«Ich möchte nicht nur Studien auswerten»
03.07.2025 Baselbiet, Region, Politik, Wirtschaft, Gesundheit, BaselbietRegierungsrat Thomi Jourdan (EVP) zu seinen Plänen in der Gesundheits- und Wirtschaftspolitik
Thomi Jourdan (51) ist der erste EVP-Regierungsrat der Schweiz. Nach zwei Jahren im Amt spricht der Gesundheits- und Volkwirtschaftsdirektor darüber, was er bereits erreicht hat und welche Herausforderungen noch angegangen werden müssen.
Janis Erne
Herr Jourdan, Sie haben die Halbzeit Ihrer ersten Legislaturperiode erreicht. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie?
Thomi Jourdan: Der Job als Regierungsrat ist der spannendste, vielfältigste und komplexeste, den ich je gemacht habe. Ich brauchte etwas Zeit, um anzukommen. Ich musste die Mitarbeitenden meiner Direktion kennenlernen, mich in die Themen einarbeiten und Ideen entwickeln. Auch die Zusammenarbeit im Regierungsrat, eine Schicksalsgemeinschaft, musste sich erst etablieren, ebenso der Umgang mit dem Parlament. Inzwischen bin ich angekommen.
Woran machen Sie das inhaltlich fest?
Wir haben ein Konzept für die Gesundheitsversorgung entwickelt, das als Rahmen für künftige Massnahmen dient. Die Liquidität des Kantonsspitals wurde gesichert und die Standortfrage ist aufgegleist. Aus wirtschaftspolitischer Sicht ist die Entwicklung des «MedTech-Hub» in Arlesheim hervorzuheben. Erwähnenswert sind auch die höheren Beiträge zur Verjüngung des Walds angesichts des Klimawandels.
Unser Eindruck ist, dass Sie in der Öffentlichkeit überall präsent sind, wo es nur geht. Ist das so?
Ich habe schon während den Wahlen gesagt, dass Politik nah bei den Menschen sein muss. Dieses Versprechen löse ich ein. Es geht darum, Politik zu vermitteln und – das ist wichtig – sie gemeinsam mit den Betroffenen zu entwickeln. Viele Ideen sind nicht in meinem Büro entstanden, sondern im direkten Austausch mit Personen, die in der Landwirtschaft, der Waldwirtschaft, der Wirtschaft oder im Gesundheitswesen tätig sind. Mit anderen Worten: Ich möchte nicht nur Studien auswerten, sondern Politik mit und für die Menschen machen.
Sie sind der erste EVP-Regierungsrat der Schweiz und stehen ohne den Rückhalt einer grossen Partei da. Erschwert das Ihre politische Arbeit?
Diesen Eindruck habe ich nicht. Im Regierungsrat diskutieren wir sachlich und kritisch, die Parteizugehörigkeit spielt dabei keine Rolle. Im Parlament kann die Zugehörigkeit zu einer Kleinpartei sogar ein Vorteil sein: Ich muss mich nicht dafür rechtfertigen, ob eine Idee parteipolitisch gefärbt ist, sondern werde als Regierungsrat Thomi Jourdan wahrgenommen – es geht also direkt um Inhalte.
Die Gesundheitskosten steigen, zugleich wünschen sich die Menschen eine bestmögliche Versorgung. Wo sehen Sie die Herausforderungen?
Im Wesentlichen bei drei Punkten. Erstens bei der Vielfalt unseres Kantons: Der ländliche Raum ist anders aufgestellt als die Agglomeration. Zweitens bei der Altersstruktur: Unsere Bevölkerung gehört zur ältesten der Schweiz. Ältere Menschen sind weniger mobil, benötigen häufiger medizinische Betreuung und leben öfter mit chronischen Krankheiten. Drittens haben sich die Erwartungen verändert: Heute wird eine umfassende Versorgung rund um die Uhr erwartet.
Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Es braucht mehr wohnortsnahe Angebote. Arztpraxen, Apotheken oder die Versorgung zu Hause – Stichwort «Hospital at Home» – müssen stärker eingebunden werden. Auch digitale Angebote wie Telemedizin haben viel Potenzial. Das Kantonsspital als Anbieter stationärer Leistungen bleibt unerlässlich, aber wir möchten das Netzwerk rundherum stärken. Dezentrale und ambulante Angebote sparen nicht nur Kosten und Anfahrtswege. Auch das lange Warten in einer überfüllten Notfallstation eines Spitals entfällt.
Ein zentrales Element Ihres Konzepts sind Gesundheitszentren in grösseren Gemeinden wie Sissach, Gelterkinden oder Ormalingen.
Genau. In Laufen gibt es bereits ein Gesundheitszentrum, betrieben vom KSBL. Es hat sich etabliert und ist sehr beliebt. Wichtig zu erwähnen ist: Der Kanton baut und betreibt selbst keine solchen Zentren, kann aber Anreize schaffen, damit sich ambulante Behandlungen lohnen und private Leistungserbringer entsprechende Einrichtungen aufbauen.
Es müssen also Tarife angepasst werden.
Ja, auch – aber nicht nur das. Ebenso wichtig ist die Vernetzung der Leistungserbringer. Zu diesem Zweck haben wir die «Dialogplattform Gesundheit BL» ins Leben gerufen, an der rund 90 Fachpersonen teilnehmen. Zudem braucht es den Einbezug der Krankenversicherungen. Wir müssen gemeinsam die ambulante Versorgung stärken.
Gibt es einen Zeitplan für neue Gesundheitszentren?
Der Kanton kann den Bau oder die Einrichtung solcher Zentren nicht einfach verordnen. Wir führen jedoch Gespräche mit potenziellen Anbietern, auch im oberen Baselbiet. Dabei stellen sich Fragen wie: Wer betreibt die Zentren? Schliessen sich Ärztinnen und Ärzte zusammen? Ist das KSBL beteiligt? Können bestehende Räumlichkeiten genutzt werden? Wichtig ist, dass wir dranbleiben, die nötigen Rahmenbedingung schaffen und unser Konzept weiter konkretisieren, damit es noch greifbarer wird.
Die Standortfrage des KSBL nimmt in der öffentlichen Debatte viel Raum ein. Zur Auswahl stehen Pratteln und das Paket Liestal/Bruderholz. Haben Sie aus gesundheitspolitischer Sicht eine Präferenz?
Nein. Unsere Aufgabe als Regierung ist es, alle möglichen Varianten gründlich zu prüfen und dem Parlament eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu liefern. Sowohl Pratteln als auch Liestal/Bruderholz erfüllen die Hauptkriterien: Beide sichern die erweiterte Grundversorgung, namentlich im mittleren und oberen Baselbiet, und verhindern einen massiven Abfluss von Patientinnen und Patienten nach Basel.
Die Gesundheitskommission des Landrats hat sich gegen Liestal als einzigen KSBL-Standort ausgesprochen. Das dürfte in Ihrem Sinne sein, oder?
Ich begrüsse den Entscheid. Wenn es nur einen Standort in Liestal gäbe, würden die Patientinnen und Patienten aus dem Laufental und dem Unterbaselbiet grösstenteils nach Basel ausweichen. Das wäre nicht gut für den Kanton, da viele ausserkantonale Behandlungen teurer sind als innerkantonale. Der Betrieb eines alleinigen Standorts in Liestal wäre zudem sehr kostenintensiv, da das Spital alle Leistungen anbieten müsste, aber ein zu kleines Einzugsgebiet hätte. Zudem wäre es schwieriger, ausreichend Fachkräfte zu finden.
Liestal hat als Kantonshauptort eine symbolische Bedeutung. Soll dieser Aspekt bei der Entscheidung über den KSBL-Standort berücksichtigt werden?
Wie bereits gesagt, führen wie die Diskussion im Regierungsrat ergebnisoffen. Es geht um die beste Lösung für das Baselbiet. Aber klar: Der Status von Liestal als Kantonshauptort und Zentrum des Oberbaselbiets ist ein Aspekt, der in der Spitaldiskussion stattfindet. Wir wissen, was wir an der heutigen Lösung mit zwei Standorten haben, es gibt gewichtige Argumente dafür.
Eine Zeit lang setzte man grosse Hoffnung in eine gemeinsame Infrastrukturplanung der beiden . Nun wurden die Verhandlungen ausgeschlagen. Wieso?
Wir haben die Regierung von Basel-Stadt mehrfach zu Gesprächen betreffend Infrastrukturabgleich angefragt. Wir erhielten mit Verweis auf ihre fortgeschrittene Planung immer eine Absage. Das müssen wir akzeptieren.
2024 kam Kritik auf wegen der im Vergleich mit Nachbarkantonen geringen Wirtschaftsleistung des Baselbiets. In diesem Jahr gab es positive Meldungen, etwa die Ansiedlungen von Corden Pharma in Muttenz und Straumann in Arlesheim. Wie beurteilen Sie dies?
Die letztjährige Kritik hat mich ein bisschen überrascht, denn die kritisierten BIP-Zahlen waren nicht neu, sondern seit Längerem bekannt. Zudem sind sie nur ein Teil des Bilds; das Bruttoinlandprodukt misst die Leistungen der Unternehmen. Genauso wichtig ist aber auch der Wohlstand der Bevölkerung – und in dieser Hinsicht steht das Baselbiet gut da. Auch bei Start-ups und deren Finanzierung sind wir ganz vorne dabei.
Sind Sie also zufrieden mit der Standortförderung?
Natürlich geht es immer besser. Aber im Grundsatz leisten Kanton und Private gute Arbeit. Das Baselbiet bietet attraktive Rahmenbedingungen, was nicht nur die Ansiedlungen von Corden Pharma und Straumann zeigen. Auch Basilea, Johnson & Johnson oder das millionenschwere Start-up T3 sind Beispiele. Der «Medtech-Hub» in Arlesheim ergänzt den «Life-Sciences-Cluster» in Allschwil. Klar ist aber auch, dass solche Entwicklungsgebiete Zeit benötigen – die Früchte können häufig erst nach 10 bis 15 Jahren geerntet werden.
Bachem hat sich entschieden, im Fricktal zu investieren. Fehlt es im Baselbiet an Platz?
Es gibt noch Wirtschaftsareale mit Potenzial, zum Beispiel in Pratteln oder im Laufental. Doch grosse, freie Flächen werden rar. Wir müssen deshalb bestehende Areale besser nutzen und teilweise erneuern. Ein Beispiel ist die Schweizerhalle in Pratteln. Die Ansiedlung von Corden Pharma gelang unter anderem dank des Betreibers «Getec», der Firmen eine umfassende Infrastruktur und Dienstleistung bietet.
Wie steht es um die KMU?
Die kleinen und mittleren Unternehmen sind für den Kanton unerlässlich, stehen aber vor Herausforderungen. Ich denke dabei an die Themen Mobilität, Energie, Fachkräftemangel und Technologie wie Künstliche Intelligenz. Der Supercomputer in Allschwil und der Quantencomputer in Arlesheim sind grossartig, aber auch bei den KMU muss ein Digitalisierungsschub stattfinden.
Die regierungsrätliche Standortförderungskommission kritisiert, dass es zu wenige IT-Fachkräfte gebe. Zudem bemängelt sie die Bürokratie und die Steuerbelastung. Wo setzen Sie an?
Diese Aufzählung zeigt: Standortförderung ist eine Verbundarbeit. Bildung, Steuern, Finanzen und öffentliche Sicherheit spielen ebenso eine Rolle wie die Bau- und Arealentwicklung. Als Regierungsgremium müssen wir jeweils beachten, welche Wirkungen Entscheidungen auf den Wirtschaftsstandort haben. Im Baselbiet gibt es Weltmarktführer wie Rego-Fix in Tenniken, Bachem in Bubendorf, Endress + Hauser in Reinach, Stöcklin Logistik und Ricola in Laufen und andere mehr. Zu ihnen und den vielen Gewerbebetrieben gilt es Sorge zu tragen.
Die Wirtschaftskammer will dem Volk 16 Initiativen vorlegen. Wenn man ihr zuhört, gewinnt man den Eindruck, der Regierungsrat mache alles falsch. Wie sehen Sie das?
Weckrufe von aussen sind wichtig – sei es durch Parteien, Verbände oder Unternehmen. Wir dürfen nicht bequem werden, sondern müssen uns weiterentwickeln. Die Wirtschaftskammer vertritt viele Unternehmen im Kanton, weshalb der Austausch mit ihr von zentraler Bedeutung ist. Ich pflege einen guten Austausch mit ihr, ebenso wie mit anderen Beteiligten, etwa der Handelskammer, KMU-Vereinen oder Unternehmen.
Im Waldenburgertal soll eine Dialogplattform zur Wirtschaftsförderung entstehen. Was ist konkret geplant?
Es gab bereits Gespräche zwischen dem Kanton, den Gemeinden sowie Vertretern von Gewerbe und Industrie. Es soll die Idee einer Plattform geprüft werden, die ähnlich wie jene im Gesundheitswesen funktioniert. Das Ziel besteht darin, gemeinsam Perspektiven für das Tal zu entwickeln und aufzuzeigen, dass Veränderungen möglich sind. Die neue Waldenburgerbahn bietet ideale Voraussetzungen, dass das Tal ein noch attraktiverer Arbeitsund Wohnort wird.
Wie realistisch sind neue Firmenansiedlungen? Oder geht es eher um die Sicherung des Bestands?
Ein Grosskonzern wird demnächst kaum ins Waldenburgertal kommen, so viel Ehrlichkeit muss sein. Für KMU bieten die dortigen Gemeinden aber gute Voraussetzungen, auch wegen der Nähe zu Basel im nationalen und internationalen Vergleich. Da freie Wirtschaftsareale in den nächsten Jahren knapp werden, rechne ich mit einer Verlagerung aus den Zentren in den erweiterten Raum. Wir müssen bereit sein, wenn eine Firma in einem ländlichen Gebiet investieren will.
Was muss noch geschehen, damit Sie in zwei Jahren zufrieden auf Ihre erste Legislaturperiode zurückblicken?
Ich hoffe, dass der Standortentscheid des KSBL bis dahin gefallen ist. Zudem möchten wir das Gesundheitskonzept weiter konkretisieren und konsequent, aber ohne Aktionismus umsetzen. Neben viel inhaltlicher Arbeit zu den verschiedensten Themen ist mir auch ein gutes Arbeitsklima in der Direktion wichtig – sowie die bestmögliche Besetzung von Kaderstellen infolge anstehender Pensionierungen.