreon und seiner Tochter Glauke – der neuen Gemahlin von Iason – informierten. Nur durch Erzählung zeichneten sie das Geschehe nach: «Zuerst war es ein schöner Anblick: Sie legte das glänzende Gewand um ihre Glieder, setzte das goldene Diadem auf ihr Haupt und lächelte in den Spiegel. Doch dann, kaum hatte sie das Kleid gegürtet, erfasste sie ein Schauder, das Blut wich aus ihrem Antlitz, und mit lautem Schrei stürzte sie zu Boden.»
Die Königstochter wandte sich, und Vater Kreon, der herbeieilte, um sie zu retten, blieb selbst im Gift gefangen. Gerade weil nichts davon auf der Bühne sichtbar war, wirkte es umso beklemmender. Die Vorstellungskraft der Zuschauer musste die Bilder vervollständigen.
Im Finale der Aufführung stieg Medea wie zu Beginn auf das Gerüst, von wo aus sie Iason gegenübertrat. Julia Sewing verkörperte diese Figur auf ambivalente Weise: Er war selbstsicher und rechtfertigte sich – und doch war er am Ende gebrochen. Man verachtete ihn für seine Tat und empfand doch Mitleid, als er am Ende alles verlor.
Nebel in Form von Trockeneis legt sich wie eine Decke aus Stille über die Szene. Medea wirkte ruhig – und gerade in dieser Ruhe lag das Schreckliche. Sie war eine völlig andere als am Anfang. Sie war die Frau, die ihr Schicksal selbst in die Hand genommen hatte: «Niemand haltet mich für schwach, auch nicht für tatenlos. Nein, ich bin anders. Dem Feind gefährlich, doch dem Freunde treu.»
Iason stand unter ihr, verzweifelt, flehend. Er warf ihr Verrat und Grausamkeit vor, doch das kümmerte Medea nicht. Sie verweigerte ihm auch den Wunsch, seine Kinder zu begraben: «Nie sollst du sie bestatten, nie sollst du sie berühren. Ich selbst will sie zur Erde tragen, den Göttern, die über alles wachen.» Am Ende bleibt Iason zurück – leer und umgeben vom Echo seiner Hilflosigkeit.
Als der letzte Satz verklungen war, kehrten die Schauspielerinnen sowie Regisseur Kaspar Geiger und Produktionsleiter Andreas Daniel Müller auf die Bühne zurück. Gemeinsam verneigten sie sich vor dem Publikum, das minutenlang applaudierte. Sarah Spale konnte sich vor Glückwünschen und Kommentaren des Publikums kaum retten; ihr Lächeln zeugte von einer Aufführung, die nicht nur gelungen, sondern auch tief berührend war.
«Medea» wird noch sieben Mal aufgeführt. Mehr unter texteundtoene.ch