Eile ohne Weile
21.12.2023 Bezirk Waldenburg, Finanzen, Reigoldswil, Gemeinden, RegionNeue Argumente im Projekt für neues Gemeindezentrum
Die offizielle Sprachregelung von Behörde und leitendem Arzt lautete bisher, dass die Neubauten anstelle des Gemeindezentrums bis 2027 stehen müssen, weil die Hausarztpraxis bis dahin ausziehen muss. Das stimmt so nicht. ...
Neue Argumente im Projekt für neues Gemeindezentrum
Die offizielle Sprachregelung von Behörde und leitendem Arzt lautete bisher, dass die Neubauten anstelle des Gemeindezentrums bis 2027 stehen müssen, weil die Hausarztpraxis bis dahin ausziehen muss. Das stimmt so nicht. Ein Vertreter der Erbengemeinschaft, der die Praxisräume gehören, hält auf Anfrage fest: «Wir werfen die Praxis 2027 sicher nicht hinaus.»
Andreas Hirsbrunner
Die Gemeinde Reigoldswil hat ambitionierte Pläne für ihre 2600 Quadratmeter umfassende Parzelle 415: Sie will das schon etwas betagte Gemeindezentrum mit den Räumen für die Verwaltung, einem grösseren Saal und vier Wohnungen samt benachbartem Feuerwehrmagazin abreissen und durch vier Mehrfamilienhäuser mit Alterswohnungen und einem Gesundheitszentrum ersetzen. Noch ambitionierter macht das Projekt, dass es bis spätestens 2027 umgesetzt sein soll. Diesen Zeitdruck betonte der Gemeinderat bei mehreren Gelegenheiten, so auch bei einem Informationsanlass im vergangenen Juni mit über 100 Besucherinnen und Besuchern.
Gemeindepräsident Fritz Sutter begründete den Zeitdruck damals mit den Worten: «Die Hausarztpraxis muss bis spätestens 2027 aus den heutigen Räumlichkeiten ausziehen. Der Gemeinderat will dafür sorgen, dass sie dem Dorf nicht abhandenkommt und so unsere gute Gesundheitsversorgung erhalten bleibt» (die «Volksstimme» berichtete).
Und weiterhin wird mit hoher Kadenz an der Umsetzung des Vorhabens gearbeitet. So ist auf Mitte April eine ausserordentliche Gemeindeversammlung anberaumt, welche die notwendigen Zonenplanänderungen genehmigen soll: Die Parzelle 415 soll von der Zone für öffentliche Werke und Anlagen in die Kernzone 3 für dreistöckige Wohnbauten verschoben werden. Weil die Gemeinde so ihre Wohnzone erweitert, obwohl noch viele Bauparzellen gar nicht überbaut sind, muss sie auf Geheiss des Kantons als Kompensation eine gleich grosse Parzelle in die Landwirtschaftszone auszonen. Das will sie mit einer Übung ohne eigentlichen Nutzen erfüllen: Die vorgesehene Parzelle ist auf drei Seiten von Baugebiet und auf der vierten von einer Strasse umschlossen. Damit ist absehbar, dass sie innerhalb des Siedlungsperimeters zu einem absoluten Exoten wird und schon bald der Ruf ertönen wird, sie wieder einzuzonen. Viel mehr Sinn würde eine Auszonung am Rand der Bauzone zur Landwirtschaft machen, sodass diese auch davon profitieren könnte.
Doch die jetzt gewählte Lösung spart Zeit: Die Parzelle ist in Gemeindebesitz und so erübrigen sich längere Verhandlungen. Solche wären bei einer Rückzonung einer Parzelle am Rand der Bauzone nötig, da die Gemeinde laut Sutter kein solches Bauland besitzt. Buchhalterisch bleibt die ganze Übung unter dem Strich so oder so ein Nullsummenspiel: Im einen Fall fliesst der Aufwertungsgewinn der Parzelle 415 als Entschädigung an eine Privatperson, im anderen Fall muss die gemeindeeigene Bauparzelle durch die Auszonung abgeschrieben werden.
Auch eine andere, eigentlich wünschbare Zusatzschlaufe soll nicht möglich sein: Als eine Reigoldswilerin an besagtem Informationsanlass im Juni einen Architekturwettbewerb für die vier auf der Parzelle 415 geplanten Neubauten, die sehr prominent am Dorfeingang stehen werden, vorschlug, wurde ihr entgegnet, dass die Zeit dafür nicht reiche.
Praxis kann länger bleiben
Nur: Der wiederholt hervorgehobene Zeitdruck ist ein künstlicher, und das wissen zumindest Gemeindepräsident Fritz Sutter und der leitende Arzt der Hausarztpraxis, Johannes Manggold, seit Längerem. Das ergibt eine Nachfrage bei der Erbengemeinschaft, der das Gebäude mit der heutigen Hausarztpraxis gehört. Ihr Vertreter Andreas Tanner stört sich hörbar daran, dass er und seine drei Geschwister indirekt für den Zeitdruck verantwortlich gemacht werden, weil die Arztpraxis die heutigen Räume angeblich spätestens 2027 verlassen müsse.
Detailliert gibt er Auskunft über die Abläufe: «Als wir in den Jahren 2019/2020 mit Johannes Manggold über die Verlängerung des Mietvertrags sprachen, sagte er uns, dass er mit der Gemeinde in Verhandlungen über einen Umzug in die projektierten Neubauten stehe und das Ganze 2025 fertig sein sollte.» Sie hätten deshalb einen Vertrag bis 2025 mit Verlängerungsmöglichkeit bis 2027 abgeschlossen. Gleichzeitig hätten sie Manggold zu verstehen gegeben, dass er bei Bedarf auch länger in den heutigen Räumen praktizieren könne.
Am 5. April 2022 habe er sich als Vertreter der Erbengemeinschaft mit Gemeindepräsident Sutter getroffen. Sutter habe ihm dargelegt, dass die Gemeinde am Evaluieren sei und sich beeilen müsse, weil die Praxis ja 2027 rausmüsse, erzählt Andreas Tanner und hält fest: «Wir haben ihm gesagt, was wir zuvor schon Johannes Manggold gesagt haben: Eine Verlängerung des Mietvertrags ist möglich, wir werfen die Praxis sicher nicht hinaus.» Zudem hätten sie Sutter angeboten, dass die Gemeinde die Praxisräumlichkeiten zu einem fairen Preis kaufen könne, falls das Neubauprojekt scheitere.
Seit jener Besprechung hätten sie nichts mehr von Sutter gehört; mit dem Praxisteam hingegen stünde die Erbengemeinschaft in jährlichen Austauschgesprächen, um den Übergang zum Neubauprojekt gut zu steuern. Und Tanner betont: «Die Praxis ist das Lebenswerk unseres Vaters. Wir wollen auf keinen Fall, dass Reigoldswil wegen uns keine Arztpraxis mehr hat. Wir sind bereit, den Mietvertrag bis 2030 oder wenn nötig auch darüber hinaus zu verlängern.»
Irgendwann wollten sie das Gebäude verkaufen, aktiv bewerben würden sie dies aber zurzeit nicht. Sollte sich trotzdem ein Interessent melden, dann würden sie nur unter der Bedingung verkaufen, dass er die Arztpraxis nicht «hinauswerfen» dürfe. Hans Tanner, der Vater der vier Erben, war jahrzehntelang Dorfarzt in Reigoldswil, bis er sich 1992 vorzeitig pensionieren liess.
Der gute Draht zum Kanton
Mit Tanners Aussagen konfrontiert, sagt Gemeindepräsident Sutter: «Das stimmt, Herr Tanner hat mich informiert, aber wir müssen uns trotzdem beeilen. Denn wir müssen das Neubauprojekt realisieren oder zumindest fertig aufgleisen, bevor es zu grösseren Wechseln im Gemeinderat kommt. Wenn das nicht gelingt, können wir das Projekt vergessen.»
Damit spielt Sutter auf die laufende Verjüngung der Exekutive an. Die beiden «Alten» im Rat mit zwölf oder mehr Dienstjahren – Sutter selbst und Thomas Moser – haben zwar an der letzten Gemeindeversammlung angekündigt, dass sie im März nochmals zur Wahl antreten, aber spätestens nach der nächsten Amtsperiode sei Schluss. Sutter: «Ohne Connections zu den kantonalen Ämtern steht man bei einem solchen Projekt an. Und nach dem absehbaren Generationenwechsel werden diese Verbindungen wahrscheinlich vorerst fehlen.»
Dazu komme, dass Johannes Manggold von der Hausarztpraxis Planungssicherheit wolle, was er nachvollziehen könne. Auch sei man bereits mit zwei potenziellen Investoren in losem Kontakt. Sutter: «Wir wollen dieses Projekt jetzt so rasch wie möglich durch die politischen Instanzen bringen.» Die Argumentation hat also geändert, das Tempo bleibt.