Die schlimme Vorahnung der Eltern
21.03.2025 Region, Verkehr, Justiz, BaselbietBei der Verhandlung vor dem Baselbieter Strafgericht ging es um einen tödlichen Autounfall unter dem Einfluss von Lachgas. Während der Staatsanwalt eine mehrjährige Haftstrafe verlangt, plädiert der Verteidiger auf Freispruch.
Thomas Immoos
...Bei der Verhandlung vor dem Baselbieter Strafgericht ging es um einen tödlichen Autounfall unter dem Einfluss von Lachgas. Während der Staatsanwalt eine mehrjährige Haftstrafe verlangt, plädiert der Verteidiger auf Freispruch.
Thomas Immoos
Während anderthalb Tagen verhandelte das Strafgericht in Muttenz gegen einen inzwischen 21-jährigen Mann. Dieser hatte im November 2021 unter dem Einfluss von Lachgas einen Unfall verursacht, bei dem ein 16-jähriger Mitfahrer tödlich und drei weitere gleichaltrige Mitfahrer zum Teil schwer verletzt wurden (die «Volksstimme» berichtete). In der Befragung schien Bogdan* zu Beginn noch weitgehend den Anweisungen des Anwalts zu folgen. Im Lauf der Verhandlung reagierte er auf Fragen aber zunehmend ungehaltener.
Erschütternd waren die Schilderungen des Vaters von Ali*. Da ihr Sohn nicht wie üblich um Mitternacht zu Hause war, orteten ihn die Eltern per Handytrack. Die schlimme Vorahnung verdichtete sich, als im Raum Arisdorf keine weiteren Bewegungen mehr gemeldet wurden. Die Eltern fuhren sogleich los, wurden aber von der Polizei am Zugang zur Unfallstelle gehindert. Kurz vor 4 Uhr suchte die Polizei die Eltern auf, um sie über den Unfalltod ihres Sohnes aufzuklären. Von dem Schock haben sie sich seither nicht mehr erholt; der Vater wurde arbeitsunfähig und hat seinen Job Ende Januar 2025 verloren.
Sandro* sass während der Fahrt auf dem Beifahrersitz. «Wir wollten es lustig haben», begründeten Fahrer und Mitfahrer den Konsum von Lachgas übereinstimmend. Als das Auto einen Gegenstand touchierte, grölte man noch. Irgendwann hörte man einen Mitfahrer rufen: «Pass uff, Bogdan, pass uff!». Als der Fahrer bewusstlos wurde, griff ihm Sandro ins Lenkrad, Bogdan wachte auf, griff wieder zum Steuer, konnte aber den frontalen Zusammenstoss mit einer Betonmauer nicht mehr verhindern. Ali, der auf dem Rücksitz in der Mitte sass, war sofort tot. Die andern Mitfahrer erlitten schwere Verletzungen.
«Gewissenloses Verhalten»
Alle Mitfahrer geben sich eine Mitschuld am Geschehen, auch wenn sie sagen, sie hätten Bogdan aufgefordert, auf den Konsum von Lachgas zu verzichten. Pavel* fragt sich noch heute, «warum ich nicht ausgestiegen bin». Und Mehmet* enervierte sich darüber, dass Bogdan nach dem Unfall ungerührt vor dem Unfallauto stehend eine Zigarette rauchte: «Wirf die Scheiss-Zigi wägg», schrie er Bogdan an, der stattdessen die Lachgasflasche aus dem Auto barg und weit weg warf.
Gerichtspräsidentin Barbara Grange warf Bogdan «ein gewissenund skrupelloses Verhalten» vor. Dies sah auch Staatsanwalt Matthias Walter so. Als Beweis für die Delikte verwies er auf die im Wagen gemachten Videos: «Bogdan war über zehn Sekunden lang nicht in der Lage, sein Fahrzeug zu lenken.» Mit seinem Verhalten habe er bewusst in Kauf genommen, seine Mitfahrer zu verletzen oder gar zu töten. Deshalb stufte er die Fahrt als vorsätzliche Tötung und versuchte vorsätzliche Tötung ein, während die meisten Verkehrsdelikte inzwischen verjährt seien. Der Fahrer habe die Folgen des Lachgas-Konsums gekannt. «Bogdan hat russisches Roulette gespielt.» Deshalb beantragte der Staatsanwalt eine Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten.
Daniel Tschopp, Anwalt von Alis Eltern, warf Bogdan «komplette Verblendung und Ignoranz» vor. Er habe seine Sorgfaltspflicht als Fahrer grob verletzt. Er forderte eine angemessene Genugtuungsentschädigung für jedes Familienmitglied, Schadenersatz für die Schockschäden der Eltern sowie der Erstattung der Beerdigungskosten. Auch Sandros Anwalt Christian Möcklin kritisierte das Verhalten des Fahrers als «gröbstfahrlässig». Für Sandro beantragte er ebenfalls eine Genugtuung und Schadenersatz. Dies tat auch Nuray Ates Tekdemir, die Anwältin von Pavel und Mehmet.
Verteidiger kritisiert Mitfahrer
Ganz anders der Verteidiger Bogdans, David Gibor. Sein Mandant sei auf der ganzen Linie freizusprechen. So kritisierte er, die erste Einvernahme im Spital – nur wenige Stunden nach dem Unfall – sei ohne anwaltliche Begleitung erfolgt. Den Mitfahrern warf er vor, im Lauf des Verfahrens seinen Mandanten übermässig belastet zu haben, um sich selber zu entlasten. Was das Lachgas angeht, so sei dieses zur Zeit des Unfalls noch gar nicht als Betäubungsmittel deklariert und somit legal gewesen.
Die Bewusstlosigkeit Bogdans sei nicht auf das Lachgas zurückzuführen, sondern auf die erste Kollision mit den Leitplanken. Die Unfallfolgen seien auch deshalb für die Mitfahrer so schwerwiegend, weil sie – mit Ausnahme des Beifahrers – die Gurte nicht oder falsch fixiert hätten. Im Weiteren habe sich sein Mandant im ganzen Verfahren kooperativ, geständig und reuig gezeigt. Deshalb sei er vollumfänglich freizusprechen. Überdies solle ihm eine Prozessentschädigung zugesprochen und ein Teil der Anwaltskosten von der Staatskasse übernommen werden.
In der Replik widersprach der Staatsanwalt dieser Darstellung. So habe sich Bogdan geweigert, der Polizei den Handy-Code zu nennen: «So viel zur Kooperationsbereitschaft!». Und Daniel Tschopp ergänzte: «Die Verantwortung auf die Mitfahrer abzuwälzen geht nicht.» Diese liege eindeutig beim Fahrer. Christian Möckli warf dem Verteidiger gar vor, «ein Sachverhalts-Süppli zusammenzubrauen». Bogdan habe bewusst Gas gegeben, bewusst Ballone mit Lachgas gefüllt und bewusst selber Lachgas konsumiert. Auch Nuray Ates Tekdemir sieht die alleinige Verantwortung beim Fahrer. Bogdan habe zudem gute Kenntnisse von der Wirkung von Lachgas gehabt. «Objektive Beweise belegen, dass der Unfallfahrer bewusstlos am Steuer sass.»
In seinem Schlusswort sagte Bogdan: «Es tut mir alles leid. Das ist alles.» Das Urteil wird – anders als vorgesehen – nicht nächste Woche gefällt. Gerichtspräsidentin Grange begründete die Verschiebung auf die erste Aprilhälfte damit, dass man mehr Zeit für eine seriöse Urteilsfindung benötige.
* Alle Namen geändert