Es droht eine grosse Pfarrers-Not
27.06.2024 Baselbiet, Kirche, BaselbietVergebliche Suche in Reigoldswil liefert einen Vorgeschmack
Es komme in drei bis fünf Jahren zu einem prekären Engpass, wenn zwei Dutzend reformierte Pfarrerinnen und Pfarrer im Kanton pensioniert würden, sagt Kirchenratspräsident Christoph Herrmann voraus. Die ...
Vergebliche Suche in Reigoldswil liefert einen Vorgeschmack
Es komme in drei bis fünf Jahren zu einem prekären Engpass, wenn zwei Dutzend reformierte Pfarrerinnen und Pfarrer im Kanton pensioniert würden, sagt Kirchenratspräsident Christoph Herrmann voraus. Die Hoffnungen auf Linderung beruhen auf pensionierten Pfarrpersonen, Laienpredigern und einem erleichterten Zugang zum Theologiestudium.
Andreas Hirsbrunner
Eigentlich ist in der Kirchgemeinde Reigoldswil-Titterten alles angerichtet für eine neue Pfarrperson: Es wartet eine hübsche, heimelige Kirche, ein repräsentatives Pfarrhaus an guter Lage, eine engagierte Kirchenpflege, zahlreiche freiwillige Mitarbeiterinnen und zwei Dörfer, in denen die Mehrheit der Bevölkerung noch der reformierten Kirche angehört und nicht – wie im Gesamtkanton – konfessionslos ist. Und trotzdem sucht die 18-köpfige Pfarrwahlkommission seit dem Abgang des vormaligen Pfarrehepaars im vergangenen Herbst vergeblich nach einer Nachfolge.
An der Kirchgemeindeversammlung von vergangenem Sonntag informierte Kirchenpflegepräsident Karl Bolli, dass von acht seit der Stellenausschreibung eingegangenen Bewerbungen fünf Personen zu Gesprächen eingeladen worden seien, vier nicht den Vorstellungen der Kommission entsprochen hätten und eine Bewerbung noch offen sei. Einer der Absagegründe ist die Sprache. Bolli sagt: «Die Sprachkenntnisse sind ein wichtiger Punkt. Wir verlangen das Beherrschen der deutschen Sprache und das Verstehen des Schweizer Dialekts.» Die Kirchgemeinde hilft sich nun mit der Stellvertreterin Barbara Jansen über die Runden. Obwohl die längst pensionierte Pfarrerin 82 Jahre zählt, sagt sie: «Ich mache weiter, bis eine neue Pfarrperson gefunden ist.»
Deutsche wollen nicht mehr
Reigoldswil-Titterten ist nicht die einzige Kirchgemeinde im Kanton, die eine neue Pfarrperson sucht. Trotzdem ist sie ein Ausnahmefall, der jedoch bald zum Regelfall werden dürfte. Der Baselbieter Kirchenratspräsident Christoph Herrmann sagt es so: «So lange musste noch niemand suchen. Reigoldswil-Titterten steht als Beispiel dafür, wie mühsam es in Zukunft werden wird, eine Pfarrstelle neu zu besetzen. Die grosse Not kommt in drei bis fünf Jahren.» Damit zielt Herrmann auf den absehbaren, «prekären» Engpass: In den nächsten fünf Jahren würden im Baselbiet 24 Pfarrpersonen pensioniert; dazu kämen noch Abgänge aus andern Gründen. Im gleichen Zeitraum würden aber nur acht bis zehn Personen aus dem Kanton ihr Theologiestudium abschliessen, wovon sich erfahrungsgemäss nicht alle für den Pfarrberuf entscheiden.
Das Baselbiet ist mit dieser misslichen Situation nicht alleine, wie eine Studie zeigt: In den Jahren 2026 bis 2030 werden in der ganzen Deutschschweiz 462 Pfarrpersonen pensioniert, was mehr als einem Drittel des Bestands entspricht. Die Zahl der Ordinationen, das heisst, die Personen mit abgeschlossenem Theologiestudium, die sich zum Pfarrer oder zur Pfarrerin weihen lassen, sinkt dagegen laufend. Vor fünf Jahren waren es in der Deutschschweiz noch über 50, im laufenden Jahr rechnet die Studie mit 25. Herrmann folgert: «Der Markt ist ausgetrocknet, wir werden kaum noch Pfarrpersonen finden. Und je peripherer eine Kirchgemeinde liegt, desto schwieriger wird es.» Bis vor einigen Jahren habe man sich noch mit deutschen Anwärtern behelfen können, weil es dort einen Pfarrerüberschuss gegeben habe. Doch inzwischen sei im Nachbarland die Situation ähnlich wie bei uns und es kämen kaum noch Pfarrpersonen hierher. Zudem herrsche, so ergänzt Herrmann, auch bei den Sozialdiakonen und den Religionslehrerinnen ein totaler Fachkräftemangel.
Was ist zu tun? Herrmann verweist auf einige bereits eingeleitete Massnahmen: «Wir machen mehr Werbung für kirchliche Berufe. Und der Zugang zum Theologiestudium wird erleichtert.» So sollen Absolventen mit einem Masterabschluss in einer andern Fachrichtung nur noch drei bis vier Jahre statt wie bisher sechs bis sieben Jahre für einen Master in Theologie studieren müssen.
Und ganz neu: Personen, die ihr Bachelor-Studium an einer Fachhochschule mit mindestens der Note fünf abschliessen, werden an den theologischen Fakultäten der Unis Basel und Zürich zum Masterstudium zugelassen. Dazu sollen vermehrt Pfarrpersonen im Pensionierungsalter aus der Not helfen. Bereits heute existieren in der Schweiz über 100 derartige Stellvertretungen. Künftig sollen Pfarrerinnen und Pfarrer, die das wollen, in einem ordentlichen Pensum zwei Jahre über die Pensionierung weiterarbeiten und dann nochmals zwei Jahre anhängen können, was einem fakultativen Pensionierungsalter 69 gleichkommt. Bedingung dafür ist, dass die Anstellungsbehörde, also die jeweilige Kirchgemeinde, damit einverstanden ist.
Nicht den Schulen nacheifern
Reicht das? Herrmann lacht und sagt: «Nein, das reicht leider nicht.» Als weiteren Hoffnungsschimmer verweist er auf die neue, im Jahr 2022 in Kraft getretene Kirchenordnung, die der Kantonalkirche die Möglichkeit gibt, Laienprediger auszubilden, die dann ehrenamtliche Einsätze leisten. Das sei aber anspruchsvoll und löse das Problem bei den Kasualien (Konfirmationen, kirchliche Trauungen und Begräbnisse) und Sakramenten (Taufen und Abendmahl) nicht, die nur von Pfarrpersonen durchgeführt werden dürften. Herrmann: «Hier sind die Pfarrerinnen und Pfarrer gefordert. Sie müssen beweglich sein und über die Grenzen hinaus andere Kirchgemeinden bei Kasualien und Sakramenten unterstützen.»
Der Kirchenratspräsident sieht aber auch Gefahren: In anderen Kantonen würde bereits darüber nachgedacht, Leute ohne Ausbildung einzusetzen, wie das bei den Schulen schon seit Längerem der Fall sei. Das nach dem Motto, dass einer, der gut reden könne, auch predigen könne. Doch damit wird für Herrmann eine rote Linie überschritten und er sagt klipp und klar: «Das will ich bei uns nicht.» Ironie der Geschichte: Der Schwund der Kirchenmitglieder – die Baselbieter Reformierten verlieren laut Herrmann jährlich durchschnittlich 2,5 Prozent der Mitglieder (im vergangenen Jahr waren es 2418) – hat zur Folge, dass es weniger Pfarrpersonen braucht. Was die Pfarrer-Not zwar etwas dämpft, aber bei Weitem nicht behebt.
Diegten-Eptingen im halben Glück
Zurück zu den Pfarrer-Vakanzen. Solche gibt es gemäss Herrmann demnächst in Bennwil-Hölstein-Lampenberg, Biel-Benken, Birsfelden und Muttenz. Ein Spezialfall ist die Kirchgemeinde Kilchberg-Rünenberg-Zeglingen, in der es seit rund einem Jahr eine Vakanz gibt. Dort werde im Zusammenhang mit der auf Anfang 2025 beschlossenen Fusion mit den Kirchgemeinden Oltingen-Wenslingen-Anwil und Rothenfluh, die von der Synode im September noch definitiv zu bewilligen ist, neu eine Pfarrstelle ausgeschrieben. Dies, da auch die aktuell noch amtierenden Pfarrpersonen in den fusionierenden Kirchgemeinden im Verlaufe des Jahres pensioniert würden, sagt Herrmann.
Mit einer zweijährigen Langzeitstellvertretung konnte die Kirchgemeinde Diegten-Eptingen ihre per Ende letzten Februar demissionierte Pfarrerin ersetzen. Myrta Stohler sagt: «Wir haben Glück gehabt. Eine aus dem Kanton Aargau zugezogene Pfarrerin meldete sich bei uns, weil sie eine neue Stelle suchte.» Dafür herrscht in der Kirchenpflege von Diegten-Eptingen grosse Ebbe. «Wir haben alle Mitglieder unserer Kirchgemeinde angeschrieben mit der Bitte, sich in der Kirchenpflege zu engagieren. Das Echo war null.» Stohler, die von der Kantonalkirche als Statthalterin eingesetzt worden ist, damit die Kirchenpflege überhaupt handlungsfähig ist, macht «vorläufig» weiter in der Hoffnung, dass doch noch neue Kirchenpflege-Mitglieder gefunden werden können. Stohler: «Ich kann ja nicht einfach davonlaufen.»