Im Zeichen des gestochenen Bildes
05.12.2025 Bezirk Sissach, Kultur, Baselbiet, SissachDas ist Sissach (49. Teil) | Die Tätowierer-Dynastie Varesi
Seit 37 Jahren führen Guido «Varry» und Jacqueline Varesi das Tattoo-Studio in Sissach, seit einigen Jahren zusätzlich das Henkermuseum. Mittlerweile hat sich das Ganze zu einem ...
Das ist Sissach (49. Teil) | Die Tätowierer-Dynastie Varesi
Seit 37 Jahren führen Guido «Varry» und Jacqueline Varesi das Tattoo-Studio in Sissach, seit einigen Jahren zusätzlich das Henkermuseum. Mittlerweile hat sich das Ganze zu einem echten Familienunternehmen entwickelt.
Robert Bösiger
Zürich, 19. November 1963: Am Tag, als Guido Varesi das Licht der Welt erblickt, machen in der «Volksstimme» die Ortsparteien Werbung für ihre Kandidaten im Hinblick auf die Gesamterneuerungswahlen. Da stösst man auf so klingende Namen wie Theo Buser, Robert Häfelfinger, Ulrich Nebiker, Hans Bürgin oder Adolf Sutter. In Zunzgen geht ein Hundevergifter um und die hiesigen Metzger preisen ihre Blut- und Leberwürste an, und der Jodlerklub Flüeli macht Werbung für seinen «Heimatobe». Drei Tage später, am 22. November, schockiert das Attentat auf den US-Präsidenten John F. Kennedy die Welt.
Totengräber, Pirat, Tätowierer
In den 1960er-Jahren zieht die Familie Varesi aus dem Zürcherischen ins Oberbaselbiet. Im Kindesalter möchte Guido dereinst Totengräber werden – und etwas später als Jugendlicher Pirat. Rückblickend sagt er im Scherz dazu: «Weil es heutzutage etwas schwierig ist, eine Lehrstelle zu finden und zudem mit erheblichen Risiken verbunden ist, habe ich das Vorhaben Pirat wieder aufgegeben.» Stattdessen findet der junge Mann eine Lehrstelle als Steinmetz in Liestal – direkt am Rande des Friedhofs.
Doch Guido Varesi findet in der Steinhauerei (noch) nicht seine wahre Berufung. Dafür wird er früh Vater, weil er Jacqueline Fritschi aus Arboldswil kennen- und lieben lernt. Gleichzeitig beginnt er damit, Tattoos zu stechen. Zunächst von Hand, dann mit einer aus einem elektrischen Rasierer gebauten Tätowiermaschine. Dank vorgeschossenem Geld kann er sich bald eine professionelle Maschine besorgen. Und dank den Kenntnissen seiner Frau, einer ausgebildeten Krankenpflegerin, kann er die nötigen Hygienemassnahmen ergreifen, «damit meine ersten Probanden haben am Leben bleiben können», wie Guido, genannt Varry, mit einem Schmunzeln berichtet.
Alice Cooper als Zäsur
Zunächst tätowiert er neben seiner Arbeit als Steinmetz zu Hause in Gelterkinden. Das Tätowieren wird immer wichtiger. Am Tag, als er seinen Job zugunsten eines Alice-Cooper-Konzerts vernachlässigt, ist für seinen Chef und ihn klar: Das wars! Von nun an ist er Tätowierer – bald mit eigenem Studio am Heidengässli in Sissach. Wir schreiben das Jahr 1988: Guido Varesi gehört zu den ersten, die hierzulande Tattoos stechen – in der Region Basel sowieso. In diesen Jahren entwickelt Varry seine biomechanische Bildsprache – ein Stil, der ihn später zu einem der frühen Pioniere der Biomechanik in der Schweiz macht.
Mittlerweile sind fast vier Jahrzehnte ins Land gezogen und «Varry’s Tattoo-Studio» ist zu einem Begriff weit über Sissach und die Region hinaus geworden. Tausende schmücken sich seither mit Werken von ihm, die unter die Haut gehen. Oder/und sie besitzen ein gemaltes oder gespraytes Bild von ihm. Denn unterdessen betätigt er sich nicht nur als Tattookünstler, sondern hat auch Fans, die seine Bilder kaufen. Mehrere Galerien führen Werke von ihm im Angebot. Besonders bekannt wurde er durch die seltene Gelegenheit, als bislang einziger Tattoo-Artist überhaupt im privaten Haus von H. R. Giger zu tätowieren – ein Moment, der seine biomechanische Handschrift nachhaltig prägt.
Konkurrenten und Mode
Nach wie vor ist das Tätowieren die Hauptbeschäftigung von Guido Varesi. Diese Tätigkeit verübt er an einem durchschnittlichen Tag erst nach dem Mittagessen. Denn oft ist er bis in die späten Abendstunden in seinem Atelier anzutreffen.
Die Nachfrage nach Tattoos sei in den vergangenen Jahren etwas rückläufig, berichtet Varry im Gespräch mit der «Volksstimme». Als Gründe sieht er die vielen «Hobby-Tätowierer» aus dem Ausland, welche die Schweiz bereisen und mit Dumpingpreisen Tattoos stechen. Ihn ärgert es, dass diese «Konkurrenten» weder Steuern bezahlen noch sich an geltende Regelungen und Vorschriften halten (müssen).
Familienbetrieb
«Varry’s Tattoo» ist zu einem veritablen Familienbetrieb herangewachsen, organisiert als Kollektivgemeinschaft (KLG). Neben ihm wirkt seine Frau Jackie Varesi (61), die die Administration und die Buchhaltung im Griff hat. Ebenfalls an Bord sind die beiden Varesi-Söhne Damien (40) und Floyd (38). Sie betreuen ihre eigene Kundschaft.
Floyd hat dem Vater von Kindsbeinen an über die Schultern geschaut und ist buchstäblich in diesen Beruf hineingewachsen. Mit seinem Konzept «Vision Tattoo» entwickelt er einen neuen, rituell geprägten Tattoo-Ansatz und arbeitet an einem Buch darüber. Prägend für Floyds Zugang zur Symbolik waren unter anderem seine Begegnungen und Reisen mit Erich von Däniken (90). Floyd lebt mit seiner Frau Jennifer und den gemeinsamen Kindern Valeria und Vinz in Sissach.
Damien Varesi absolvierte zunächst eine Lehre als Metzger, bevor er ins Familienunternehmen eingestiegen ist. Nach dem frühen Verlust seiner Frau Bianca – die ebenfalls im Studio mitarbeitete – zieht Damien heute seine Tochter Lillith alleine gross.
Breites künstlerisches Spektrum
Zusammen bieten die Varesis das gesamte Stilspektrum an – wir zitieren aus der Website – «von Biomechanic, Dark Art, Fineline, Porträts und Warhammer Designs bis hin zu meisterhaften Cover-Ups jeglicher Art». Zum Studio gehört auch eine im biomechanischen Stil gestaltete Bar, die Varrys Kunstwelt räumlich erlebbar macht. Immer wieder verwandelt sich die Bar zudem in eine kleine Bühne: von Pole-Dance-Abenden über skurrile «Alien Nights» bis hin zum Weihnachtsfest, an dem die Varesis ihre Gäste mit kleinen Geschenken überraschen.
Grossen Wert legen sie alle auf ein verantwortungsvolles Handeln. Was das bedeutet, erklärt Guido Varesi an einem Beispiel: «Wenn jemand mit ausgefallenen Wünschen kommt, versuchen wir im Gespräch, diesen Kunden die allfälligen Nachteile zu skizzieren. Tatsächlich kommt es vor, dass jemand ein Nazi-Symbol wünscht oder eine explizite Porno-Szene am Rücken verewigt haben möchte.» Da kommt es schon mal vor, dass die Varesis ihre Dienste verweigern.
Guido und Jackie Varesi, mittlerweile seit 40 Jahren verheiratet, bezeichnen sich selber als ausgesprochene Familienmenschen. Neben ihren Söhnen sind da die Grosskinder Valeria (10), Vinz (8) und Lillith (5). Letztere sei mittlerweile sogar in der Lage, ihn als Museumsführer zu vertreten, schmunzelt er und umarmt sein Grosskind herzlich. Damit verbindet die Familie Varesi traditionelles Tattoo-Handwerk mit neuen künstlerischen und rituellen Ansätzen – und führt das Studio zielbewusst in die nächste Generation.
Das Henkermuseum
rob. Sei einigen Jahren führen Guido und Jacqueline Varesi das Henkermuseum. Dieses Museum beherbergt eine landesweit einzigartige Sammlung an «Gerätschaften des Strafvollzugs vergangener Zeiten», wie Guido Varesi sagt. Das Spektrum reicht von Äxten und Richtschwertern über mannigfaltige Folterinstrumente bis hin zur Guillotine. Man erfährt Wissenswertes über den Beruf des Scharfrichters und jener Bedauernswerten, die früher die entsprechenden Torturen haben über sich ergehen lassen müssen. Eine Sonderausstellung ist dem Sissacher Entfesslungskünstler Pius Buser (1898–1933) gewidmet.
Das Henkermuseum lockt regelmässig interessierte Gruppen nach Sissach. Guido Varesi erweist sich da jeweils als versierter und sehr unterhaltsamer Museumsführer mit einem fundierten Wissen über diese Thematik.
Schon «Ötzi»…
rob. Lange galt die 5300 Jahre alte Gletschermumie «Ötzi» als ältester Fund eines Menschen mit Tätowierung. Hinsichtlich der Anzahl der Tätowierungen hält er weiterhin den Rekord: Es sind 61, überwiegend geometrische Figuren, Linien und Punkte. Ägyptische Priesterinnen schmückten sich mit Tattoos. Archäologen fanden in Südamerika Indianermumien, deren Haut kunstvolle Muster aufwies.
Auch in Europa waren Tätowierungen früher verbreitet, bis sie durch Papst Hadrian I. im Mittelalter verboten wurden. Später wurden die Tattoos vor allem bei Seeleuten und Sträflingen beliebt. Seit den 1980er-Jahren sind Tattoos auch bei «normalen» Leuten zunehmend gefragt. Es liegt auf der Hand, dass Tätowierungen auch in Musik- und Schauspielkreisen weit verbreitet sind.
Die nächsten Jubiläumsanlässe
Laufend: Alte Gemälde und Zeichnungen hängen im Gemeindehaus aktuellen Fotografien gegenüber (zu besichtigen während der Schalteröffnungszeiten).
7. Dezember: Sonderausstellung «Sissech 800 Joor» im Heimatmuseum (11 bis 16 Uhr).
21. Dezember: Adventskonzert mit Deborah Regez (Traversflöte) und Gian-Andri Cuonz (Barockcello), ab 19 Uhr im «Cheesmeyer». www.sissach2025.ch



