Mit Ausdauer zum Weltkonditor
26.11.2021 Baselbiet, Zunzgen, Gastronomie, Bezirk SissachHanspeter Gsell
Der Weg zu David Schmid führt mich nach Zofingen. Die Kleinstadt, Einwohnergemeinde und Hauptort des gleichnamigen Bezirks im Kanton Aargau, liegt im Wiggertal, an der Grenze zum Kanton Luzern und gehört zum Ballungsgebiet um Olten im Kanton Solothurn. Auf ...
Hanspeter Gsell
Der Weg zu David Schmid führt mich nach Zofingen. Die Kleinstadt, Einwohnergemeinde und Hauptort des gleichnamigen Bezirks im Kanton Aargau, liegt im Wiggertal, an der Grenze zum Kanton Luzern und gehört zum Ballungsgebiet um Olten im Kanton Solothurn. Auf keltische Helvetier folgten 1231 die Römer. 1299 gelangte Zofingen in den Besitz der Habsburger, 1415 eroberten die Berner die Stadt.
Mehrere international tätige Konzerne haben hier ihren Hauptsitz. Am bekanntesten ist der Medienkonzern Ringier. Dessen Hauptsitz, ein schmuckloser Industriebau an der Bahnlinie Olten–Luzern, ist auch das erste Gebäude, das ich in Zofingen sehe. Ich lasse mein Auto im Parking beim Bahnhof stehen, eine kleine Gasse führt mich in die Altstadt.
Gemeindearbeiter schmücken die ersten Weihnachtsbäume, unter den Arkaden der Markthalle kaufe ich mir heisse Marroni. Sie wärmen meine Finger wieder auf, sie sollen nämlich einen Kugelschreiber halten können. Auf dem Weg zu David Schmid geht es vorbei an der reformierten Stadtkirche. Altehrwürdige Häuser säumen die verkehrsfreie Strasse. Ich lese die Aufschriften auf dem Haus zum Restaurant Traube: «Im Aargau sind zweu Liebi».
Dezent moderne Lounge
Unmittelbar neben der geschlossenen «Traube» liegt die Patisserie von David Schmid. Ich habe mein Ziel erreicht und tauche ein in eine andere Welt. Ich setze mich in die Lounge, vielleicht ist es eher ein Salon, und bestelle einen doppelten Espresso. Die Wände sind liebevoll dekoriert, ein kleiner Globus lässt mich an Ferien denken. «Dezentmodern» würde die Zeitschrift «Schöner Wohnen» wohl den Einrichtungsstil bezeichnen. Ich fühle mich gut und weiss gar nicht so genau, warum. Es muss an der Atmosphäre liegen, am grossen Ganzen. Und an den freundlichen Menschen. Der Espresso wird mit einem Glas Wasser und einem süssen Amuse-Bouche serviert.
Ich beobachte das Kommen und Gehen. Madame und Monsieur aus Montreux degustieren, parlieren, kaufen. Auch Herr und Frau Schweizer aus Zofingen haben sich in die Schlange eingereiht. «Soll ich es einpacken? Wollen Sie ein Päckli oder ein Säggli? Oder lieber ein Kartönli? Zum Mitnehmen? Oder essen Sie es gleich hier?»
Das Geschäft besteht aus vier Bereichen. Von meinem Platz aus sehe ich das Ladengeschäft mit seiner grossen Vitrine. Die Mitte dieses Raums ist für die Macarons, eine von Schmids Spezialitäten, reserviert. Um die Ecke befinden sich die Sitzplätze des Cafés mit freier Sicht auf die ebenerdige Backstube.
Die Kundinnen und Kunden fallen beinahe in die Vitrine, in der sich das Ziel ihrer Begierde – oder vielmehr ihres Begehrens – stapeln: Patisserie wie Eclairs, Baisers, Madeleines, Profiteroles, Tartes, Macarons. Auch Feingebäck – La Viennoiserie – fehlt nicht: Croissants, Pains au Chocolat, Brioches.
Handwerkskunst
Patisserie ist bei Schmid mehr als nur ein Produkt. Mit viel Liebe und nach allen Regeln französischer Patisserie-Kunst entstehen hier täglich handgemachte und saisonal aktualisierte Köstlichkeiten. Handwerkskunst, wie man sie sonst nur in Frankreich und Belgien findet. Zubereitet ohne Zusatzstoffe und künstliche Aromen. Man arbeitet mit Fairtrade-Schokolade, französischen Fruchtpürees und echter Bourbon- Vanille. Die Grundmaterialien wie Zucker, Butter und Eier stammen ausschliesslich aus der Schweiz.
Zurück zur Backstube: Dieser Raum hat nichts mit einer mir bekannten Backstube zu tun. Unzählige auf Hochglanz polierte Maschinen sind zu sehen, man hat den Eindruck, in ein Atelier zu blicken. Ein Atelier, eine Werkstatt, ist der Arbeitsplatz eines Kreativen, eines Künstlers oder in diesem Fall eines kreativen Patissiers. Es ist das Atelier von David Schmid. Ich habe mir David Schmid anders vorgestellt. Nach meiner Vorstellung sind Patissiers eher rundlich und gut genährt, haben wenigstens einen dicken Bauch.
Nicht so David Schmid. Schmid ist 39 Jahre alt, schlank, gross gewachsen, hat eine hohe Stirn und einen lichten Bart. Er ist bekleidet mit einem dunklen Halstuch, einem grauen Shirt und trägt eine olivgrüne Patissier-Schürze mit Lederriemen. Schnell ist klar, weshalb David Schmid nicht wie ein Patissier aus der Vergangenheit aussieht: Er treibt Sport. In seinen Jugendjahren war er begeisterter Läufer, war einst sogar Schweizer Meister und Rekordhalter über 3000 Meter in seiner Kategorie.
David Schmid lernte sein Metier bei Finkbeiner in Liestal, wo er im August 2001 seine Lehre zum Bäcker-Konditor als Kantonsbester abschloss. Er besuchte die Fachschule Richemont in Luzern und nahm an vielen Wettbewerben teil: Sein Palmarès ist beeindruckend. Bereits 2003 belegte er an den «World Skills» bei den Bäcker-Konditoren in St. Gallen den ersten Platz. 2009 folgte wiederum ein erster Platz, diesmal am «Coupe d’Europe de la Boulangerie» in Nantes.
Von Zunzgen nach Zofingen
Im Oktober 2011 übernahm er die Leitung des elterlichen Betriebs in Zunzgen. Bis 2020. Das Geschäft entwickelte sich nicht wunschgemäss, Zunzgen verlor seine Dorfbäckerei. Die Familie Schmid gab den Betrieb auf, der 2016 nach einem Hochwasser neu aufgebaut wurde. Doch ist mit den modernsten Geräten nichts auszurichten, wenn sich kein Personal findet, das sie bedient.
Im November 2020 eröffneten David und Nicole Schmid ihren neuen Betrieb im aargauischen Zofingen. Nicht, weil sie das neblige Mittelland lieben, sondern weil sich die einmalige Gelegenheit ergab, einen Betrieb zu mieten, der perfekt auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Die Eröffnung der «La Patisserie David Schmid» fiel mitten in die Pandemie. Das Café blieb vorerst geschlossen, die Patisserie aber startete fulminant.
Perfektionist
David Schmid gibt sich nicht mit zweiten Plätzen zufrieden. Immer wieder sind es Freunde, die ihn zu neuen Ufern aufbrechen lassen. Zu diesen Mentoren gehört auch Fredy Eggenschwiler von der Fachschule Richemont. Und Franz Ziegler, der umtriebiger Konditormeister, Chocolatier und Fachlehrer an der Berufsschule Aarau.
2021 überschlugen sich die Ereignisse. Schmid gewann die Bäckereikrone und wurde zum Weltkonditor des Jahres gekürt. Mit weniger als 40 Jahren scheint der ehrgeizige Berufsmann schon alles erreicht zu haben. Was jetzt? Ein Laden an der Zürcher Bahnhofstrasse? Eine Patisserie am Times Square in New York vielleicht? «Nein», meint der Patissier. «Jetzt muss Ruhe in den Betrieb gebracht werden. Noch muss an allen Enden und Ecken gefeilt werden. Es sind zwar Kleinigkeiten, aber es soll so funktionieren, wie ich es will.» David Schmid ist Perfektionist – und hat damit Erfolg. Aber er hat auch ein Erfolgsproblem: Die Kunden rennen ihm regelrecht die Türe ein. Dies hat dazu geführt, dass er den Betrieb jeweils erst am Mittwoch öffnet. Die Zeit für die Produktion würde ansonsten schlichtweg fehlen.
Dann gibt es natürlich noch andere Projekte: 2015 wurde sein Buch «Saisonale Kreationen» – wen wundert’s – zum besten Patisserie-Buch des Jahres gekürt: Schmid gibt sich nicht mit zweiten Plätzen zufrieden. Und so wird im Herbst 2022 ein weiteres Buch erscheinen.
Von diesem Patissier wird man ganz bestimmt noch einiges hören. Und natürlich auch von seiner Frau Nicole. Denn sie ist es, die ihrem Mann den Rücken freihält. Cherchez la femme? Macht man die Frau hinter dem Erfolg ausfindig? Nein, müssen wir nicht. Wir haben sie bereits gefunden.
«La Patisserie David Schmid», Vordere Hauptgasse 33, 4800 Zofingen, 062 751 01 01. Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Freitag von 8.30 bis 18.00 Uhr, Samstag von 8.30 bis 16.00 Uhr. www.lapatisseriedavidschmid.ch