Kinderbetreuung für alle
29.10.2024 Baselbiet, Bildung, Gesellschaft, BaselbietDie SP fordert in einer Initiative eine bezahlbare Kinderbetreuung. Sandra Strüby, Präsidentin des Vereins Tagesfamilien Oberes Baselbiet und Co-Vizepräsidentin der SP Baselland, fordert ein faires Modell, das Familien finanziell entlastet, die Qualität der Betreuung aber ...
Die SP fordert in einer Initiative eine bezahlbare Kinderbetreuung. Sandra Strüby, Präsidentin des Vereins Tagesfamilien Oberes Baselbiet und Co-Vizepräsidentin der SP Baselland, fordert ein faires Modell, das Familien finanziell entlastet, die Qualität der Betreuung aber nicht verschlechtert.
Melanie Frei
Frau Strüby, die SP-Initiative für gebührenfreie Kinderbetreuung würde den Kanton jährlich knapp 170 Millionen Franken kosten. Ist das in der finanziell angespannten Lage, in der sich der Kanton befindet, überhaupt möglich?
Sandra Strüby: Diese Frage müsste man eigentlich Finanzdirektor Anton Lauber stellen. Natürlich ist die Finanzierung der Kinderbetreuung eine Herausforderung. Aktuell liegt die Verantwortung für die Aufwendungen in diesem Bereich bei den Gemeinden. Um die Kosten besser in den Griff zu bekommen, wäre es notwendig, dass der Kanton sich finanziell stärker engagiert.
Was wünschen Sie sich für die künftige externe Kinderbetreuung?
Meiner Meinung nach sollte die externe Kinderbetreuung ähnlich geregelt werden wie die Schulbildung: Die Schule ist für alle gleich und wird von der Gemeinschaft bezahlt. Ein ähnliches Modell für die Kinderbetreuung wäre steuerfinanziert und somit fair, da diejenigen, die mehr verdienen, auch mehr beitragen würden.
Viele werden dieser Meinung wohl nicht zustimmen.
Das stimmt. Gegner werden sagen, dass die Kinderbetreuung eine persönliche Angelegenheit und nicht Sache des Staates ist. Es ist jedoch zu bedenken, dass viele Menschen, Frauen wie Männer, eine gute Ausbildung erhalten haben, welche die Allgemeinheit viel Geld kostet. Wenn diese Menschen – meistens die Frauen – zu Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern, ist das volkswirtschaftlich gesehen schlecht. Jeder Familie sollte die Möglichkeit offen stehen, eine qualitativ hochwertige und bezahlbare Kinderbetreuung zu nutzen. Natürlich darf man sich auch bewusst für das Zuhausebleiben entscheiden, was ich selbst auch getan habe.
Eine klare Lösung gibt es also nicht?
Es ist schwierig, eine eindeutige Lösung zu finden. Wichtig wäre, dass Familien spürbar finanziell entlastet werden, ohne dass die Qualität der Kinderbetreuung darunter leidet. Auch die Arbeitsbedingungen für das Personal in den Kitas sollten berücksichtigt werden, denn hier ist die Situation oft schwierig, während es bei Tagesfamilien meist etwas entspannter zugeht. Eine komplett kostenlose Kinderbetreuung wäre wohl schwer umsetzbar, aber die Kosten sollen für Familien tragbarer werden. Besonders wichtig ist es für Familien, die keine Wahl haben und bei denen beide Elternteile arbeiten müssen, um finanziell über die Runden zu kommen. Die Betreuungskosten dürfen nicht zu einer zusätzlichen Belastung werden. Das Arbeiten soll sich lohnen und das Einkommen sollte nicht gleich wieder für die Kinderbetreuung ausgegeben werden müssen.
Mit einer Vergütung von 9 Franken pro Kind und Stunde bleibt der Lohn für Tagesfamilien weiterhin bescheiden, das Angebot sinkt aber nicht. Warum?
Für viele Familie ist es besonders am Anfang wichtig, dass sie ihre eigenen Kinder selbst betreuen können, während sie zu Hause arbeiten. Als Tagesfamilie kann man dies tun, hat zwar zusätzlichen Aufwand neben der Betreuung des eigenen Kindes, aber man erhält dafür eine Vergütung. Viele Tagesfamilien betreuen gleichzeitig zwei bis drei Kinder, was eine flexible Möglichkeit bietet, zu Hause zu arbeiten.
Die SP schreibt, dass die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags zur Initiative nur schleppend vorangehe. Kritisieren Sie damit nicht Ihre eigene Regierungsrätin Kathrin Schweizer, die für das Dossier zuständig ist?
Die Probleme entstehen nicht wegen einer einzelnen Person. Wir kritisieren die finanziellen Verhältnisse im Kanton. Viele verschiedene Akteure sind involviert, was den Prozess komplex macht. Es bräuchte eine Gesetzesänderung, um klare Regelungen zu schaffen. Ob aber die Gemeinden bereit wären, für die Kinderbetreuung zum Beispiel ein oder zwei zusätzliche Steuerprozente aufzuwenden, ist schwer vorherzusagen, denn sie stehen vor verschiedenen Herausforderungen.
Auch Ihre Gemeinde Buckten?
Buckten zahlt den vorgeschriebenen Jahresbeitrag und erfüllt damit seine gesetzlichen Pflichten. Es gibt genug Plätze, sodass die Kinderbetreuung grundsätzlich funktioniert. Natürlich muss auch Buckten haushalten, doch im Gemeinderat sitzen Leute, die den Wert einer guten Kinderbetreuung sehr wohl kennen. Dieses Thema gewinnt in unterschiedlichen Kreisen, auch politisch, immer mehr an Bedeutung. Es wird zunehmend erkannt, dass es wichtig ist, Menschen im Erwerbsleben zu halten und dass dies durch eine verlässliche Kinderbetreuung unterstützt werden sollte. Auch dem Fachkräftemangel kann mit einem guten Betreuungsangebot entgegengewirkt werden.
Gemeinden sind heute verpflichtet, Programme zur Kinderbetreuung anzubieten.
In regelmässigen Abständen muss bei den Einwohnern nachgefragt werden, um sicherzustellen, dass der Bedarf gedeckt und die Wünsche der Eltern berücksichtigt sind. Besonders kleinere Gemeinden haben unseren Verein als Partner, um die Betreuung sicherzustellen.
In Basel-Stadt kostet ein Platz in einer Tagesfamilie mehr als in einer Kita. Tagesfamilien werden zum Auslaufmodell – auch bei uns?
Ich denke nicht, aber das Angebot muss attraktiv bleiben. Die Eltern finanziell besser zu unterstützen ist wichtig. Ebenso die Fachkräfte: Wer gut verdient, hat wenig Grund, den Standort zu wechseln. Das trägt zur Stabilität des Arbeitsmarkts bei. Im Kanton Basel-Stadt sind dafür mehr finanzielle Mittel vorhanden, was die Situation erleichtert.
Um als Tagesmutter oder -vater zu arbeiten, braucht es eine Ausbildung. Welche Rolle spielt hier Ihr Verein?
Genau, es ist verpflichtend, dass eine entsprechende Ausbildung absolviert wird. Dazu gehören zunächst ein Basiskurs, den alle angehenden Betreuungspersonen durchlaufen müssen, sowie die Teilnahme an regelmässigen Weiterbildungen. Diese können von uns organisiert, aber auch durchgeführt werden. Zum Beispiel ein Kurs für medizinische Notfälle. Unsere Organisation muss zudem alle fünf Jahre eine Bewilligung vom Kanton erhalten. Um diese Anerkennung zu bekommen, müssen wir sicherstellen, dass wir professionell arbeiten und die notwendigen Standards einhalten.
Nächstes Jahr sind Sie 20 Jahre beim Verein Tagesfamilien Oberes dabei. Wie sind Sie zum Verein gekommen?
Ich habe einst angefangen, Teilzeit beim Verein in der Administration zu arbeiten. Es war eher ein Zufall, dass ich auf die Organisation gestossen bin, aber das Modell und die Idee dahinter haben mich sofort angesprochen. Ich fand es immer wichtig, dass Kinder gut betreut werden. 13 Jahre lang war ich für die Buchhaltung zuständig und habe dadurch ein tiefes Verständnis dafür bekommen, wie alles funktioniert. Vielleicht hat man mich deshalb gefragt, ob ich in den Vorstand kommen möchte. Diese Rolle hat für mich alles auf eine neue Ebene gebracht, da ich ab dann häufiger Gespräche mit Gemeinden und anderen Institutionen führte. Mir liegt diese Arbeit sehr am Herzen und es freut mich, auf diese Weise einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten zu können.
SP-Podiumsgespräch «Kinderbetreuung: Wie weiter?» Donnerstag, 31. Oktober, 19.30 Uhr, Gemeindesaal Lausen.
Der Verein verkaufte einst Schokolade, um über die Runden zu kommen
mef. Vor rund 40 Jahren war es noch nicht üblich, dass Frauen berufstätig sind, insbesondere nach der Heirat und Familiengründung. Die Gründung des Vereins Tagesfamilien Oberes Baselbiet (VTOB) 1984 in Gelterkinden führte zur Institutionalisierung der Kinderbetreuung und zur Entlöhnung der Betreuungsleistenden. Zu Beginn hatte der Verein oft finanzielle Schwierigkeiten. Glücklicherweise war die Gemeinde Gelterkinden von Anfang an eine grosse Unterstützung. Heute sind die Löhne der Betreuungskräfte durch Arbeitsverträge und Aufträge mit den Gemeinden durch Leistungsvereinbarungen klar geregelt.
Im Jahr 2005 fusionierte der VTOB mit «Tagesfamilien Liestal und Umgebung». Heute sind 52 Vertragsgemeinden dabei, die eng mit dem Verein zusammenarbeiten. Neben der klassischen Tagesbetreuung bietet der Verein Tagesfamilien Oberes Baselbiet auch schulergänzende Mittagstische an. Diese Angebote wurden in den vergangenen Jahren stark ausgebaut.
2005 erhielt der Verein im Rahmen eines Impulsprogramms Gelder vom Bund. Eine Bedingung für diese Unterstützung war die Professionalisierung der Organisation, was unter anderem eine bessere Infrastruktur ermöglichte. Früher finanzierte man sich unter anderem noch, indem am Tag des Kindes Schokoladenherzen von Haus zu Haus verkauft wurden, wie sich VTOB-Präsidentin Sandra Strüby erinnert.