«Es gibt sehr viele Frauenfiguren in der Bibel»
28.12.2021 Baselbiet, Kirche, Hölstein, Bezirk Waldenburg, Bezirk Sissach, Sissach
Jürg Gohl
Frau Perret, wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, Ihre Predigten im Jahr 2021 den Frauenfiguren in der Bibel zu widmen?
Denise Perret: Ursprünglich wollte ich einfach zur Abwechslung einmal eine Frau in den Mittelpunkt einer ...
Jürg Gohl
Frau Perret, wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, Ihre Predigten im Jahr 2021 den Frauenfiguren in der Bibel zu widmen?
Denise Perret: Ursprünglich wollte ich einfach zur Abwechslung einmal eine Frau in den Mittelpunkt einer Predigt rücken. Erst nachher bemerkte ich, dass dies gerade mit dem Jahr zusammenfällt, in welchem wir in der Schweiz 50 Jahre Frauenstimmrecht feiern. So entwickelte sich die Idee.
Insgesamt hielten Sie zu diesem Thema sechs Predigten. Wurden Sie dabei durch Corona zurückgebunden?
Nein, überhaupt nicht. Wir konnten das Jahr einigermassen regulär abwickeln, natürlich mit den bekannten, sich immer wieder ändernden Einschränkungen wie dem Verzicht aufs Singen, dem Abstand und der Zulassungsbeschränkung.
Bereitete es Ihnen keine Probleme, sechs Frauenfiguren zu finden, die genügend interessanten Stoff für jeweils einen ganzen Gottesdienst liefern?
Das bereitete mir überhaupt keine Sorgen. Ich hätte problemlos jeden Monat eine Predigt halten können. Der Vorrat an Frauenfiguren ist in der Bibel schier unerschöpflich.
Frauen spielen in der Bibel doch vornehmlich Nebenrollen und sind oft über ihren Ehemann definiert.
Das ist eine Optik. Natürlich werden Frauen oft in einer Nebenrolle dargestellt, doch ist es ganz interessant, einmal eine solche Nebenrolle genauer zu betrachten. Bei den Oscar-Verleihungen interessieren mich die Preise für Nebenrollen persönlich mehr als die für die Hauptrollen. Aber keine Angst: Es gibt in der Bibel mehr weibliche Hauptfiguren als man dies spontan vermuten würde.
Zuerst fallen einem da etwa Eva, gerade zu Weihnachten Maria sowie Maria Magdalena ein. Doch auch sie sind alle über eine männliche Figur definiert.
Da gibt es das Buch Esther und das Buch Ruth. Da steht jeweils eine Frau im Mittelpunkt. Zudem sind viele Frauen in, sagen wir, relativ grossen Nebenrollen unterwegs. Allgemein sind uns einige Frauenfiguren aus dem Alten Testament noch vertraut. Dass es eine Esther oder eine Hagar gibt, das ist uns irgendwie noch bekannt, ebenso Elisabeth, die Mutter von Johannes dem Täufer. Sie haben vorhin zwei Maria-Figuren erwähnt. Doch es gibt noch eine dritte bekannte: Maria, die Schwester von Martha. Wenn in Predigten Frauen thematisiert werden, dann wird diese Martha gerne herbeigezogen. Maria wird gemeinhin als fromme, ihre Schwester Martha als geschäftige Frau gelesen. Es gibt in der Bibel übrigens noch drei weitere Frauen namens Maria. Insgesamt sind es rund 130 Frauen, die in der Bibel namentlich erwähnt sind. Dazu kommen rund 50 weitere Frauen, die nicht mit Namen genannt werden.
In der Bibel heisst es unter anderem, «das Weib sei dem Manne untertan» …
… Ja. Und nicht zu vergessen: «Das Weib schweige in der Gemeinde.»
Wie erklären Sie in der Kirche solche Stellen 50 Jahre, nachdem sogar die Schweiz das Frauenstimmrecht eingeführt hat?
Erstens gibt es natürlich auch die Stellen, in denen es zum Beispiel heisst, dass die Zeit der Ungleichheit überwunden wird und dass in Christus Mann und Frau, Jude und Grieche, Sklave und Freie «eins» seien. Aber es geht ja nicht darum, dass eine Bibelstelle richtiger ist als eine andere. Die genannten Zitate müssen wir in der Zeit sehen, aus der sie stammen, und betrachten, wem sie zugeschrieben werden. Ich verzichte nun auf einen anspruchsvollen Vortrag über Paulus.
Wer ist Ihr persönlicher Liebling unter den Frauenfiguren in der Bibel?
Die wechselt. Immer, wenn ich die jeweilige Predigt vorbereitet habe, setzte ich mich mit der betreffenden Figur neu und intensiv auseinander. Die letzte Frau, über die ich am ersten Advent gepredigt habe, war die bereits genannte Elisabeth, die Mutter von Johannes dem Täufer. Das empfand ich als sehr berührend, weil sie eine Frau ist, die kaum Erwähnung findet. Dabei ist sie bei der Entstehung von zwei grossartigen biblischen Texten, dem Magnificat und dem Lobgesang des Zacharias, gegenwärtig. Es war faszinierend, bewusst darauf zu achten, was sie in ihrer Nebenrolle gerade da für eine wichtige Aufgabe erfüllt.
Wie haben die Besucherinnen und Besucher der Gottesdienste auf Ihre Idee reagiert Meldeten sich auch Leute, die sagten, dass es nun genug sei?
Dass Predigten langweilig werden, ist natürlich immer eine Sorge, die wir mittragen. Aber die Frauenfiguren sind so verschieden, dass sie eine grosse Vielfalt bieten. Mir selber müsste es ja zuerst langweilig werden, aber ich finde es nach wie vor spannend. Negative Reaktionen im Sinne, dass es nun langsam gut sei, habe ich keine erhalten. Dafür konnte ich feststellen, dass ein paar Personen speziell wegen meiner Themenwahl die Kirche besuchten.
Welche Frau, glauben Sie, punktete am meisten?
Aufgefallen ist mir, dass bei Abigail, die im Alten Testament vorkommt, viele überrascht reagierten. Sie hätten noch nie etwas von ihr gehört, sagten sie. Vielleicht liegt die Faszination auch nur darin, dass die Leute hier einer Person begegnen, von der sie noch nie etwas gehört haben. Die Geschichte von Abigail ist einfach toll, ein Blockbuster aus den biblischen Geschichten, zumal sie auch ausgezeichnet erzählt ist. Das ist gute Unterhaltung – mit Tiefgang. Möglich, dass das Thema Kommunikation, auf das ich mich bei dieser Geschichte konzentriert habe, auch in den Zeitgeist gepasst hat.
Passend zum Thema wurden ausschliesslich Komponistinnen gespielt. Gibt es überhaupt genügend Frauen, die Orgelwerke geschaffen haben?
Es waren vor allem Werke aus der Romantik zu hören. Es gilt das Gleiche wie für die Bibel: Wir finden ausreichend Frauen, zum Beispiel Mel Bonis, Cecile Chaminade oder Felix Mendelssons Schwester Fanny Hensel. Das sind alles ausgezeichnete Werke, und die Organistin spielte nie zweimal das gleiche Stück. Auch hier gilt dasselbe wie bei den Frauenfiguren in der Bibel: Wir wissen das zu wenig, und diese Werke sind viel zu selten zu hören.
Von der Romantik in die Gegenwart. In der Synode sind die Männer mit fast zwei Dritteln noch immer klar in der Mehrzahl. Sie selber bekleiden neben drei Amtskollegen 50 von 300 Stellenprozenten. Wie zufrieden sind Sie mit der Rolle der Frau in der reformierten Kirche?
Die Zahlen sind steigend. Frauen sind erst seit rund 100 Jahren für das Pfarramt zugelassen. Die Verteilung in der Synode hätte ich spontan ausgeglichener erwartet. Wenn ich mich aber im kirchlichen Alltag umblicke, so engagieren sich die Frauen gefühlsmässig überdurchschnittlich in der Freiwilligenarbeit. Da dürfte sich das gleiche Bild ergeben, das wir von der Freiwilligenarbeit aus der Gesellschaft kennen. Das stille Arbeiten im Hintergrund wird oft von Frauen geleistet – auch in der Kirche.
Das Jahr, in dem wir das Jubiläum des Frauenstimmrechts feiern, ist vorüber. Wann halten Sie Ihre nächste Predigt?
Leider erst am 25. März. Das liegt daran, dass ich in einem Teilzeitpensum unterwegs bin.
Und werden Sie erneut eine Frauenfigur in den Vordergrund rücken?
Ja. Ich werde die Serie fortsetzen und habe dazu schon sehr viele Ideen im Kopf. Irgendwie verspüre ich auch Lust auf die schwierigen Geschichten. Zum Beispiel Delilah, die den unbesiegbaren Simson verführt. Oder Salome, auf deren Initiative hin Johannes der Täufer geköpft wird.
Das ist aber schlechte Werbung für die Frau.
Es geht mir in meiner Reihe nicht darum biblische Frauen in ein besonders gutes Licht zu rücken, sondern vielmehr um ein Annähern an biblische Texte aus einer anderen Perspektive.
Zur Person
jg. Pfarrerin Denise Perret wechselte 2014 von Chur zur reformierten Kirchgemeinde Sissach-Böckten-Diepflingen-Itingen-Thürnen. Dort arbeitet die zweifache Mutter – neben den drei Pfarrern Matthias Plattner, Gerd Sundermann und Daniel Wüthrich – in einem 50-Prozent-Pensum und ist für den Bereich Familie und Kinder zuständig. Sie wohnt in Hölstein.