«Das ist eine ziemliche Katastrophe»
05.08.2025 Baselbiet, Baselbiet, Region, Wirtschaft, FinanzenJedes zweite Unternehmen erwartet erhebliche Folgen durch Trumps Zollentscheid
39 Prozent: Der Tarif für Warenimporte aus der Schweiz in die USA ist seit dem Nationalfeiertag Hauptthema. Wie hoch ist die Abhängigkeit der Uhren- und Maschinenindustrie? Wie stark treffen die ...
Jedes zweite Unternehmen erwartet erhebliche Folgen durch Trumps Zollentscheid
39 Prozent: Der Tarif für Warenimporte aus der Schweiz in die USA ist seit dem Nationalfeiertag Hauptthema. Wie hoch ist die Abhängigkeit der Uhren- und Maschinenindustrie? Wie stark treffen die Zölle die regionale Wirtschaft? Gross. Und heftig.
Christian Horisberger und David Thommen
Die von US-Präsident Donald Trump verhängten Importzölle auf Waren aus der Schweiz ab dem 7. August sind ein schwerer Schlag für die Schweizer Uhrenindustrie. Denn die USA sind für die Branche der mit Abstand wichtigste Absatzmarkt. Jährlich exportiert die Schweiz Uhren im Wert von rund fünf Milliarden Franken in die Vereinigten Staaten. Entsprechend tief sitzt der Schock in der Branche, wie die Nachrichtenagentur Keystone-SDA schreibt.
Im Baselbiet ist die Lausner Ronda eine bedeutende Firma in der Uhrenbranche. «Wir sind einer der weltweit grössten Hersteller von mechanischen Uhrwerken sowie hochpräzisen Quarz-Uhrwerken», schreibt das Unternehmen auf seiner Website. Auf Nachfrage der «Volksstimme» teilt Ronda mit, dass kaum Uhrwerke direkt in die USA exportiert würden. Die Uhrwerke kommen erst auf dem wichtigen USA-Markt an, nachdem sie von anderen Herstellern in die Uhren eingebaut worden sind. Die konkreten Auswirkungen der Zölle auf den Lausner Uhrwerkhersteller seien daher momentan noch schwierig einzuschätzen. Fest stehe jedoch, dass angesichts der Wichtigkeit der USA für die Schweizer Uhrenbranche von einem gravierenden Einschnitt gesprochen werden müsse. Dies liege auch daran, dass im Gegensatz zu anderen Branchen eine Verlagerung der Produktion keine Alternative darstelle, da das Prädikat «Swiss made» eng mit der Fertigung in der Schweiz verbunden sei und als zentrales Qualitätsmerkmal gelte. In Lausen hofft man, dass der Bundesrat im Interesse der Uhrenbranche und der exportierenden Industrie insgesamt noch eine bessere Lösung nachverhandeln kann.
Bei der Oris, der bekanntesten Uhrenmarke im Kanton, herrscht seit dem Bekanntwerden des Zollhammers Hochbetrieb. Die USA sind der bedeutendste Absatzmarkt der Hölsteiner. CEO Rolf Studer sagt: «Derzeit wird bei uns viel Überzeit geleistet.» Es gehe darum, sofort möglichst viele Uhren, die an Lager sind, zu verpacken und noch vor dem Inkrafttreten der Zölle in die USA zu verschicken. Ein Teil dieser Uhren – insgesamt eine vierstellige Stückzahl – seien für andere Länder bestimmt gewesen, würden diesen Märkten nun aber vorerst entzogen. Studer macht keinen Hehl daraus, dass er mit Trumps Entscheidungen unglücklich ist: «Das kostet uns viel Aufwand und letztlich auch viel Geld.» Und Nerven, wie er anfügt: Die zurückliegende Zeit der Unsicherheit in der Weltwirtschaft sei Gift für die Uhrenbranche gewesen – und die jetzigen 39 Prozent seien es ebenfalls. Er hoffe nun auf eine «Last-Minute-Lösung» durch den Bundesrat.
Auch Christopher Bitterli vom Tenniker Uhrenhersteller Grovana hofft noch auf ein besseres Verhandlungsresultat: «Für uns wären die 39 Prozent eine ziemliche Katastrophe», sagt er. Rund 20 bis 25 Prozent der Tenniker Produktion (neben «Grovana» auch «Revue Thommen») geht in die Vereinigten Staaten, mehrheitlich mechanische Uhren aus dem höherpreisigen Segment. Aufgrund von «Swiss made» sei eine Verlagerung der Produktion keine Option, sagt auch Bitterli. Die Situation mit der Ungewissheit in Sachen Zölle sei in den vergangenen Wochen zermürbend gewesen und werde es wohl auch noch einige Zeit bleiben. Er wünsche sich wieder eine verlässlichere Regierung in den USA, sagt der Tenniker Firmenchef. Zudem beschleiche ihn das Gefühl, dass die USA nun die gesamte Schweizer Industrie in Geiselhaft genommen haben, um Druck auf die Schweizer Pharmaindustrie auszuüben und Preissenkungen bei den Medikamenten zu erwirken.
Auch wenn die Wolken für den Schweizer Uhrensektor dunkel aussehen, wollte Swatch-CEO Nick Hayek vor wenigen Wochen, als Trump erstmals eine Zollsteuer von 31 Prozent ankündigte, noch nicht allzu schwarz sehen: «Zölle für Produkte, die einmalig sind und welche die Leute haben wollen, sind kein Problem.» Das habe die Vergangenheit gezeigt. Dies sagte Hayek gegenüber der Nachrichtenagentur AWP.
Gravierender als Corona
Hart trifft der Zollentscheid auch die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie. Auf 15 bis 20 Prozent schätzt Pascal Degen, Vorstandsmitglied des regionalen und des nationalen Branchenverbands Swissmechanic, den Anteil der Produktion Baselbieter und Basler MEM-Firmen, die ihre Waren direkt oder als Zulieferer indirekt in die USA exportieren. Die 39 Prozent Importzoll stuft Degen, der das Liedertswiler Präzisionsmechanik-Unternehmen Dero führt, für seine Branche als gravierender ein als die Auswirkungen der Corona-Pandemie.
Von einem seiner Kunden weiss Degen, dass dessen Abnehmer in den USA nicht bereit sei, plötzlich fast 40 Prozent mehr für eine bestellte Maschine, «made in Switzerland», zu bezahlen. «Bleibt es bei den 39 Prozent Zoll, werden Käufer und Verkäufer eine Lösung finden müssen, zum Beispiel die Teilung der Zollgebühr», sagt der Liedertswiler. Dann aber wäre wohl die Marge für den Produzenten weg, oder er zahle beim Geschäft sogar drauf. «Dann wird er sich fragen, ob er auf US-Geschäfte in Zukunft nicht besser verzichtet.»
Die Situation beobachten und abwarten gilt jetzt insbesondere für die Zuliefer für Exporte in die USA. «Es ist nicht auszuschliessen, dass wir – mit einiger Verzögerung – die Folgen des Zoll-Entscheids zu spüren bekommen», sagt etwa Jan Schweizer, Geschäftsführer der Sissacher Polycompound AG, Herstellerin von Kunststoffgranulaten. Aussagen zum möglichen Volumen von Bestellungsrückgängen zu machen oder ob es überhaupt dazu kommt, sei reine Spekulation – insbesondere auch, weil er nicht denke, dass die 39 Prozent der finale Entscheid sind: «Unsere Regierung wird weitere Gespräche führen müssen.»
So oder so – sein Unternehmen werde ein allfälliger Einbruch der Bestellungen nicht kalt erwischen, sagt Schweizer: «Da Krisen die Wirtschaft inzwischen im Ein- oder Zwei-Jahres-Rhythmus treffen, sind wir vorbereitet und wissen, was wir in welcher Situation in Angriff nehmen müssen.»
Die Waldenburger Rero AG (Metallveredelung) hatte bereits einen Vorgeschmack auf die Zollpolitik Amerikas genossen. «Schon als der US-Präsident im April die weitreichenden Zölle ankündigte, hatten wir das Gefühl, dass gewisse Kunden aus der Maschinenindustrie zurückhaltender bestellen», sagt Geschäftsführer Thomas Tschopp. Dies habe sich wieder gelegt. Er gehe aber davon aus, dass sich die Auftragslage aus der Maschinenindustrie nun verschlechtern wird. In welchem Umfang, lasse sich nicht abschätzen: «Es zieht ein Gewitter auf. Die Frage ist, ob es so heftig ausfallen wird, wie befürchtet.» Davon abhängig werde die Rero reagieren. Tschopp betont aber: «Wir werden unseren Weg weitergehen und geplante Investitionen in Infrastruktur, Produktionsanlagen und Digitalisierung nun nicht hintenanstellen.»
GF-JRG entspannt
Keine unmittelbaren Auswirkungen hat der «Zollhammer» für die Sissacher GF JRG. Diese richte ihren Fokus traditionell stark auf den europäischen Markt, heisst es dort auf Anfrage. Auch beim Mutterkonzern herrscht keine Alarmstimmung. Laut Mediensprecherin Constanze Werdermann verfolgt GF die Strategie, vor Ort für die lokalen Märkte zu produzieren. «Mehr als 90 Prozent der in den USA verkauften GF-Produkte werden auch in den USA produziert. An dieser Strategie halten wir fest.»
Die Schweiz hofft, mit dem US-Präsidenten in den kommenden Tagen einen besseren «Deal» aushandeln zu können – so auch Swissmechanic-Vorstand Degen. Eine wichtige Rolle spiele aber auch der Faktor Zeit: Für die Branche sei es wichtig, möglichst bald zu wissen, woran die Schweiz effektiv ist: «Verunsicherung ist Gift», sagt er. Denn dies hemme die Unternehmen in ihrer Entwicklung mit Auswirkungen auf die gesamte Lieferkette, es komme zu einem Auftragsrückgang. «Wissen wir aber, was Sache ist, können wir uns darauf einstellen, uns neu orientieren und wenn nötig neu erfinden.» Deshalb müsse der Bund rasch und klar kommunizieren, wer wie stark betroffen ist und wo es Ausnahmen gibt.
Hoffen auf Verhandlungserfolg
Die Tenniker Rego-Fix AG, die einen bedeutenden Anteil ihrer Produktion von Spannzangen für Werkzeuge in die USA exportiert, will sich zu den Auswirkungen des Zollentscheids nicht vor dem 9. August äussern. Man setze grosses Vertrauen in die Schweizer Verhandlungsdelegation, heisst es auf Anfrage.
Die Baselbieter Volkswirtschaftsdirektion zeigt sich gegenüber der «Volksstimme» besorgt über die drohenden US-Zölle. Der Wirtschaftsstandort Baselbiet werde «stark betroffen» sein, heisst es in einer schriftlichen Stellungnahme: Standortförderer Thomas Kübler war ebenso wenig erreichbar wie Regierungsrat Thomi Jourdan.
Die Volkswirtschaftsdirektion teilte lediglich schriftlich mit, eine Unternehmensbefragung der Standortförderung vom April dieses Jahres, als man noch von 31 Prozent Zöllen ausgegangen war, habe ergeben, dass jedes zweite Baselbieter Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe und in der Industrie mit erheblichen Auswirkungen rechnet. Der Regierungsrat wolle mit attraktiven Standortbedingungen gegensteuern und sich bei den Bundesstellen für eine pragmatische Umsetzung der Kurzarbeitszeitregelung einsetzen.