Igelstationen kämpfen ums Überleben
11.09.2025 Bezirk Sissach, Baselbiet, Ormalingen, TennikenStiftungsgelder fallen weg
Bis zu 400 verletzte oder geschwächte Igel finden jedes Jahr in Tenniken und Ormalingen Zuflucht. Doch nun stehen die beiden kleinen Hilfsstationen vor ungewisser Zukunft: Die finanzielle Unterstützung der Hedwig-Karrer-Stiftung fällt in ...
Stiftungsgelder fallen weg
Bis zu 400 verletzte oder geschwächte Igel finden jedes Jahr in Tenniken und Ormalingen Zuflucht. Doch nun stehen die beiden kleinen Hilfsstationen vor ungewisser Zukunft: Die finanzielle Unterstützung der Hedwig-Karrer-Stiftung fällt in absehbarer Zeit weg und mit ihr das Geld für Tierarztkosten und Medikamente.
Melanie Frei
In Tenniken betreibt Sandra Strub das «Igelnest Oberbaselbiet» mit neun Pflegeplätzen und vier Notboxen. In Ormalingen führt Nadja Gysin eine kleinere Station mit sechs Pflegeplätzen und zwei Notboxen. Gemeinsam bilden die Stationen den Verein Igelnest Oberbaselbiet und versorgen jedes Jahr zwischen 300 und 400 verletzte oder geschwächte Igel und Igeljunge.
Der zweite Baselbieter Verein Igelhilfe Baselbiet setzt sich zusammen aus drei Igelstationen in Binningen, Wahlen und Gempen. Sie betreuen bis zu 600 Igel pro Jahr. Beide Vereine stehen in enger Zusammenarbeit – und sind vom gleichen Problem betroffen: In absehbarer Zeit fällt die immense finanzielle Unterstützung der Hedwig-Karrer-Stiftung, die bisher für die Tierarztkosten und Medikamente aufgekommen ist, weg. Zweck der Stiftung ist «der Schutz und die Fürsorge von Igeln im Rahmen der geltenden Tierschutzbestimmungen sowie der Schutz und der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen von Igeln», wie es auf ihrer Webseite heisst.
Ohne diese Gelder müssen die Vereine die Kosten von mehreren Zehntausend Franken selber tragen. Die Stiftung übernahm für den Verein Igelhilfe Baselbiet nach Angaben jährlich rund 24 000 Franken. «Igelnest Oberbaselbiet» nannte einen Kostenbetrag von rund 125 Franken pro Igel, der sich zu einem Betrag von an die 30 000 Franken jährlich summiert.
Bei der Hedwig-Karrer-Stiftung ist das Stiftungsvermögen aufgebraucht: «Die Unterstützungsgesuche haben zugenommen und damit auch die Kosten. Wir haben mehr Igelstationen in der Region, was zwar super ist, aber Zusatzkosten verursacht», erklärt Pascale Hutter, Präsidentin der Hedwig-Karrer-Stiftung. Deren Gründung geht ins Jahr 2011 zurück und verzeichnete ein Stiftungskapital von 250 000 Franken.
Vor zwei Jahren teilte die Stiftung den Igelstationen mit, dass das Stiftungsvermögen praktisch aufgebraucht sei und man noch etwa zwei bis drei Jahre weitermachen könne. Die letzten Monate verbringe die Stiftung damit, die verbleibenden Gelder gleichmässig zu verteilen. Ab Oktober können deutlich weniger finanzielle Mittel gesprochen werden, bis sie wahrscheinlich auf Ende Jahr ganz wegfallen, so Hutter.
«Bei einigen Stationen haben wir damals Anschubfinanzierungen gegeben, teilweise Infrastrukturfinanzierung übernommen», so Hutter. Zur Gründung des Vereins Igelnest Oberbaselbiet im Januar 2023 schenkte die Stiftung dem Verein zwölf Igelboxen. Auch bei finanziellen Engpässen konnten entsprechende Gesuche eingereicht und bewilligt werden.
Kapazität ist begrenzt
Trotz weniger Gelder laufen alle Stationen vorerst normal weiter. Wie lange, sei jedoch ungewiss, so Strub: «Wir sind die einzigen beiden Igelstationen im oberen Baselbiet und betreuen auch Tiere aus dem Fricktal», sagt Gysin. Müssten sie ihre Arbeit einschränken oder gar einstellen, gebe es für verletzte Igel kaum Alternativen. «Ohne Hilfe würden viele Tiere sterben.»
Die Stationen in Binningen, Wahlen oder Gempen könnten zwar helfen, aber: «Die Kapazitäten sind begrenzt. Wir müssten entscheiden, welchem Igel wir helfen können und welchem nicht. Das ist für uns eine schlimme Vorstellung», so die Leiterinnen von «Igelnest Oberbaselbiet». «Das ist ein Todesurteil», sagen sie unverblümt.
Neben Strub und Gysin sind weitere Freiwillige an der Igelhilfe beteiligt: eine «Putzequipe» reinigt die Ställe und sogenannte «Päppli-Frauen» übernehmen Igel ohne medizinischen Bedarf bei sich zu Hause, überwachen deren Gewicht und versorgen sie, bis sie wieder ausgewildert werden können. «So haben wir Platz für neue Notfälle», sagt Strub.
Zwar ist der Sommer mit den vielen durch Mähgeräte verletzten Igeln zeitintensiver, weil die Wunden täglich gepflegt werden müssen. Doch im Herbst und Winter haben die Stationen nicht weniger Tiere zu versorgen.
«Im Herbst sind es vorwiegend Igel mit Innenparasiten, die wir entwurmen müssen», erklärt Strub. «Sobald sie keine Medikamente mehr benötigen, verlegen wir sie zu unseren ‹Päppli-Frauen›, bis sie fit genug sind und die Medikamente verstoffwechselt sind.» Die Medikamente müssten aus dem Körper sein, bevor die Tiere in den Winterschlaf gehen. Zudem werden viele Igelkinder vorbeigebracht, die zu spät im Jahr geboren wurden und es nicht mehr aus eigener Kraft schaffen, auf das nötige Gewicht zu kommen.
«Die Angst, dass es finanziell einmal nicht mehr reicht, ist gross», sagen die beiden Frauen. Dennoch geben sie die Hoffnung nicht auf. Über die sozialen Medien, mit Vorträgen an Schulen, in Vereinen und Kirchgemeinden versuchen sie, das Bewusstsein für Igel zu schärfen und Geld zu sammeln.
Zum Überleben hoffen die Baselbieter Igelstationen auf private Gönner und weitere Institutionen. Die Anfragen gehen laufend hinaus, ob sie etwas bewirken, ist ungewiss.
www.igelnest-oberbaselbiet.ch
www.igelhilfe-baselbiet.ch/der-verein/
Igel-Population der Schweiz sinkt
mef. Die Igel-Population ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gesunken, besonders in den Siedlungsgebieten. «Der Igel, einst ein vertrautes Tier in unserer Landschaft, ist heute stark bedroht. Die Hauptursache dafür ist der Verlust und die Zersplitterung seines Lebensraums, der Strassenverkehr, falsch verstandene Gartenpflege und der Einsatz von Pestiziden», so die Medienstelle des Vereins Pro Igel Schweiz, der sich seit 1988 für den Schutz und die Förderung des einheimischen Igels und seiner Lebensräume einsetzt. Der Igel ist ein Wildtier, dessen Lebensraum heute weitgehend auf menschliche Siedlungsräume beschränkt ist. In ländlichen Gebieten hat die Landwirtschaft die naturnahen Strukturen stark reduziert. In den Städten finden sie wegen des Insekten-Artensterbens immer weniger Nahrung und sind durch die dichte Bebauung, den Verkehr und mangelnde Vernetzung der Grünflächen stark gefährdet. Aufgrund dessen wurde der Igel von der Weltnaturschutzunion IUCN in die Rote Liste der potenziell gefährdeten Arten aufgenommen.