Libellen schützen und fördern
20.06.2024 Baselbiet, Natur, BaselbietDie Gewässerökologen Daniel Küry und Raphael Krieg im Gespräch
Die Studie «Libellen schützen, Libellen fördern im Kanton Basel-Landschaft» des Gewässerschutzverbands Nordwestschweiz zeigt eine ökologische Analyse der Libellenfauna im ...
Die Gewässerökologen Daniel Küry und Raphael Krieg im Gespräch
Die Studie «Libellen schützen, Libellen fördern im Kanton Basel-Landschaft» des Gewässerschutzverbands Nordwestschweiz zeigt eine ökologische Analyse der Libellenfauna im Kanton. Ein Aktionsplan soll nun die bedrohten Libellenarten schützen und fördern. Die Gewässerökologen Daniel Küry und Raphael Krieg erzählen.
Daniel Zwygart
Herr Küry, Herr Krieg, wie gingen Sie vor, um die Libellenfauna eines ganzen Kantons zu kartieren?
Raphael Krieg: Wir haben vorgängig aufgrund bestehender Literatur und unserer eigenen Erfahrungen die zu kartierenden Objekte definiert. Wertvolle Hilfsmittel waren beispielsweise das bestehende Weiherinventar des Kantons. Wir haben also nicht an allen Gewässern kartiert, sondern eine repräsentative Stichprobe ausgewählt
Daniel Küry: Wir haben nach einer standardisierten Methode in erster Linie die fliegenden Libellen bestimmt und erfasst. Auch Hinweise auf Fortpflanzungsverhalten (Paarungen, Eiablage, Larvenhäute) wurden notiert. Wir haben aber nicht systematisch nach Larven im Wasser gesucht. Diverse Libellenspezialisten haben uns bei der Arbeit im Feld unterstützt.
Was hat Sie bei den Ergebnissen der Kartierungen am meisten erstaunt, gefreut oder betrübt?
Küry: Wir konnten mit den gewonnenen Resultaten diverse Hypothesen nun mit Zahlen unterlegen. So zum Beispiel die Tatsache, dass ein Schwerpunkt der Libellenvielfalt im unteren Baselbiet und im Laufental liegt. Im mittleren und oberen Baselbiet kommen wertvolle Libellenlebensräume eher punktuell vor. Wir hätten erwartet, dass in den höheren Gebieten des Faltenjuras auch alpine Arten vorkommen. Der Grund der Abwesenheit ist wohl, dass diese Arten bevorzugt in Mooren vorkommen, welche im Baselbiet fehlen.
Krieg: Betrübt hat uns, dass diverse Arten mit dem Verschwinden ehemaliger Libellenhotspots wie der Zurlindengrube in Pratteln oder einem Lehmweiher in Liestal ebenfalls ausgestorben oder sehr selten geworden sind.
Wieso hat es im unteren Kantonsteil mehr Libellenarten – wahrscheinlich auch Individuen – als im Oberbaselbiet?
Küry: Dies hängt primär mit der Tatsache zusammen, dass Libellen eher wärmeliebende Insekten sind. Im Birstal und rund um Basel sind die klimatischen Bedingungen besser als im rauheren Oberbaselbiet. Zudem fehlen im oberen Baselbiet die grossen Flüsse auf kiesigem Untergrund.
Kann man sagen, dass Libellen heutzutage fast ausschliesslich in menschgemachten Biotopen leben?
Küry: Bei den Fliessgewässern kann man dies so nicht sagen, obwohl natürlich der Mensch mit Aufweitungen und neuerdings mit Renaturierungen von Fliessgewässern diese libellenfreundlicher macht. Bei den stehenden Gewässern sind tatsächlich aufgrund der hydrogeologischen Verhältnisse im Baselbiet die meisten Objekte menschgemacht. Früher waren dies beispielsweise Fisch-, Feuerwehr- oder Zierweiher. In den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts kamen an verschiedenen Stellen dann künstliche Weiher dazu, die primär für die Amphibien gebaut wurden. Davon haben jedoch auch die übrigen Weiherlebewesen profitiert. Seit ein paar Jahren werden auf Initiative des Kantons oder auch kommunaler Naturschutzvereine wieder neue Weiher gebaut oder kanalisierte Bäche ausgedolt. Ich habe in den vergangenen Jahren die Libellenfauna von Quellen erforscht. Sofern Quellbereiche nicht in Röhren gefasst sind, können wir von natürlichen Gewässern reden.
Libellen sind oft Schirmoder Leitarten für bestimmte Lebensräume. Was bedeutet diese Aussage?
Krieg: Mit ihren bunten Farben und ihren wendigen Flugkünsten gehören Libellen zu den Gewässerbewohnern, welche Jung und Alt begeistern. Wenn sich Libellen ansiedeln, dann sind viele weitere Wasserlebewesen an diesem Ort ebenfalls beheimatet. Es ist einfacher, Libellen zu kartieren als kleine und versteckt lebende andere Tiere.
Sie haben auch einen Aktionsplan zum Schutz der Libellen verfasst. Was muss man sich darunter vorstellen?
Küry: Wir haben bei allen Arten beschrieben, wie man ihr Vorkommen fördern könnte. Dies beeinhaltet meistens Aufwertungen oder Pflegemassnahmen für die Gewässer und Vorschläge für neu zu schaffende Lebensraumtypen. Diese Massnahmen stehen aber erst auf dem Papier. Wir müssen in einem nächsten Schritt schauen, dass der Aktionsplan an den wichtigen Schaltstellen bei Gemeinden und den Kantonen zur Kenntnis genommen und umgesetzt wird.
Was sind Pflegemassnahmen, welche die Libellen fördern würden?
Krieg: Bei Fliessgewässern sollte insbesondere bei kleinen Bächen die Bestockung streckenweise entfernt oder zumindest gemäht werden, damit die Besonnung zunimmt und die Libellen die seichten Bereiche auch sehen können.
Küry: Bei grösseren Weihern können sich die Schilf- und Röhrichtgürtel so ausbreiten, dass die wertvollen Schwimmpflanzen- und Unterwasserpflanzenzonen verdrängt werden. Da müsste periodisch das Schilf entfernt werden.
Neuerdings werden künstliche Weiher mit Auslauf gebaut, um Weiher temporär trockenzulegen. Leiden darunter Libellenarten, deren Larven im Wasser leben?
Küry: Ja, aber wir empfehlen dieses Wassermanagement ebenfalls. Einerseits, weil Fische, die immer wieder in Naturschutzweihern ausgesetzt werden und dort Amphibienlaich und weitere Weihertiere in grösseren Mengen fressen, reduziert werden. Andererseits auch, weil es verschiedene bedrohte Libellenarten gibt, die an schwankende Wasserstände angepasst sind und dadurch gefördert werden.
Bekommt die von Ihnen betreute Koordinationsstelle für Libellen viele Anfragen aus der Bevölkerung oder von Gemeinden?
Krieg: Wir werden nicht überschwemmt, aber es gibt immer wieder Anfragen von Naturschutzvereinen oder Planerinnen zu beantworten. Das erarbeitete Wissen soll bei Pflegemassnahmen des Kantons oder bei Neuplanungen einfliessen. Wir haben zwei Merkblätter zur libellenfreundlichen Gewässerpflege verfasst, die im Lauf des Jahres erscheinen werden. Für den Basellandschaftlichen Natur- und Vogelschutzverband bieten wir dieses Jahr einen Grundkurs Libellenkunde an. Das Wissen über Libellen soll in der Bevölkerung zunehmen und mehr qualifizierte Beobachtungen und Engagements möglich machen. Der Kurs ist schon ausgebucht. Bei genügend Interesse wird der Kurs im 2025 wiederholt.
Ausgangslage
zwy. Zwischen 2018 und 2022 haben die beiden Autoren der Studie «Libellen schützen, Libellen fördern im Kanton Basel-Landschaft», Daniel Küry und Raphael Krieg, mit Unterstützung von weiteren Libellenspezialistinnen und -spezialisten mehr als 180 stehende Gewässer und mehr als 60 Strecken von Fliessgewässern im Kanton Baselland untersucht und dabei insgesamt 42 Arten nachgewiesen. Betrachtet man alle Daten zwischen 2010 und 2022, so erhöht sich die Zahl auf 54 Arten. Zusammen mit allen Funddaten aus dem 20. Jahrhundert und Belegen aus Museumssammlungen ergibt dies für das Kantonsgebiet eine Libellenfauna von 62 Arten. Die Schweizer Fauna besteht aus 81 Libellenarten, von denen 75 als einheimisch gelten.
Als besonders libellenreich erwiesen haben sich das Leimental, das untere Birstal und das Laufental, während im Oberbaselbiet die Artenzahl erwartungsgemäss etwas geringer war. Der Kanton gilt aufgrund seiner geografischen Gegebenheiten als gewässerarm im Vergleich zu anderen Regionen der Schweiz, weshalb diese hohe Vielfalt erstaunlich ist.
Vorkommen und Häufigkeit der verschiedenen Libellenarten haben in den vergangenen 25 Jahren stark abgenommen. Die aktuelle Untersuchung erlaubte es, den Rückgang der Arten abzuschätzen und eine Rote Liste fürs Baselbiet zu erarbeiten. Darin werden von 42 sich regelmässig im Kanton fortpflanzenden Arten 13 (31 Prozent) als gefährdet oder ausgestorben eingestuft. Weitere fünf Arten (12 Prozent) gelten als potenziell gefährdet.
Zu den Karten
zwy. In den Artporträts wurden je 5 Libellenarten ausgewählt, die in Fliess- und Stillgewässern häufig bis selten vorkommen. Abgebildet sind auch die Verbreitungskarten gemäss neuster Studie. Orange Punkte stehen für Beobachtungen vor 2010 und rote für solche nach 2010.