Die Krux mit den Kompetenzen
26.02.2021 Abstimmungen, Bildung, Politik, BaselbietDie «Starke Schule» will schlankere Lehrpläne − in gut einer Woche entscheidet das Stimmvolk
Am 7. März stimmt das Baselbiet zum zweiten Mal über die umstrittenen Kompetenzen in den Lehrplänen der Volksschule ab. Anders als die meisten Vertreter der Politik sind die Lehrpersonen ...
Die «Starke Schule» will schlankere Lehrpläne − in gut einer Woche entscheidet das Stimmvolk
Am 7. März stimmt das Baselbiet zum zweiten Mal über die umstrittenen Kompetenzen in den Lehrplänen der Volksschule ab. Anders als die meisten Vertreter der Politik sind die Lehrpersonen uneins.
Sebastian Schanzer
Die Anfang Woche publizierten Ergebnisse einer Umfrage das Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland (LVB) lassen aufhorchen: 60 Prozent der vom LVB befragten Lehrpersonen würden ein Ja zur Beschränkung auf 1000 Kompetenzbeschreibungen in den Lehrplänen der Volksschule in die Urne legen. An der Umfrage haben insgesamt 768 LVB-Mitglieder aus allen Stufen teilgenommen. Die grösste Zustimmung geniesst das Begehren bei Lehrerinnen und Lehrern der Sekundarschulen.
Die breite Zustimmung zur Gesetzesinitiative bei den LVB-Mitgliedern steht im Kontrast zur Nein-Empfehlung der zweiten grossen Lehrer-Organisation, der Amtlichen Kantonalkonferenz der Baselbieter Lehrer (AKK). Die AKK versteht sich als Bindeglied zwischen den Lehrkräften und der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion, der LVB hingegen übernimmt gewerkschaftliche Funktion. Weitgehend einig sind sich demgegenüber die politischen Vertreter im Kanton: Die Regierung, die vorberatende Bildungskommission und der Landrat empfehlen die Initiative klar zur Ablehnung.
«Schwammig formuliert»
Worum gehts konkret? Der Lehrplan Volksschule Basel-Landschaft ist die kantonale Version des nationalen Lehrplans 21. Für den Kindergarten und die Primarschule gilt dieser Lehrplan im Baselbiet seit 2015, für die Sekundarschule wurde er seit 2018 innert drei Jahren aufsteigend eingeführt. Ein wichtiges Element bilden die im Lehrplan beschriebenen Kompetenzen, also Fähig- und Fertigkeiten, die sich die Schülerinnen und Schüler bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit aneignen sollen. Das Initiativkomitee rund um den Verein Starke Schule beider Basel argumentiert, viele der 3536 Kompetenzbeschreibungen seien «unnötig», «irrelevant» und «oft schwammig und unklar formuliert». Das würde die angestrebte Harmonisierung der Schulen verunmöglichen.
Die Initiative fordert deshalb, dass in den Stufenlehrplänen der Primar- und Sekundarschule insgesamt maximal 1000 Kompetenzbeschreibungen stehen dürfen. Daneben sollen auch klar definierte Stoffinhalte und Themen festgeschrieben werden, die auf Stufe Sek I nach Jahreszielen und Anforderungsniveaus A, E und P differenziert werden sollen. Für die Promotion sollen schwerpunktmässig die Stoffinhalte und Themen massgebend sein.
Bereits vor bald drei Jahren hat sich die Baselbieter Stimmbevölkerung schon einmal mit dem Lehrplan Volksschule auseinandergesetzt. Eine überwältigende Mehrheit von 84 Prozent sagte damals Ja zum Gegenvorschlag zur von der «Starken Schule» zurückgezogenen Initiative «Ja zu Lehrplänen mit klar definierten Stoffinhalten und Themen».
«1000: willkürliche Zahl»
Die Vorlage, die am 7. März vors Volk kommt, kann deshalb als eine Art Durchsetzungsinitiative bezeichnet werden. Die «Starke Schule» ist der Meinung, der Volkswille sei von der Regierung nicht umgesetzt worden. Tatsächlich hat die Regierung den Lehrplan für die Sekundarstufe I in einem zusätzlichen Teil um Jahresziele, Stoffinhalte und Themen ergänzt. Sie habe in diesen neuen Teil aber «massenweise» Kompetenzbeschreibungen hineinkopiert, so das Initiativkomitee in seiner Stellungnahme.
Die Regierung führt ins Feld, dass die seit 2018 laufende Einführung des Lehrplans Sek I durch einen Rückmeldeprozess begleitet wird. Alle Lehrpersonen der Baselbieter Sekundarschulen können noch bis Ende Jahr Vorschläge für gezielte Änderungen am Lehrplan anbringen, um dessen Praxistauglichkeit sicherzustellen. Das habe bereits zu Kürzungsaufträgen durch den Bildungsrat geführt. Auf das Schuljahr 2022/23 soll der definitive Lehrplan für die Sekundarschule vorliegen.
Der laufende Rückmeldeprozess würde laut Regierungsrat durch eine Beschränkung der Kompetenzbeschreibungen auf eine «willkürliche» Zahl übersteuert und müsste abgebrochen werden. Das hätte eine «massive zeitliche Verzögerung» und zusätzliche Kosten zur Folge. Zudem sei die geforderte Reduktion im aktuellen Lehrplan nicht umsetzbar, weil die Kompetenzen über Stufen und Fächer hinaus aufgebaut würden.
DARUM STIMME ICH JA
Der Lehrplan wird zur Mogelpackung
Jürg Wiedemann, Vorstand «Starke Schule beider Basel», Birsfelden
Sie bestellen zwei Packungen Schutzmasken und bezahlen im Voraus: Einmal die etwas schlechteren, dafür günstigen Hygienemasken und einmal die wirksameren, dafür teuren FFP-2 klassifizierten Schutzmasken. Vom Lieferanten erhalten Sie nach reichlicher Verspätung zwei Packungen der günstigen Hygienemasken, eine davon mit einem FFP-2-Kleber drauf. Ein klarer Etikettenschwindel, und verständlicherweise schütteln Sie ob des dreisten Verhaltens Ihres Lieferanten den Kopf.
Gleiches ist mit unserem Lehrplan passiert: Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger bestellten im Juni 2018 mit 84,2 Prozent Ja-Stimmen die beiden Teile «Stoffinhalte und Themen» sowie «Kompetenzbeschreibungen» im Lehrplan. Das Amt für Volksschulen (AVS), wenig erfreut über dieses klare Volksverdikt, liefert nach reichlicher Verspätung tatsächlich zwei Teile, die es mit den Etiketten «Stoffinhalte und Themen» und «Kompetenzbeschreibungen» versieht. Nur ist der Inhalt der beiden Teile derselbe, wie bei den beiden Packungen Schutzmasken. Das AVS kopierte unverfroren und mit wenig Demokratieverständnis viele der 3536 Kompetenzbeschreibungen aus dem kompetenzorientierten in den neuen Lehrplanteil «Stoffinhalte und Themen». So findet man im gesamten Lehrplan trotz eindeutigen Volksauftrags kaum klar definierte Stoffinhalte.
Viele Kompetenzbeschreibungen sind zudem wirr und schwammig formuliert sowie aufgrund der enormen Anzahl gar nicht umsetzbar. Die Beschreibungen lassen einen grossen Interpretationsspielraum zu, was die Schulen auseinanderdriften lässt. Eine Harmonisierung wird damit verunmöglicht.
Die Lehrpersonen dürfen sich zwar pro forma in die Überarbeitung der Lehrpläne einbringen, eine grundsätzliche Kritik ist jedoch unerwünscht. Forderungen nach Stofflehrplänen im Umfang von 1 bis 2 Seiten pro Fach und Schuljahr bleiben ungehört. Solch klar formulierte Stofflehrpläne wären aber hilfreich. Die «Mitarbeit» der Lehrpersonen wird faktisch zur Farce. So erstaunt es nicht, dass in der Umfrage des Lehrerinnen- und Lehrervereins (LVB) eine deutliche Mehrheit der Lehrpersonen die Initiative der «Starken Schule beider Basel» (SSbB) für eine Reduktion der Kompetenzbeschreibungen und eine Stärkung des Lehrplanteils «Stoffinhalte und Themen» unterstützt.
Von Schreibtischbürokraten aufgezwungene pädagogische Fehlkonzepte und gescheiterte Bildungsreformen fügen unserem Schulwesen einen riesigen Schaden zu und müssen darum korrigiert werden. Deshalb Ja am 7. März.
DARUM STIMME ICH NEIN
Ein destruktiver und willkürlicher Eingriff
Caroline Stähelin, Co-Präsidentin Schulleiterkonferenz Sek I, Oberdorf
Die Initiative der «Starken Schule beider Basel» verlangt eine Beschränkung des gesamten Lehrplans Volksschule vom Kindergarten bis zur Sekundarschule auf willkürliche 1000 Kompetenzen. Diese Zahl ist aus der Luft gegriffen und die Initiative in jeder Beziehung unnötig.
Für die Arbeit der Lehrpersonen ist ein fachlich breit akzeptierter Lehrplan grundlegend: Das ist wichtig und unbestritten. Deshalb läuft im Baselbiet noch bis Ende 2021 ein in der Schweiz einzigartiger Mitwirkungsprozess. Jede einzelne Sekundarlehrperson hat die Möglichkeit, den Lehrplan aufgrund der Praxiserfahrungen in ihrem Fach mitzugestalten. Über 700 von rund 1100 Lehrpersonen machen engagiert und professionell bei der Überarbeitung des Lehrplans mit.
Schon jetzt werden im Lehrplan dank dieses höchst partizipativen Vorgehens gezielte Kürzungen und Anpassungen vorgenommen. Bei der definitiven Einführung des Lehrplans im Schuljahr 2022/23 wird somit zweifellos eine wertvolle Arbeitsgrundlage für den Unterricht aller Sekundarlehrpersonen vorliegen.
An der Überarbeitung des Lehrplans ist auch eine Begleitgruppe mit Vertretungen der Amtlichen Kantonalkonferenz der Lehrpersonen (AKK), des Lehrervereins (LVB) und der Schulleitungskonferenz (SLK) Sek I beteiligt. Intensive Diskussionen führten zu tragfähigen und allseits akzeptierten Eckwerten, die ebenfalls in die Lehrplanarbeit einfliessen. Noch breiter abgestützt kann die Überarbeitung des jetzigen Lehrplans schlicht nicht sein.
Die Initianten der «Starken Schule beider Basel» behaupten regelmässig, im Namen aller Lehrpersonen zu sprechen. Dem ist nicht so. Viele Sekundarlehrpersonen beteiligen sich weder an den suggestiven Umfragen noch sind sie Mitglieder. Vielmehr arbeitet die grosse Mehrheit der Lehrpersonen seriös und konstruktiv an der mehrstufigen Überarbeitung unseres Lehrplans mit.
Mit einer Annahme der Initiative würde die bereits geleistete grosse Arbeit aller Beteiligten kurz vor dem Ziel zunichtegemacht. Vertrauen Sie der Fachkompetenz der Lehrpersonen sowie den Empfehlungen der AKK, der SLK Sek I und aller Parteien sowie dem Landrat, der diese Initiative mit 77 zu 6 Stimmen dezidiert ablehnt.
Sagen wir Nein zu diesem destruktiven und willkürlichen Eingriff in den Lehrplan! Lassen wir die Schulen mit einem guten und breit akzeptierten Lehrplan weiter in Ruhe arbeiten − zum Wohle unserer Schülerinnen und Schüler.