Aus der Not eine Tugend
26.01.2024 Gelterkinden, Gelterkinden, Bildung, NaturWie das Dorf zu seinem Waldkindergarten kam
Im Herbst 2022 zeichnete es sich ab, dass die Anzahl der Kindergartenkinder die Kapazität der sechs bestehenden Standorte überschreiten würde. Dank guter Zusammenarbeit und mehr als einem Quäntchen Glück konnte nach ...
Wie das Dorf zu seinem Waldkindergarten kam
Im Herbst 2022 zeichnete es sich ab, dass die Anzahl der Kindergartenkinder die Kapazität der sechs bestehenden Standorte überschreiten würde. Dank guter Zusammenarbeit und mehr als einem Quäntchen Glück konnte nach weniger als einem Jahr Vorbereitung der «Waldkindergarten Fluh» starten.
Brigitte Keller
Es ist bitterkalt an diesem Montagmorgen im Januar. Die Bise tut ihr Übriges. Und doch herrscht beste Stimmung rund ums ehemalige Bienenhäuschen hoch oben über Gelterkinden. Die zehn Kinder des ersten Kindergartenjahrs von Lehrerin Mirjam Schweizer sind alle dermassen beschäftigt, dass sie keine Zeit haben, um zu frieren. Die Schichten an warmen Kleidern helfen dabei natürlich auch. «Am Anfang hat niemand genau gewusst, wie es werden wird, aber es hat sich toll entwickelt», sagt Schweizer. «Ich finde es cool, hier arbeiten zu dürfen. Auch den Kindern bringt es viel, denn sie entwickeln ganz besondere Energien, bereits schon beim täglichen Hinauflaufen.»
Wer sich etwas aufwärmen möchte, kann zur Feuerstelle gehen, wo täglich ein Feuer angezündet wird. Zweimal die Woche wird dieses zusätzlich genutzt, um ein Mittagessen zu kochen. Donnerstags essen die Kindergartenkinder draussen am Lagerfeuer und montags jeweils die Waldspielgruppe. Denn immer montags gesellen sich etwas später am Vormittag die Kinder der Waldspielgruppe von Lucia Z’graggen und Stefanie Walthard dazu. Man kennt sich, Gross und Klein freuen sich auf die jeweils andere Gruppe. Auch Zivildienstleistender Silas Biland, der täglich mithilft, war vor 15 Jahren selbst eines der Waldspielgruppenkinder von Z’graggen.
«Lucia Z’graggen und ihre Waldspielgruppe ist bestens verankert in Gelterkinden und sie hat uns von Anfang an stark unterstützt», sagt Doris Hunziker, Mitglied der zuständigen Schulleitung. «Ihre langjährige Erfahrung, ihr Wissen und ihr Netzwerk haben viel zum Gelingen des Projekts Waldkindergarten beigetragen.»
Eine flexible Lösung musste her
Es war im Herbst 2022. Die neue Schulleitung, bestehend aus Martin Kobel, Marc Walder und Doris Hunziker, sah sich herausgefordert: Sie befürchteten auf das folgende Schuljahr 2023/24 hin, dass aufgrund der gemeldeten Anzahl Kinder die Kapazität der bestehenden sechs Kindergärten nicht mehr reichen würde. Alle Überlegungen und Berechnungen, unter Berücksichtigung von Einzugsgebieten und zusätzlichen Lektionen, führten zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. «Wir haben festgestellt, dass kein Provisorium an einem einzelnen Standort die Lösung gebracht hätte. Wir brauchten eine flexible Lösung, die alle Standorte entlasten konnte», sagt Doris Hunziker.
Dies war die Geburtsstunde der Idee für einen Waldkindergarten. Die drei Mitglieder der Schulleitung haben selber jahrelang unterrichtet und waren einhellig der Meinung, dass die Schulen heutzutage offen sein sollten für neue pädagogische Angebote. Nun galt es, alle massgebenden Stellen und Personen so schnell wie möglich mit ins Boot zu holen. Es hätte nicht besser laufen können: Schulrat und Gemeinderat waren ebenso offen und interessiert wie das Amt für Volksschule (AVS). Die geforderte Umfrage bei den Familien mit Kindern, die in den folgenden Jahren das Kindergartenalter erreichen würden, ergab ebenfalls grosse Begeisterung.
Ein wahrer Glücksfall
Ein Quäntchen Glück kam in Form einer geeigneten Landparzelle ins Spiel. Andreas Freivogel, Gelterkindens mittlerweile pensionierter Förster, hatte die Idee dazu. Die Parzelle hatte der Bürgerrat kurz zuvor vererbt bekommen mit der Auflage, diese der Gelterkinder Bevölkerung zugutekommen zu lassen. Dieses Stück Land am Waldrand erwies sich als wahrer Glücksfall für das Projekt. Die Parzelle konnte vom Bürgerrat gemietet werden und mit dem leer stehenden Bienenhäuschen darauf war gar ein Platz vorhanden, wo Kleider und Materialien im Trockenen aufbewahrt werden können.
Im Bienenhäuschen kann man sich natürlich nicht aufhalten, dafür ist es viel zu klein. Um bei Regen einen Sitzplatz im Trockenen und genug Schatten bei heissem Sommerwetter zu haben, wurde nach dem Start im vergangenen August eine professionelle Blache über dem Sitzplatz fachmännisch aufgespannt.
Ausweichplatz zur Verfügung
Den darauffolgenden Tag werden die Kinder des Waldkindergartens wie immer zuerst in der Gemeindebibliothek und danach mit Sport in der Turnhalle verbringen. Die zwei Stunden Sportunterricht in der Halle sind eine Vorgabe des Volksschulamtes. Die Möglichkeit, davor Zeit in der Gemeindebibliothek zu verbringen, ist einer weiteren glücklichen Fügung und der Unterstützung durch deren Leiterin zu verdanken. Die Bibliothek steht jederzeit bereit, falls die Kinder einen Ausweichplatz benötigen würden, beispielsweise bei Gewitter oder Sturm. Im ersten Semester musste der Waldkindergarten nur zwei Mal an einen geschützten Ort ausweichen. Ein paar Grad unter null und Bise hält hier niemanden vom gewohnten Aufenthalt im Freien ab.
Obwohl: Eine Jurte würde sich doch noch ganz gut machen auf dem Platz, fänden zumindest die involvierten Erwachsenen. So ein traditionelles «Nomadenzelt» würde dann nicht nur vor Regen und Schnee schützen, sondern eben auch vor dem bissigen Wind, wie er an diesem Tag von unten herauf bläst.