Kein Einlass für Aristoteles im Marabu
29.10.2024 Bezirk Sissach, Gelterkinden, Gesellschaft, Baselbiet, RegionMit den vielen drängenden Problemen stehe die Jugend vor einer Zukunft voller grosser Herausforderungen. Darin ist sich das Podium einig, das zum Thema «Zukunft will Zuversicht» sprach. Regierungsrat Thomi Jourdan diskutierte mit Engagement mit.
Jürg ...
Mit den vielen drängenden Problemen stehe die Jugend vor einer Zukunft voller grosser Herausforderungen. Darin ist sich das Podium einig, das zum Thema «Zukunft will Zuversicht» sprach. Regierungsrat Thomi Jourdan diskutierte mit Engagement mit.
Jürg Gohl
Als Pfarrer Eric Hub am Ende die vier Exponenten auf dem Podium verabschiedet, erwähnt er kurz den Begriff Freiheit. Dieses Schlagwort müsse heute gerne als Begründung herhalten, wenn sich junge Leute in ihr Schneckenhaus zurückziehen. Podiumsleiterin Christine Mangold, die langjährige Gelterkinder Gemeindepräsidentin, die heute der örtlichen Jugendkommission angehört, hätte darauf ihre drei Gesprächsgäste bitten können, sich nochmals zu setzen und sich zu äussern. Doch einmal ist Schluss.
Beinahe drei intensive Stunden lang haben sich zuvor die gegen 100 Gäste, die am Freitagabend im Marabu zum Podium «Zukunft will Zuversicht» erschienen sind, bereits mit Fragen, Lösungsansätzen und vor allem den weitreichenden Problemen auseinandergesetzt, mit denen sich Jugendliche heute befassen müssen. Der zehnköpfigen Jugendkommission, zur Hälfte mit Jugendlichen besetzt, ist es gelungen, einen höchst interessanten und zugleich beklemmenden Abend auf die Beine zu stellen.
Referat als Grundlage
Den Abend eröffnet Andreas M. Walker, die «Nummer eins der Zukunftsforscher», wie ihn Christine Mangold ankündigt. In seinem Referat (siehe «Volksstimme» vom Donnerstag, Seite 9) geht der Basler insbesondere auf die stark zunehmenden Angstzustände, suizidale Gedanken und Isolierung bei den Jugendlichen ein. Zahlen der Unicef belegen diese Entwicklungen schonungslos. Als «Angst-Generation» werden die Jungen vom amerikanischen Buchautor Jonathan Haidt bezeichnet.
Walker legt damit die Grundlage zum Podium, dem zweiten Teil des Abends. Darauf sitzen neben Andreas Walker selber und Moderatorin Christine Mangold noch Nadine Gembler sowie der Baselbieter Regierungsrat Thomi Jourdan. Sie bringt als frühere Lehrerin in Gelterkinden und heutige CMS-Personalchefin die Folgen für die Wirtschaft ein, die durch stark verunsicherte Jugendliche ausgelöst werden. Sie verzichtet bewusst darauf, über den Nachwuchs zu jammern. Aristoteles, der berühmteste Wetterer über die Jungen, findet im Marabu keinen Einlass. Nadine Gembler fordert aber klar «mehr Resilienz», also mehr Widerstandskraft und Durchhaltevermögen.
Jourdan und die Jungen
An diesem Punkt setzt Thomi Jourdan ein: Der Regierungsrat aus Muttenz beobachtet nicht nur als Vorsteher des Gesundheitswesens, sondern auch als Mensch und Familienvater mit grosser Sorge die Überlastung der Jugendpsychiatrie. Jourdan kennt aus seiner früheren Tätigkeit als Jugendarbeiter beide Perspektiven. Mit Gelterkinden verbindet ihn zusätzlich, dass er dort einst ein Jugendkonzept erarbeitet und damit auch die veranstaltende Jugendkommission mitbegründet hat. Er pflichtet Nadine Gembler bei: «Ja, wir müssen sie fordern, unbequem sein, ihnen manchmal Grenzen setzen», sagt der EVP-Politiker und ärgert sich über die grassierende «Laissez-faire»-Haltung in Schulen, Vereinen und vor allem Elternhäusern. «Lasst uns ihnen gute Geschichten erzählen», postuliert er. Für seine Bemerkung, Kindern unbedingt mehr Lebenskompetenz zu vermitteln, erhält er sogar Szenenapplaus.
Das Publikum wird am Schluss ebenfalls einbezogen. Es fallen teils sehr emotionale Voten, aber auch kleine Erfolge wie die Handy-freie Schule in der Gemeinde werden erwähnt. Einen Lichtblick steuert zudem Ladina Kühni von der offenen Jugendarbeit bei. Sie zeigt zwischen Referat und Podium einen kurzen Film, in welchem sie Jugendliche zu ihrer Befindlichkeit und zu ihren Perspektiven befragt.
Zukunft selber gestalten
jg. Neben der deutlichen Zunahme der Angstzustände, der Suizid-Versuche und der Isolation gebe es noch rund 20 weitere statistisch erfasste Indikatoren, die belegen, dass es bei den Jungen krankt. «Zum Beispiel wird die Spanne der Konzentrationsfähigkeit immer kürzer», sagt Andreas M. Walker in seinem Eingangsreferat. Darin fordert er die Jungen auf, ihre Zukunft in die Hand zu nehmen und selber zu gestalten. Er ruft sie zu mehr Sozialkompetenz und zugleich mehr Selbstkompetenz auf und unterstreicht, wie wichtig (und wirtschaftlich erfolgreich) Teamwork, ein starkes Umfeld und der eigene Wille sind – sowie die Natur.
Mit der Aufforderung «unbedingt dranzubleiben», schliesst Walker seine Ausführung. Der Referent geht auch auf die vielen Ursachen ein, die zur unbestreitbaren Verunsicherung der Jugend geführt haben. Er führt dabei neben den bekannten – Klimawandel, Kriege, Angst vor der Künstlichen Intelligenz – etwa auch die Rolle der Digitalisierung an. Die Endzeit-Stimmung, welche die Älteren verbreiten, helfe auch nicht, Zuversicht zu schaffen. Er ruft, nicht nur die Jungen, dazu auf, mit Taten die Perspektiven zu verbessern. Sein Credo: «Die Zukunft ist kein Zufall.»
Andreas M. Walker wiederholt seinen Vortrag heute Dienstagabend um 19.30 Uhr an der Schule Nova in Sissach.