Alte Postkarten erzählen Geschichte und Geschichten
15.08.2025 Baselbiet, Kultur, Baselbiet, Gesellschaft, Gesundheit, ZeglingenDie Ansichtskarten-Sammlung der Tochter von «Zegliger Peter» ist aufgetaucht
Meine Leidenschaft – Ansichtskarten sammeln! Vor etwa zwei Monaten tauchte auf einer Internet-Plattform eine Sammlung mit vielen Postkarten aus dem Nachlass von Anna Rickenbacher auf, der ...
Die Ansichtskarten-Sammlung der Tochter von «Zegliger Peter» ist aufgetaucht
Meine Leidenschaft – Ansichtskarten sammeln! Vor etwa zwei Monaten tauchte auf einer Internet-Plattform eine Sammlung mit vielen Postkarten aus dem Nachlass von Anna Rickenbacher auf, der Tochter von Peter Rickenbacher, dem legendären «Zegliger Peter». Da wurde es für mich richtig interessant.
Heinz Spinnler
Der bekannte Naturarzt Peter Rickenbacher (30. 10. 1841 – 31. 1. 1915) aus Zeglingen, noch heute liebevoll «Zegliger Peter», «Säupeter» oder «Doktor Peter» genannt, war weit über die Region hinaus bekannt. Er hatte ursprünglich eine Wagnerlehre in Ormalingen absolviert und führte zugleich einen Bauernbetrieb in Zeglingen. Schon in den 1860er-Jahren begann er, als Naturheiler und Homöopath zu praktizieren – wobei seine Methoden weit über die klassische Homöopathie hinausgingen. Patienten kamen aus dem Elsass und dem Schwarzwald.
An Sonntagen im Sommer sollen jeweils mehr als 100 Menschen nach Zeglingen gepilgert sein, um von ihm Rat und Heilmittel zu erhalten. Aus einem Rezeptblatt von 1911 geht hervor, dass er damals mittwochs und sonntags in Zeglingen sowie dienstags und freitags im Hotel Bahnhof in Sissach Patienten empfing. Am 14. Juni 1911 liess er 5000 Rezeptblätter drucken – ein deutlicher Hinweis auf den grossen Andrang. Neben seiner Heilertätigkeit engagierte sich Rickenbacher auch politisch: Von 1902 bis 1909 sass er im Baselbieter Landrat.
Empfänger und Motive
Die meisten Ansichtskarten aus der Sammlung sind an Anna Rickenbacher adressiert, einige an Dr. Peter Rickenbacher persönlich. Weitere Kartenempfänger waren die Familie des späteren Ehemanns von Anna sowie ihre Geschwister. Wie es um 1900 üblich war, wurden die Karten von der Sammlerin sorgfältig aufbewahrt – in diesem Fall aber nicht in einem dafür bestimmten Album, sondern wohl in einer Schachtel. Der gute Erhaltungszustand spricht dafür.
Was im Unterschied zu anderen Sammlungen auffällt: Alle Karten sind topografisch, also bildseitig mit Ortschaften oder Städteansichten versehen. Es gibt keine Motivkarten wie etwa zu Neujahr oder Weihnachten.
Ich konnte in den letzten zwei Monaten rund 160 Karten aus der Zeit von 1900 bis 1910 erwerben. Da es sich bei einigen Karten um seltene und begehrte Objekte handelte, habe ich nicht alle ersteigert. Für mich war der textliche Inhalt jeweils wichtiger als das Bild. Wenn eine Sammlung dieser Grössenordnung als Einzellose angeboten wird, kann es schnell teuer werden. Wieso die Karten in Kilchberg ZH auftauchten, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.
Gruss und Abschied
Einige Schreiben an Dr. Peter Rickenbacher kündigen geplante Besuche in Zeglingen oder in Sissach an. Besonders bemerkenswert sind mehrere Postkarten seines Freundes, des Sissacher Drechslers Samuel Eger mit seiner Werkstatt in der Rössligasse. Zwei Neujahrskarten von 1904 zeigen einmal das Gebäude seiner Werkstatt, einmal eine Innenansicht – seltene Fotografien eines Handwerksbetriebs aus dieser Zeit.
Auf einer Karte vom 3. Juli 1903, versandt aus Lauterbrunnen, berichtet Eger: «Bin heute 1 Uhr hier angekommen, 3 Uhr weiter nach Wengenalp zum Erstellen eines Kegelspiels. Möchten Sie auch hier haben. Freundlich grüsst alle, S. Eger.» Hier einige weitere Beispiele aus der Sammlung. Am 8. September 1904 schreibt eine Frau aus Bern an Peter Rickenbacher: «Geehrter Herr Doktor! Zeglingen ist schön, aber Bern ist halt doch schöner, gell ja? Freundl. Gruss von einer lustigen Bernerin! Ida Kull, Gerechtigkeitsgasse 72.»
Auf einer Karte aus Rickenbach, steht geschrieben: «Rickenbach, den 25. September 1902, Werthe Familie Rickenbacher, hiermit zeige ich Ihnen an, dass wir am 2. Oktober mit dem Dampfer St. Louis Amerikan Linie verreisen werden. Damit rufe ich Ihnen noch ein herzliches Lebewohl zu. Wollen hoffen, dass wir froh und munter in unserer neuen Heimat ankommen werden. Freundl. Grüsse von Frau Elise Graf und Marguerite.»
Auch das: ein Stück Geschichte. Vielleicht weiss jemand mehr über diese beiden Auswanderinnen?
Patienten schreiben
Eine Frau aus Bern schreibt: «Bern, 1. August 1905. Herrn Dr. Rickenbacher. Bitte mir umgehend mitzuteilen, wann ich sie zu … treffen kann, oder in Sissach, und um was für Zeit. Hochachtungsvoll Lina Streiff, geb. Grimm, Länggasse, Falkenhöhe No. 21, Bern.»
Eine Frau aus Bettingen schreibt: «1. 5. 1902 Hochverehrter Herr Doctor! Vor ungefähr 2 Wochen habe ich Ihnen ein Paket geschickt, ohne die Adresse anzugeben. Der Zettel lautet auf Frau Bertschmann. Die Adresse heisst: J. Bertschmann-Beter, Bettingen B/Basel.»
Eine Frau aus Basel schreibt: «Basel, den 20. Juni 1904. Konnte nicht kommen nach Zeglingen, komm am Freitag nach Sissach. Herzlichen Gruss Ihre dankbare Frau Pfeiffer, Klybeckstrasse Nr. 16.»
Eine andere Frau aus Basel schreibt: «Basel, 8. Juli 1902. Geehrter Herr. Nachdem wir gut angelangt, wollen wir Ihnen unseren Dank für Ihre Güte bezeugen. Wir empfehlen den Basler Patient Ihrer guten Aufsicht und zeichnen mit freundl. Gruss Frau Keller.»
Ein Mann aus Basel schreibt:«Herr Doktor! Werde Sie Freitag Morgen, den 2. September 1904 in Sissach aufsuchen. Würde Sie höfl. bitten, da meine Mutter oft an teuflischen Schmerzen leidet im Arm, uns bald möglichst zu berücksichtigen. Enziangeist war ihr zu scharf, den sie im vergangenen Frühling verschrieben.»
Eine Karte ist wie folgt adressiert (1900): Herr Dr. med. & chir. Peter in Zeglingen bei Sissach. Der Text auf der Bildseite: «Sehr geehrter Herr Doctor! Viele Grüsse vom Lüthy, Bandagist aus Basel, jetzt in Zürich.» Heinz Spinnler, der Autor dieses Artikels, betreibt in Tecknau ein Archiv für historische Dokumente. Weiterführende Literatur und Quellen zu «Zegliger Peter»: Dominik Wunderlin: «Der Zegliger Peter», Baselbieter Heimatblätter Nr. 4, Dezember 1980; Hans A. Jenny: Baselbieter Originale (1995); Personenlexikon BL; Ansichtskartensammlung «Anna Rickenbacher», Archiv Heinz Spinnler, Tecknau.
Erkenntnisse
spi. Die hier folgenden Angaben stammen aus den an Anna Rickenbacher und Familie adressierten Karten und deren Texten. Eine Vollständigkeit ist nicht gegeben.
Die Mitglieder der Familie Rickenbacher-Rickenbacher, Zeglingen: Peter Rickenbacher-Rickenbacher, «Zegliger Peter» (1841 – 1915); Frau Anna Rickenbacher. Kinder: Otto, Anna, Ida, Bertha (und weitere?).
Ferner taucht in der Kartensammlung die Familie Grieder-Schaffner, Hof Dottmesen, Gelterkinden, auf: Sohn Eduard Grieder heiratete die «Zegliger Peter»- Tochter Anna Rickenbacher; das Paar wohnte danach in Gelterkinden.
Sohn Otto Rickenbacher (1874 – 1959) studierte Medizin, schloss sein Studium 1898 in Basel ab, arbeitete danach im Kantonsspital Liestal und eröffnete 1901 in Gutenburg BE eine Arztpraxis. Seine Frau hiess Bertha.
Tochter Ida Rickenbacher (1871 – ?), verheiratet Rentsch-Rickenbacher, wohnte in Zeglingen. Nach dem Tod ihres Vaters 1915 führte sie als Homöopathin dessen Praxis weiter.
Das Haus, in dem Peter Rickenbacher wohnte, brannte am 21. Juni 1936 vollständig nieder.