«Die Eltern sind entscheidend»
16.05.2025 Bezirk Sissach, Baselbiet, Region, Bildung, HölsteinKommunikationswissenschaftler Florian Lippuner über Vor- und Nachteile des Gamens
Für die meisten Kinder und Jugendlichen gehört Gamen zum Alltag. Kommunikationswissenschaftler Florian Lippuner sagt, dass Videospiele neben Gefahren auch viele positive Seiten haben. ...
Kommunikationswissenschaftler Florian Lippuner über Vor- und Nachteile des Gamens
Für die meisten Kinder und Jugendlichen gehört Gamen zum Alltag. Kommunikationswissenschaftler Florian Lippuner sagt, dass Videospiele neben Gefahren auch viele positive Seiten haben. Wichtig sei, dass sich Eltern mit Videospielen auseinandersetzen.
Timo Wüthrich
Herr Lippuner, wieso interessieren Sie sich gerade für Videospiele?
Florian Lippuner: Ich hatte das Glück, in einer Zeit aufzuwachsen, in der das Internet gross wurde und sich auch die Games weiterentwickelten. Dementsprechend kam ich als Jugendlicher mit dieser faszinierenden Welt in Kontakt und spielte oft gemeinsam mit Verwandten oder Freunden. Etwas später studierte ich Medienpädagogik und Medienpsychologie – durch mein persönliches Faible war dabei der Bezug zu den Videospielen als Medium gegeben.
Sie haben selbst zwei Kinder, die in einem Alter sind, in dem Games langsam interessant werden. Wie wird bei Ihnen zu Hause mit Videospielen umgegangen?
Mit meinem älteren siebenjährigen Sohn spiele ich ab und zu gemeinsam. So hat er die Möglichkeit, mit mir zusammen die Welt der Games kennenzulernen – und ich selbst komme dadurch auch wieder etwas mehr zum Gamen. Durch das gemeinsame Gamen kann ich meinem Sohn die positiven und negativen Aspekte der Videospiele näherbringen.
Was bewirken Videospiele – und was können sie Heranwachsenden mitgeben?
Videospiele können positive Effekte haben: Sie fördern beispielsweise motorische Fähigkeiten – etwa durch den Umgang mit Controller oder Maus. Auch kognitive Kompetenzen wie das räumliche Denken lassen sich verbessern, etwa bei «Open-World»-Spielen wie Minecraft. Fakt ist, dass der Grossteil der Kinder und Jugendlichen heutzutage mit Games in Kontakt kommt. Umso wichtiger ist es, die positiven Aspekte zu nutzen. Dabei geht es mir nicht darum, Videospiele zu verherrlichen, denn es lauern auch Gefahren.
Nennen Sie bitte einige.
Viele Games sind internetbasiert. Das heisst, Kinder und Jugendliche kommen potenziell mit Fremden in Kontakt, die vielleicht schlechte Absichten haben und sich als jemand anderes ausgeben. Oder die Kosten: Die Softwareentwickler hinter Videospielen sind in der Regel profitorientierte Unternehmen. Auch wenn viele Spiele mittlerweile kostenlos sind, verlocken sie oft zu sogenannten In-App-Käufen: Zum Beispiel müssen dann 100 Münzen der Spielwährung mit echtem Geld gekauft werden, um bestimmte Figuren oder Levels freizuschalten. Des Weiteren sind Push-Nachrichten kritisch zu beäugen, mit denen Gamer animiert werden, immer wieder oder immer länger zu spielen. Für Kinder und Jugendliche ist es nur schon aus neurobiologischen Gründen schwierig, da zu widerstehen.
Ab wann gilt das Spielverhalten als problematisch?
Sehr oft wird das ständige Verlangen mit einer Sucht im klinischen Sinne gleichgesetzt, das ist aber nicht dasselbe: Wenn mein Kind mich mehrere Male am Tag fragt, ob es gamen darf, ist es nicht direkt süchtig nach Videospielen – es verspürt zunächst einmal einfach das Verlangen danach. Sucht ist per Definition eine Krankheit, bei der Betroffene sich stark aus dem sozialen Leben zurückziehen und über Monate hinweg schulische oder berufliche Pflichten vernachlässigen. Die Eltern machen hier den Unterschied, sie haben eine Fürsorgepflicht, damit das nicht passiert. Sie können einen regulierten und ausgewogenen Umgang mit Videospielen pflegen und alternative Freizeitaktivitäten ermöglichen.
Was kann das Gamen Jugendlichen vermitteln, was analoge Freizeitaktivitäten nicht können?
Eigentlich nichts – und trotzdem machen sie Spass und sind manchmal ganz praktisch. Wenn Heranwachsende nach einem verregneten Tag von der Schule nach Hause kommen, dann können Videospiele eine willkommene Abwechslung zu analogen Freizeitaktivitäten sein.
Wieso bestehen immer noch negative Vorbehalte gegenüber digitalen Spielen?
Dies liegt vor allem an der mangelnden Kenntnis der Öffentlichkeit, aber auch der Eltern. Eine nüchterne Debatte entsteht oft gar nicht. Teilweise bestehen die gleichen Klischees über Videospiele wie vor 20 Jahren: Dass sie gewalttätig oder süchtig machten und überhaupt eine grosse Gefahr seien.
Wie kann eine ausgewogenere Diskussion gelingen?
Eltern sollten bereit sein, sich mit Videospielen auseinanderzusetzen. Etwa, indem sie mit ihren Kindern spielen, um den Reiz nachvollziehen zu können. Wichtig ist die Haltung: Wenn wir Gamen als etwas Schlechtes oder Schädliches abtun, werden sich unsere Kinder mit dem Thema auch nicht mehr an uns wenden. Es gehen Türen zu, die besser offen blieben. Eigentlich ist es beinahe paradox, denn in jedem anderen Bereich der Erziehung wissen die Eltern Bescheid, nur beim Gamen wird oft weggeschaut, obwohl dies früher oder später praktisch jedes Kind betrifft. Dabei kann das Gamen ein guter Einstieg für Gespräche über aktuelle Themen und Gefühle sein.
Zur Person
tiw. Aufgewachsen im St. Galler Rheintal, hat es Florian Lippuner zum Studium der Publizistik nach Zürich verschlagen, wo er auch promovierte. In seiner Doktorarbeit erforschte er die Bedeutung von Computerspielen im Leben junger Erwachsener. Seit vergangenem Sommer lebt der 43-Jährige mit seiner Frau und zwei Kindern in Hölstein. Zu seinen Hobbys zählen nicht nur Videospiele, sondern auch die Welt der Musik und die Haltung von ungewöhnlichen Haustieren wie Spinnen, Skorpionen oder Schlangen.
Florian Lippuner hält in Oberdorf einen Vortrag mit dem Titel «Positive Aspekte von Games». Donnerstag, 22. Mai, im Vereinszimmer der Mehrzweckhalle. Der Anlass beginnt um 19.30 Uhr und dauert 90 Minuten. Der Eintritt ist kostenlos, eine Anmeldung nicht nötig.