«Chluuri»-Feuerwerk statt «Brot für Brüder»
28.02.2025 Bezirk Sissach, Gemeinden, Fasnacht, SissachDas ist Sissach (9. Teil) | Die Fasnacht treibt so manche bunte Blüte
Die Sissacher Fasnacht dauert vier Tage und endet jeweils am Donnerstagabend mit dem Flammentod des «Chluuri». Das Feuerspektakel inspirierte einst auch angehende Fasnächtler, ...
Das ist Sissach (9. Teil) | Die Fasnacht treibt so manche bunte Blüte
Die Sissacher Fasnacht dauert vier Tage und endet jeweils am Donnerstagabend mit dem Flammentod des «Chluuri». Das Feuerspektakel inspirierte einst auch angehende Fasnächtler, den Grossen nachzueifern.
Heiner Oberer
Fasnachtsdonnerstag 1961. In der «Bützenen» in Sissach rüstet sich die Bizuna-Clique zum Abmarsch. Einschub: Trotz umfangreicher Recherche konnte nicht in Erfahrung gebracht werden, was sich hinter dem Namen Bizuna verbirgt. Zehn aufstrebende Fasnächtler im Alter von sieben bis zwölf Jahren machen sich auf, Geld einzutreiben. Sie möchten sich einen Traum erfüllen und eine «Chluuriverbrennig» im Kleinen durchführen.
Handwerkliches Geschick ist genügend vorhanden. Das «Chluuri» steht. Klein, aber fein. Mit viel Liebe und zahlreichen Nägeln zusammengezimmert. Ein Prunkstück. Versehen mit Grossmutters Hochzeitsrock und Mutters ausgefranster Persianerstola. Im Gegensatz zum heutigen «Chluuri» ist der Brustumfang des Bützenen-«Chluuri» eher bescheiden ausgefallen.
Was fehlt, ist das Geld für das Feuerwerk. Nun wird es heikel. Wer genau die Idee hatte, Geld unter dem Deckmantel «Brot für Brüder» für das Feuerwerk des «Bizuna-Chluuri» zu sammeln, bleibt im Dunkeln. Aber klar. Es versteht sich ja wohl von selbst: Ein «Chluuri» ohne Knaller und Raketen ist kein richtiges. Nichts da mit kindischen Bengal-Zündhölzchen oder läppischen Vulkanen. Es soll ordentlich krachen.
So machen sich die Jungfasnächtler auf ihren Heischegang. Mit dem Segen der Eltern, welche die Idee der gemeinnützigen Sammlung – anfänglich – noch unterstützen. Die Kostüme sind aus Mutters Kleiderkasten entlehnt, die Larven aus dem Fundus der Väter entwendet. Eine prächtige Truppe.
In mehr oder weniger geordneter Formation und dem Kommando: «Arabi! Vorwärts! Marsch!» trottet die Bizuna-Clique los. Zuvorderst der Tambourmajor. Mit einem selbst gebastelten «Tambourengrind» und überdimensioniertem Tambourmajor-Stock. Mit diesem fuchtelt er wie wild in der Luft. Es folgen die fünf Tambouren, von denen jeder gerade einmal weiss, wie man die Trommelstöcke richtig in den Fingern hält. Das Ganze tönt eher wie ein unkoordiniertes Hämmern und Schlagen. Natürlich werden auch keine herkömmlichen verchromten Aluminium- oder Zweifell-Trommeln aus Holz malträtiert.
Die fünf Tambour-Emporkömmlinge schlagen sich auf ausgedienten Holzkübeln über Stunden die Finger wund. Holzkübel, in denen die Sissacher «Blööterliwasser»- Manufaktur Eptinger den Zucker für die Süssgetränke lagerte. Den Boden entfernt und kunstvoll bemalt, ähneln die hölzernen Undinger schon beinahe herkömmlichen Trommeln, tönen aber eher wie ausgediente Pressluftbohrer.
Als «Kässelibuebe» fungieren die vier Jüngsten. Einer davon – ja das gab es schon anno dazumal – ohne Larve. Obwohl «Kässeli» das falsche Wort ist. Das fasnächtliche Sparschwein ähnelt einem gelben Glacebecher aus Karton, mit Deckel, der mit einem Schlitz versehen ist. Beschriftet mit «Brot für Brüder». So ist für die Spender sofort klar ersichtlich, in welch christlicher Mission die Bizuna-Clique unterwegs ist.
Des Lehrers Lob
Bei jedem Halt wird die Truppe wohlwollend empfangen. Besonders Lehrer Vögeli lobt die pädagogisch wertvolle Freiwilligenarbeit in den höchsten Tönen. Er greift in seine Gesässtasche, zieht ein speckiges Portemonnaie hervor, klaubt eine Zehnernote hervor und steckt sie in den umfunktionierten Glacebecher, der ihm in freudiger Erwartung entgegengestreckt wird.
Nach etwa zwei Stunden ist der Rundgang beendet und der Glacebecher zum Bersten voll. Im Nachhinein ist den Tambouren natürlich bewusst, dass die edlen Spender nur darum gespendet haben, damit der fürchterliche Heidenlärm der trommelnden Krachbrüder ein Ende hat.
Nach dem Umziehen machen sich die beiden ältesten Tambouren auf den Weg, um sich beim «Handschi Elsi» an der Bahnhofstrasse reichlich mit Knallkörpern einzudecken. Wieder zu Hause, wird das Feuerwerk, ohne dass es die Eltern bemerken, im «Chluuri» verteilt. Anschliessend wird es auf einen Leiterwagen gepackt und auf den Richtplatz am Römerweg gefahren.
Um 18.30 Uhr ist es wieder vorbei mit der Ruhe. Wieder formiert sich die Bizuna-Clique, diesmal in weissen Leintüchern und dem üblichen Getöse, und marschiert Richtung Richtplatz. Dort warten bereits zahlreiche Schaulustige, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollen. Sie alle haben sich auf einen friedlichen Abend gefreut und sind, wie man nachträglich erfahren hat, stolz auf die jugendlichen «Chluuribouer».
Es kracht, zischt und heult
Aber schon bald ist Schluss mit Lustig. Kaum züngeln die ersten Flammen am «Chluuri», geht es los mit Heulen, Zischen und Krachen. Ungläubiges Staunen und offene Münder bei den Zuschauern. Manch einer mag sich wohl gefragt haben, woher das Feuerwerk kommt. Nach einer Stunde und einem nur noch glühenden Aschenhaufen zerstreut sich die Menge. Die Mitglieder liegen sich glücklich in den Armen. Die Tambouren setzen zu einem letzten grauenerregenden Trommelwirbel an. Kleinkinder, die friedlich träumen, werden ein letztes Mal aus dem Schlaf gerissen.
Dann kehrt wieder Ruhe ein. Eine trügerische Ruhe.Tage später wird der Schreibende von seinem Vater zur Rede gestellt. Er wolle wissen, woher das Feuerwerk gekommen ist. Alle an den Haaren herbeigezogen Ausreden helfen nichts. Schlussendlich und unter Tränen gesteht er alles. Nach einem gehörigen Zusammenschiss und dem Verhängen eines zweiwöchigen Ausgehverbots wird die Angelegenheit ad acta gelegt. Um die geprellten Spender zu besänftigen, zahlt der Vater des Schreibenden den gesammelten Betrag schliesslich doch noch an «Brot für Brüder» ein.
Und die Bizuna-Clique? Für sie war es das erste, aber auch das letzte «Chluuri».
In der Reihe «Das ist Sissach» verfassen verschiedene Autorinnen und Autoren während des Jubiläumsjahrs «Sissach2025» Beiträge über Sissach, die wir wöchentlich publizieren.
Die nächsten Jubiläumsanlässe 2
3. März: «Kammermusik für Sissach» mit Farah Erfani (Gitarre) und Deborah Regez (Flöte). Bistro Cheesmeyer, Beginn 11 Uhr.
28. März: Vortrag «Die Seidenstrasse und ihre fehlenden Teile im Humboldt Forum». Chinahouse, Beginn 18.30 Uhr.