Auf zwei Kontinenten zu Hause
28.06.2024 Bezirk Sissach, Sissach, BaselbietAufbruch in ein neues Leben
Die Familie Aguilar wandert nach Mendoza in Argentinien aus. Einige aus ihrem Umfeld wundern sich darüber und können es nicht verstehen. Doch die Familie hat viele gute Gründe, in die Weite Argentiniens zu ziehen.
Brigitte ...
Aufbruch in ein neues Leben
Die Familie Aguilar wandert nach Mendoza in Argentinien aus. Einige aus ihrem Umfeld wundern sich darüber und können es nicht verstehen. Doch die Familie hat viele gute Gründe, in die Weite Argentiniens zu ziehen.
Brigitte Keller
«Am 23. Februar 2011 sass ich deprimiert und alleine mit meinem Rucksack in einem Hostel im argentinischen Mendoza. Ich hatte soeben eine Nachricht meines damaligen Freundes in der Schweiz gelesen: ‹Ich gönne dir deine dreimonatige Südamerikareise, aber ich bin von Natur aus sehr eifersüchtig und traue diesen Südamerikanern nicht. Ich mache hiermit Schluss.›» Ein paar Minuten später buchte die junge Frau eine Wein-Tour zu den schönsten Bodegas von Mendoza. Ein junger Tourguide holte sie 20 Minuten später im Hostel ab.
Die junge Frau hiess Sabina Küng, der junge Mann Gustavo Aguilar. Für den anschliessenden Abend verabredeten sie sich für 23 Uhr. Sie war pünktlich da, wie es sich gehört für eine Schweizerin. Er kam dann etwa eine Stunde später, was für argentinische Verhältnisse absolut normal ist. «Hätte ich nicht brav gewartet, wäre nie etwas aus uns geworden», sagt Sabina Aguilar heute und lacht. Danach ging es Schlag auf Schlag. Nach längeren Aufenthalten jeweils im Land des anderen wurde bereits ein Jahr später geheiratet und das Zuhause des binationalen Paars wurde Sissach.
Und dort wird gerade einmal mehr das Leben komplett umgekrempelt. Mittlerweile sind sie zu fünft, Sohn Diego (4) und die Zwillingsmädchen Amanda und Luisa (8 Monate) komplettieren die Familie. Gerade sind sie daran, ihr gesamtes Hab und Gut in Kisten und Koffer zu verpacken, denn die junge Familie will die kommenden Jahre in Argentinien verbringen. Am 2. Juli werden die fünf Aguilars das Flugzeug besteigen, das sie via Sao Paulo nach Mendoza bringen wird.
Erste Gedanken, eines Tages mehr als die jährlichen drei Wochen Ferien in Argentinien zu verbringen, entstanden schon bald nach der Niederlassung in Sissach. Doch immer gab es Gründe, diesen Plan noch nicht in die Tat umzusetzen. Da war die Zusatzausbildung, die Gustavo Aguilar in der Schweiz absolvierte. Dann kam die Schwangerschaft mit Diego und dann, als die Pläne schon konkreter wurden, die Schwangerschaft mit den Zwillingen. Und schliesslich, im vergangenen Jahr, kamen noch die politischen Umbrüche dazu und die Wahl von Javier Milei zum neuen argentinischen Präsidenten.
Javier Milei
Wer heute über Argentinien spricht, denkt automatisch auch an den ungewöhnlichen, hierzulande mit reichlich Argwohn wahrgenommenen Präsidenten Javier Milei. Im Vorfeld zu den Wahlen waren die Aguilars auch skeptisch, doch mittlerweile denken sie wie die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung in Argentinien: «Er macht wenigstens etwas. So wie bisher konnte es unmöglich weitergehen.» Er bemühe sich um Transparenz und habe schon vieles aufgedeckt. So sei ans Licht gekommen, dass viele Staatsangestellte nebenbei auch noch Arbeitslosengelder bezogen hätten. Sabina und Gustavo Aguilar sowie ihre Familie in Argentinien möchten dem neuen Präsidenten, der das Land wie eine Firma führe, eine Chance geben. Er habe zumindest schon erreicht, einem grossen Teil der Bevölkerung Hoffnung auf einen Wandel zu geben. Das sei schon viel. Es wird und muss wehtun, sage der dortige Mittelstand dazu, aber es gehe nicht anders.
Und so stand für die junge Familie Ende vergangenen Jahres fest, nun ihren lang gehegten Wunsch wahr werden zu lassen und nach Mendoza zu ziehen. Bewunderung, aber auch Bedauern oder gar Bedenken zu diesem Schritt erfährt sie tagtäglich aus ihrem Umfeld. Sabina und Gustavo Aguilar möchten jedoch unbedingt noch viel Zeit mit den Verwandten in Argentinien verbringen. «Noch geht es dem argentinischen Grossvater und seiner Frau gesundheitlich so gut, dass sie die Enkelkinder geniessen können und meine Kinder umgekehrt auch die Möglichkeit bekommen sollen, ihre argentinischen Wurzeln und die dortige Kultur kennenzulernen», sagt Sabina Aguilar und fragt rhetorisch: «Wofür könnten wir unser gespartes Geld besser ausgeben, als für Zeit mit der Familie?» Wie schnell sich das Leben ändern kann und geliebte Menschen nicht mehr da sind, hat sie selber erlebt, als ihr Vater vor zwölf Jahren ganz plötzlich verstarb. Das hat Spuren hinterlassen.
Nicht nichts tun
Nach der Ankunft in Mendoza werden die Aguilars erst einmal in einer Wohnung, die sie über Airbnb gemietet haben, wohnen. Es sei unmöglich gewesen, schon von hier aus eine eigene Wohnung oder ein Haus zu finden. Viele Objekte seien nicht im Internet ausgeschrieben, sondern nur direkt mit einem Hinweisschild am Objekt versehen. Und so werden sie sich dann «strategisch auf die Suche begeben», wie es Sabina Aguilar nennt. Das Quartier, in dem sie ihr neues Zuhause finden wollen, muss sicher sein. Ja, Sicherheit sei ein Thema, auch in Mendoza, und es gebe Quartiere, um die sie einen Bogen machen. Aber ein eingezäuntes Viertel mit Wächtern am Tor soll es auf keinen Fall werden. «Etwas dazwischen, möglichst in der Nähe der Wohnung der Grosseltern und mit einem Kindergarten für Diego.»
Beide Elternteile wollen möglichst schnell auch wieder arbeiten. Gustavo Aguilar möchte im Tourismus Fuss fassen und wird Touren für kleine Gruppen und Privatpersonen anbieten. Mittlerweile spricht er gut Deutsch und mit seinem Rucksack an Erfahrungen in der Schweiz denkt er insbesondere an Personen aus dem deutschsprachigen Raum. Auch Sabina Aguilar möchte gerne arbeiten. «Ich kann nicht nichts tun», sagt sie, die in der Schweiz in den vergangenen Jahren als Leiterin Personal gearbeitet hat. Gerade hat sie sich selbstständig gemacht als Personalfachfrau. «Das kann ich auch aus dem Homeoffice aus anbieten.» Was sie sich auch vorstellen kann, wäre ebenfalls etwas im Bereich Tourismus und Gastronomie. Es muss sich einfach gut vereinbaren lassen mit den Bedürfnissen der Familie. Zwei Jahre im Minimum will die Familie in Argentinien bleiben. Sie sind sich aber auch des Privilegs bewusst, jederzeit zurück in die Schweiz gehen zu können.
Die Aguilars wissen, dass jetzt einige Herausforderungen auf sie warten. Dinge, die viel mehr Zeit in Anspruch nehmen werden als in der Schweiz. Auch ganz banale Sachen, wie eine Monatskarte für den Bus zu besorgen, Geld zu wechseln, oder auch nur Lebensmittel einzukaufen, brauche viel Zeit und Nerven. Sabina Aguilar sagt von sich selber, bei ihr müsste es eigentlich immer «zack, zack!» gehen, und dann stehe sie im Supermarkt 20 Minuten in der Schlange, weil nur ein kleiner Teil der 17 Kassen bedient sei. An so einiges im neuen Alltag wird sie sich also noch gewöhnen müssen. Dafür freut sich das Paar umso mehr auf die Familie, das Essen und die Natur und Weite rund um Mendoza. Und natürlich auch auf die vielen angekündigten Besuche aus der Schweiz.
Auf ab-nach-argentinien.jimdosite.com wird die Familie Aguilar über ihre Abenteuer in Argentinien berichten.