«Versorgungs regionen sind generell zu klein»
18.05.2021 Baselbiet, Gesundheit, Bildung, GemeindenSebastian Schanzer
Ende Februar vergangenen Jahres, kurz bevor die Coronavirus-Pandemie auch die Schweiz in ihren Bann zog, trafen sich die Delegierten von 22 Oberbaselbieter Gemeinden, um den Aufbau eines bedarfsgerechten und vor allem finanzierbaren Angebots in ...
Sebastian Schanzer
Ende Februar vergangenen Jahres, kurz bevor die Coronavirus-Pandemie auch die Schweiz in ihren Bann zog, trafen sich die Delegierten von 22 Oberbaselbieter Gemeinden, um den Aufbau eines bedarfsgerechten und vor allem finanzierbaren Angebots in der Alterspflege in die Wege zu leiten. Der Baselbieter Landrat hatte das Alters- und Pflegebetreuungsgesetz (APG) 2017 beschlossen und damit die Gemeinden dazu verpflichtet, sich zu Versorgungsregionen zusammenzuschliessen, ein Konzept für das künftig benötigte Angebot zu entwerfen und entsprechend neue Vereinbarungen mit den Leistungserbringern wie Altersheimen oder Spitex abzuschliessen. Der Regionenverein Oberbaselbiet hatte die Koordination auf Wunsch der insgesamt 31 Oberbaselbieter Gemeinden übernommen.
Das Gesetz ist seit 2018 in Kraft und gibt auch Fristen vor: Bis Ende vergangenes Jahr sollten die Regionen gebildet, bis Ende laufendes Jahr die Leistungsvereinbarungen mit den Anbietern unterschrieben sein. Den spürbaren Tatendrang bei den Oberbaselbieter Gemeindevertretern vor gut einem Jahr − «wir schaffen das», hiess es damals noch − hat unter anderem das Coronavirus gehörig ausgebremst. So sei es während des Lockdowns nicht möglich gewesen, die Leistungserbringer mit einer umfassenden Befragung über den Bedarf an Betreuungsangeboten zu belasten. Zudem sei es zeitaufwendig gewesen, alle Oberbaselbieter Gemeinden für das Umsetzungsprojekt und die Finanzierung zu gewinnen, schrieb der Regionenverein Oberbaselbiet der Regierung.
«Wenig Schwung»
Der Regierungsrat erkundigte sich bei den Baselbieter Gemeinden über den Fortschritt punkto Bildung von Versorgungsregionen, weil er Ende 2020 per Interpellation vom Landrat dazu beauftragt wurde. Der jüngst erschienene Bericht der Regierung zeigt eine durchzogene Zwischenbilanz: Insgesamt wurden neun Regionen gebildet (siehe Karte). In den Regionen Laufental, Leimental, Allschwil, Binningen und Schönenbuch (ABS) und seit Neuem auch Alter Birsstadt sind die Versorgungsregionen bereits rechtskräftig. Im Laufen- und Leimental liegt sogar ein Versorgungskonzept vor und der Betrieb einer Informations- und Beratungsstelle wurde sichergestellt. Bis Ende Juni sollen auch die Regionen Rheintal, Liestal und Waldenburgertal plus so weit sein. Abgeschlagen stehen im Bericht hingegen die Regionen Oberbaselbiet und Oberes Homburgertal da. Hier sei die Umsetzung «erst in groben Zügen skizziert».
Gleichwohl gibt sich Gerry Thönen, der Geschäftsführer des Regionenvereins Oberbaselbiet, auf Nachfrage optimistisch: «An unserer Versammlung am 9. Juni geben wir den beteiligten Gemeinden das weitere Vorgehen bekannt. Wir sind fest entschlossen, die neuen Leistungsvereinbarungen mit den Anbietern bis Ende Jahr abzuschliessen, denn die bestehenden laufen dann theoretisch aus», sagt er. Ein grosses Problem dürfte dies aber kaum darstellen. «Sollten die neuen Leistungsvereinbarungen Ende Jahr noch nicht aufgesetzt und unterzeichnet sein, gehen wir davon aus, dass die alten Verträge für eine kurze Übergangsfrist verlängert werden», sagt Gabriele Marty, Leiterin der Abteilung Alter des Baselbieter Amts für Gesundheit, auf Anfrage. Es wäre sehr zu bedauern, sollte ein bisheriger Anbieter plötzlich in einen rechtsfreien Raum geraten. Auch Daniel Bollinger, Präsident des Heimverbands Curaviva Baselland, ist überzeugt: «Keine Spitex wird ihre Kunden nicht mehr bedienen und kein Heim seine Bewohnerinnen nicht weiter beherbergen dürfen.»
Dennoch zeigt sich Bollinger enttäuscht vom zögerlichen Vorgehen der Gemeinden: «Es ist schade, dass bisher kantonsweit wenig Schwung in die Chance gekommen ist, regional gute und nachhaltige Lösungen für das Alter zu planen, angesichts der grossen Zahl alter Menschen, die auf den ‹Markt› drängen. Die Gemeinden haben sich während dreier Jahre kaum mit Strategien befasst, sondern sich in strukturellen Fragen verhaspelt», sagt er. Eine inhaltliche Diskussion innerhalb der Baselbieter Gemeinden etwa über das künftige Angebot von Tagesund Nachtstrukturen oder betreutem Wohnen habe Curaviva bisher nicht wahrgenommen.
«Kleine Regionen wenig sinnvoll»
Doch nicht nur die Einhaltung der Fristen läuft nicht wie geplant. Dass sich mit Rümlingen, Häfelfingen, Känerkinden, Buckten und Läufelfingen lediglich fünf Gemeinden zu einer Versorgungsregion zusammenschliessen, war vom Gesetzgeber nicht unbedingt vorgesehen − auch wenn der Landrat keine maximale Anzahl Regionen ins Gesetz geschrieben hat, wie Gabriele Marty auf Anfrage sagt. Diese Region umfasst gerade einmal 3200 Einwohnerinnen und Einwohner. Die fachliche Empfehlung für eine sinnvolle Grösse liege bei mindestens 15 000 Personen. «Eine autonome Region von der Grösse des oberen Homburgertals macht aus fachlicher Sicht sicher keinen Sinn», so Marty.
Noch weiter geht Daniel Bollinger von Curaviva: «Aus unserer Sicht sind die gebildeten Versorgungsregionen generell zu klein.» Wenn fachliche Schwerpunkte gebildet, Über- und Unterangebote ausgeglichen, wirtschaftliche Synergie- und Skaleneffekte ausgenutzt werden sollten, seien nur grössere Regionen sinnvoll. «Aus meiner Sicht hätte man die beiden Regionen ABS und Leimental mit insgesamt mehr als 75 000 Einwohnerinnen und Einwohnern durchaus zu einer einzigen Versorgungsregion vereinen können.»
Allerdings sieht das APG auch explizit Kooperationen unter den Regionen vor, wie Gabriele Marty sagt. «Werden die Angebote der angrenzenden Regionen beim jeweiligen Versorgungskonzept einer Region berücksichtigt, sind durchaus auch kleinere Gebilde denkbar.» Den Vorteil einer schlanken Organisation sieht Rainer Feldmeier, Gemeindepräsident von Häfelfingen, darin, bei Bedarf schnell reagieren zu können. «Ein Zweckverband von 31 Gemeinden ist äusserst träge, das wissen wir aus unseren Erfahrungen mit der Kesb», sagt er. «Wir wollen einen möglichst pragmatischen und kostengünstigen Weg gehen.» Klar sei allerdings auch: «Gerade im Hinblick auf geforderte Angebote wie betreutes Wohnen kommen wir nicht darum herum, intensiv mit den anderen Regionen zusammenzuarbeiten.»
«Act local» statt «think global»
Auch Curaviva-Präsident Bollinger mag bezüglich der Region Oberes Homburgertal nicht die Alarmglocken läuten: «Es gibt im oberen Baselbiet mehrere kleine, bezahlbare, gut geführte Häuser, die das Kundenbedürfnis sehr gut kennen und in ihrer Nische effizient und nahe am Kunden arbeiten.» Wenn «think global» dort nicht unbedingt spielt, tut es wenigstens «act local». Sprich: Zumindest die vom neuen Gesetz angestrebte Effizienz und Nähe zum Kundenbedürfnis sieht Bollinger auch im oberen Homburgertal nicht gefährdet.