«Vitamin B» hilft bei ihr nicht
17.03.2023 Baselbiet, Bretzwil, Finanzen, Kultur, Porträt, GesellschaftHeidi Scholer, die Hüterin des Swisslos-Fonds, geht in Pension
Während 31 Jahren hat Heidi Scholer über den Baselbieter Swisslos-Fonds gewacht und für die Regierung zahllose Gesuche bearbeitet. Geschätzte 280 Millionen Franken Unterstützung liefen über ihren Schreibtisch. Diesen ...
Heidi Scholer, die Hüterin des Swisslos-Fonds, geht in Pension
Während 31 Jahren hat Heidi Scholer über den Baselbieter Swisslos-Fonds gewacht und für die Regierung zahllose Gesuche bearbeitet. Geschätzte 280 Millionen Franken Unterstützung liefen über ihren Schreibtisch. Diesen Monat geht sie in Pension.
Jürg Gohl
Ein bisschen nervös sei sie schon, gesteht Heidi Scholer in ihrem prächtigen Oberbaselbieter Dialekt und bestellt einen Kaffee. Denn mit der Presse habe sie erstaunlicherweise in 31 Jahren eigentlich nie zu tun gehabt. Das überrascht tatsächlich, ist die Bretzwilerin doch offiziell noch bis Ende März die Leiterin des Baselbieter Swisslos-Fonds oder Lotteriefonds, wie er früher hiess und wie sie ihn im Gespräch noch heute immer einmal nennt. Da müssten doch die Fallstricke reihenweise lauern.
Auf Gesuche hin unterstützt diese Einrichtung Veranstaltungen und gemeinnützige Projekte. In ihrem ersten Jahr waren noch 200 Gesuche zu bearbeiten und 5,5 Millionen Franken zu verteilen, zuletzt waren es 500 Anträge und 13,5 Millionen Franken. In den vergangenen 31 Jahren lagen bewilligte Gesuche für Beiträge von insgesamt rund 280 Millionen Franken auf ihrem Schreibtisch, hat sie errechnet.
Vorgaben statt «Vitamin B»
Natürlich wirbelte in dieser Zeit die eine oder andere Vergabe Staub auf, etwa als dem Energie-Unternehmen Primeo eine halbe Million zugesprochen wurde, damit es sein Energiemuseum «Primeo Kosmos» erweitern kann. Zu viel für die Privatwirtschaft, wurde geargwöhnt. Doch Heidi Scholer selber trifft die Kritik nicht direkt, weil die Regierung das Geld spricht und sie ihr dazu nur die Unterlagen liefert. «Besuchen Sie das Museum mal», sagt sie, «dort ist jeder Franken gerade in Zeiten der Energiediskussionen gescheit investiert.»
Bei Zuschüssen über der Millionengrenze, zum Beispiel an die neue Wasserfallenbahn, an den neuen «Engelsaal» in Liestal, an das Kunsthaus Baselland, an das Marabu, bei den «Leuchttürmen», wie man sie dann nenne, verlief auch nicht immer alles geräuschlos. Schon gar nicht, wenn Basler Projekte unterstützt wurden. Den einen war das viel zu viel, den anderen viel zu wenig. «Vergleichsweise waren wir wenig in den Schlagzeilen», bilanziert sie, was sie durchaus auch als Kompliment für ihre Arbeit betrachtet. Sie habe sich stets strikt an die Vorgaben gehalten, oft habe sie auch frühere Entscheide zu vergleichbaren Gesuchen zurate gezogen. Mit guten Beziehungen – «Vitamin B» – war bei Heidi Scholer nichts auszurichten.
Selbstverständlich hat sie ihre «Lieblingskinder». Aber auch für sie galten die gleichen Auflagen wie für anderes. «Kinder-Veranstaltungen, Kinderspielplätze sowie die Musik und der Naturschutz lagen mir immer besonders am Herzen», sagt die Oberbaselbieterin, die sich immer gegen die gleichen zwei Klischees zur Wehr setzen musste. «Nein, ich bin nicht die reichste Baselbieterin, weil die Millionen dem Kanton gehören. Und nein, mein Beruf besteht nicht darin, grosszügig Geldbeträge zu verteilen, sondern auch darin, Gesuche mit stichhaltigen Gründen abzulehnen. Ich leiste nur Service public.»
Konform und vielseitig zugleich
Es gelang ihr sogar, bei gefüllter Kasse die Regierung davon zu überzeugen, bei Spenden ins Ausland nicht immer auf etwas Aktuelles aufzuspringen, nur um bei der «Glückskette» als Geldgeber aufgeführt zu werden. «Neben der Ukraine, Syrien, der Türkei und Griechenland gibt es auf dieser Welt so viele ebenso schlimme Dauer-Katastrophen, ausgelöst durch Kriege und die Klimakrise. Sie sind auf unsere Spenden ebenso dringend angewiesen», sagt sie.
Scholers Berufsalltag im Liestaler Regierungsgebäude verläuft sehr konform. Am Morgen sichtet sie die schriftlich und per E-Mail eingetroffenen Gesuche, ordnet sie nach Prioritäten und macht sich an die Abklärungen und das Beantworten sowie an die regierungsrätliche Vorlage. In speziellen Fällen gehört auch ein Gespräch mit der jeweiligen Vorsteherin oder dem Vorsteher der Sicherheitsdirektion, der ihre Amtsstelle angegliedert ist, dazu. Das waren und sind Clemens Stöckli, Andreas Koellreuter, Sabine Pegoraro, Isaac Reber und aktuell Regierungspräsidentin Kathrin Schweizer.
Zahlreiche Einblicke
Die Vorgesetzten und die Mitarbeiter der verschiedenen Amtsstellen wird sie vermissen. Diese musste sie für Stellungnahmen ab und zu zur Eile antreiben, um die Behandlungsfrist für die Gesuche von maximal drei Monaten einhalten zu können.
Die Gedanken an den Abschied, der ihr anfänglich keine Mühe bereitete, machen ihr mit jedem Tag mehr zu schaffen, je näher das Ende rückt. Doch auch ihre Aufgabe wird ihr fehlen. «Dank ihr erhielt ich Einblicke in viele interessante Projekte, lernte reihenweise engagierte Menschen kennen und konnte meinen Horizont erweitern. Es waren 31 spannende, abwechslungsreiche Jahre», bilanziert sie, «sie sind im Flug vergangen.» Am 23. März folgt das Abschiedsfest. Danach ist sie Rentnerin.
Heidi Scholer, die immer in Bretzwil gelebt und dort als Bauerntochter gelernt hat, die Ärmel hochzukrempeln, weiss, dass sie nach 31 Arbeitsjahren immer neue Herausforderungen findet. Mit ihrem Ehemann möchte sie viel Aufgeschobenes nachholen, sie will sich mehr Zeit für ihre Eltern nehmen, die seit 72 Jahren verheiratet sind und noch selbstständig leben, sich wieder stärker im Chorgesang engagieren und öfter Konzerte besuchen. «Insbesondere Gesangsanlässe», fügt sie als bekennender Fan des Münchner Opernsängers Jonas Kaufmann an.
Emanzipation gelebt
Dann sagt sie den Satz, den wir mit getauschten Geschlechterrollen oft hören. Während des gesamten Berufslebens habe ihr Mann ihr «den Rücken freigehalten». Als sich vor 31 Jahren für sie gerade im Beruf die Tür zum Büro der Bereichsleitung auftat und er zugleich nach einer Bankenfusion seine Stelle einbüsste, wandten sie sich vom traditionellen Familienbild ab. Er arbeitete noch halbtags und engagierte sich vermehrt im Haushalt, sie ging nach Liestal arbeiten und hatte dennoch Zeit für ihre Hobbys.
«Während andere damals mutig von Emanzipation redeten, praktizierten wir sie», sagt die Oberbaselbieterin, die lange Zeit auch die erste Frau als Leiterin des Swisslos-Fonds war. Zu Hause betreibt sie, nicht ihr Ehemann, vom Sofa aus rege Fernseh-Sport. «Aber ich bin keine Emanze», betont sie. Und sie lacht dazu herzhaft.
In den ersten Tagen nach ihrer Pensionierung will sich die Puzzle-Süchtige aber zuerst hinter eine lang aufgeschobene Arbeit machen. Auf dem Estrich lagern unzählige ungeordnete Lego-Steine ihres Sohnes. Dieser Aufgabe will sie sich nun widmen, bis alle Elemente inklusive Anleitung sauber zusammengesetzt sind.
«Unbestechlich, humorvoll»
vs. Regierungspräsidentin Kathrin Schweizer schätzt an Heidi Scholer, dass sie stets unbestechlich, äusserst bescheiden, sehr erfahren und vielfältig interessiert sei. «Sie hat die Gesuche an den Swisslos-Fonds mit Weitblick bearbeitet und selbst Absagen so geschickt formuliert, dass es kaum Rückfragen oder Reklamationen gab», schreibt Kathrin Schweizer, «sie ist ein Mensch, den man einfach gernhaben muss. Sie wird mir persönlich, aber auch dem ganzen Team des Generalsekretariats mit ihrer humorvollen Art fehlen.»
Die Nachfolgerin
jg. Der Zeitpunkt des Wechsels an der Spitze des Swisslos-Fonds sei für sie auch deshalb ideal, weil das Regierungsgebäude vor einem Umbau steht. Sie habe «ganz ehrlich» keine Lust mehr auf den provisorischen Umzug, sagt Heidi Scholer. Zu ihrer Nachfolgerin hat die Regierung Sarah Baschung, eine 40-jährige, in Olten wohnende Fricktalerin gewählt. Die neue Bereichsleiterin arbeitete zuletzt für das Theater Basel. Bereits in diesem Monat arbeitet die abtretende Leiterin die neue ein.
Der Swisslos-Fonds
jg. Die Gelder von Swisslos, die nicht an die Gewinner ausbezahlt werden, erstattet die interkantonale Landeslotterie an die Genossenschaftskantone zurück, in denen sie einbezahlt worden sind. Der Betrag ist zweckbestimmt nach festgelegten Kriterien für wohltätige, gemeinnützige und kulturelle Projekte. «Als solche gelten auch Projekte der in- und ausländischen Entwicklungszusammenarbeit sowie der Katastrophenhilfe und der humanitären Hilfe im In- und Ausland», heisst es dort. Der grösste Teil fliesst in Kulturprojekte. Über die Vergabe, die öffentlich einsehbar ist, entscheidet der Gesamtregierungsrat an seinen ordentlichen Sitzungen. So wären zum Beispiel die vielen Baselbieter Heimatkunden oder Jubiläumsschriften ohne diesen Zuschuss nicht realisierbar. 70 Prozent der Summe, die Swisslos an Liestal überweist, gelangen in den kantonalen Swisslos-Fonds, 30 Prozent in den Sport-Fonds. Diese Gelder werden nach ähnlichen Kriterien wie der Swisslos-Fonds vom Sportamt verwaltet.