«Man könnte Gratisfahrten als Test anbieten»

  11.03.2025 Baselbiet, Gesellschaft, Gemeinden, Verkehr, Baselbiet

Mobilitätsexpertin Corinne Moser über die Akzeptanz von Rufbussen

Rufbusse, wie sie im Baselbiet getestet werden, könnten in Zukunft den öffentlichen Verkehr auf dem Land prägen, sagt Mobilitätsexpertin Corinne Moser. Sie sieht in der Automatisierung einen wichtigen Schritt für die Wirtschaftlichkeit des öV.

Janis Erne

Frau Moser, Buslinien im Baselbiet mit zu tiefem Kostendeckungsgrad sollen gestrichen werden. Politiker wehren sich dagegen und fordern teilweise einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs auch auf dem Land. Führt ein Ausbau tatsächlich zu einer stärkeren Nutzung des öffentlichen Verkehrs?
Corinne Moser:
Aus Untersuchungen zeigt sich, dass ein verbessertes ÖV-Angebot langfristig zu einer stärkeren Nutzung führt und die Ansiedlung von Wohn- und Gewerbebauten begünstigt. Diese Prozesse benötigen jedoch Zeit. Eine Angebotsausweitung sorgt nicht sofort für eine erhöhte Nutzung – die Wirkung zeigt sich bestenfalls übermorgen.

Weshalb ist das so?
Ein zentraler Grund sind unsere Gewohnheiten. Autofahrende nehmen Verbesserungen im ÖV-Angebot oft gar nicht wahr und bleiben bei ihrem gewohnten Verkehrsmittel. Hinzu kommt, dass das Auto bereits vorhanden ist und genutzt werden «muss». Die Umstellung auf den öffentlichen Verkehr erfordert daher nicht nur ein attraktives Angebot, es braucht auch kommunikative Massnahmen, um die Zielgruppen zu erreichen. Und dann braucht es einen bewussten Wandel im Mobilitätsverhalten.

Langfristig sehen Sie aber Potenzial für den öffentlichen Verkehr.
Ja, insbesondere im ländlichen Raum. Ein attraktives ÖV-Angebot kann beispielsweise die Entscheidung beeinflussen, ob man eines oder zwei Autos besitzen möchte.

Im Baselbiet sollen reguläre Buslinien durch Rufbusse und Fahrdienste ersetzt werden. Wie reagieren die Menschen auf solche Modelle? Steigen mehr aufs Auto um?
Nicht unbedingt. Forschungskolleginnen haben herausgefunden, dass On-Demand-Angebote vor allem Menschen ansprechen, die bereits multimodal unterwegs sind, also verschiedene Verkehrsmittel wie Auto, Bus und Velo kombinieren. Damit Rufbusse erfolgreich sind, müssen sie also in ein multimodales Mobilitätssystem eingebunden werden. Das bedeutet, sie sollten eng mit der S-Bahn verknüpft und in das gleiche Ticketsystem integriert sein.

Die Nutzung muss so einfach wie möglich sein.
Genau. Da der klassische öffentliche Verkehr in der Schweiz gut etabliert ist, müssen sich die Menschen erst an On-Demand-Angebote wie Rufbusse gewöhnen. Um auf das Angebot aufmerksam zu machen und die Akzeptanz zu steigern, könnte man beispielsweise in einer Testphase Gratisfahrten anbieten.

Wie kann der öffentliche Verkehr im ländlichen Raum generell gestärkt werden?
Er muss praktisch sein. Wenn man fünfmal umsteigen muss, um ans Ziel zu kommen, ist das für die Gewinnung von Kundinnen und Kunden alles andere als förderlich – gerade im ländlichen Raum, wo Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeit tendenziell weiter auseinanderliegen als in der Agglomeration oder in der Stadt. Die verschiedenen Verkehrsmittel müssen aufeinander abgestimmt werden und es braucht eine gewisse Regelmässigkeit der Fahrzeiten – auch auf dem Land.

Der «Swiss Mobility Monitor 2024» – eine Studie der Universitäten Luzern und St. Gallen – zeigt, dass bei der Wahl des Verkehrsmittels der Preis und die Reisezeit wichtiger sind als die Nachhaltigkeit. Würde eine stärkere Subventionierung den öV attraktiver machen?
Ich bezweifle, dass die Preisgestaltung den Ausschlag gibt, um mehr Menschen zum öffentlichen Verkehr zu bringen. Denn die Ausgaben für Mobilität sind für viele Menschen nicht entscheidend, da gibt es weitaus grössere Ausgabenposten wie Miete oder Krankenkasse. Ausserdem entspricht die Preiswahrnehmung häufig nicht der Realität: Viele Menschen unterschätzen die Kosten eines Autos. Dies, weil sie die Anschaffungskosten gedanklich abschreiben und im monatlichen Budget nicht berücksichtigen. Sie haben daher das Gefühl, Zug und Bus seien teurer als das Auto, obwohl eine Vollkostenrechnung ein anderes Bild ergeben würde.

Wie können Zug und Bus bei der Reisezeit gegenüber dem Auto punkten?
Das müssen sie gar nicht unbedingt. In einer Studie haben wir herausgefunden, dass es für viele ÖV-Nutzende nicht das Wichtigste ist, ein paar Minuten schneller am Ziel zu sein. Dank Digitalisierung und Konnektivität kann die Zeit in Zug und Bus für die unterschiedlichsten Aktivitäten genutzt werden. Unsere Befragung hat gezeigt, dass viele Menschen von der Reisezeit profitieren: Sie haben Zeit für sich, können entspannen oder auch arbeiten.

Sie untersuchen zusammen mit den SBB das Mobilitätsverhalten von Pensionierten. Da kommt mir das Bild von Seniorengruppen in den Sinn, die mit dem Zug unterwegs sind. Ihre Studie geht aber davon aus, dass das Auto nach der Pensionierung an Bedeutung gewinnt. Warum?
In unserer Studie konzentrieren wir uns auf Personen, die kurz vor oder nach der Pensionierung stehen. Diese Altersgruppe ist noch sehr mobil und fit. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Autoverfügbarkeit bei ungefähr 65-Jährigen in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Das heisst, immer mehr Menschen in dieser Altersgruppe haben ein Auto und nutzen es auch. Ein Grund dafür ist, dass der Arbeitsweg wegfällt und der Freizeitanteil zunimmt. In der Schweiz wird ein grosser Teil des Freizeitverkehrs mit dem Auto zurückgelegt, nämlich rund 70 Prozent.

Weshalb?
Die Gründe dafür sind vielfältig. Mit dem Auto ist man oft flexibler, was die Erreichbarkeit von Freizeitzielen wie etwa abgelegene Wandergebiete betrifft. Mit dem Auto lässt sich in der Regel auch leichter Gepäck transportieren. Ausserdem ist man flexibler, wenn zum Beispiel kleine Kinder mit dabei sind.

Wie könnte der öffentliche Verkehr in 25 Jahren aussehen?
Entscheidend ist, wie sich die Automatisierung entwickelt. Hier gibt es zwei grundsätzliche Szenarien: Entweder gibt es eine Entwicklung hin zu einem Individualverkehr oder einem öffentlich-individuellen Verkehr. Entweder hat jeder ein selbstfahrendes Auto in der Garage oder die selbstfahrenden Autos auf den Strassen werden geteilt. Aus ökologischer und verkehrsplanerischer Sicht ist das zweite Szenario vorteilhafter, da weniger Ressourcen verbraucht werden und mehr Platz auf den Strassen zur Verfügung steht.

Was bedeutet das für den ländlichen Raum?
Ich glaube, dass der Verkehr flexibler, multimodaler und geteilter wird. Auf den grossen Linien wird es weiterhin Züge und Busse geben. Auf den weiter verzweigten Linien in die Dörfer wird es flexiblere Modelle wie Sharing-Angebote (Carsharing und On-Demand-Angebote) geben. Hier spielt die Automatisierung eine wichtige Rolle, damit etwa Rufbusse auch mit nur wenigen Reisenden wirtschaftlich betrieben werden können. Spannend wird sein, wie die Menschen das automatisierte Fahren akzeptieren, da es einen gewissen Kontrollverlust bedeutet.


Zur Person

je. Corinne Moser (42) ist Professorin und Dozentin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für Angewandte Psychologie der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten. Sie gehört zu den wenigen Forschenden, die den Verkehr nicht nur in Städten und Agglomerationen, sondern auch im ländlichen Raum untersuchen.
Von Oktober 2024 bis September 2027 leitet sie ein vom Schweizerischen Nationalfonds unterstütztes Forschungsprojekt, das untersucht, wie nachhaltige Mobilitätsgewohnheiten ausserhalb der grossen Schweizer Städte gefördert werden können.

www.fhnw.ch/de/personen/corinne-moser


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