Das Ende einer Glocken-Odyssee
25.09.2020 Bezirk Sissach, Kirche, SissachNein, das Geläut vor der katholischen Kirche wurde dieses Mal nicht geraubt
Die drei Glocken, die seit 1989 auf dem Vorplatz der katholischen Kirche in Sissach aufgehängt waren, sind abtransportiert worden. Pratteln hat sie in Besitz genommen. Die Geschichte dahinter ist lang und ...
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Die drei Glocken, die seit 1989 auf dem Vorplatz der katholischen Kirche in Sissach aufgehängt waren, sind abtransportiert worden. Pratteln hat sie in Besitz genommen. Die Geschichte dahinter ist lang und bemerkenswert.
David Thommen
Morgen Samstag findet in Pratteln ein Einweihungsfest im Pfarrgarten beim katholischen Kirchgemeindezentrum statt. Soeben wurden dort drei Glocken aufgehängt, die zuvor während 31 Jahren den Vorplatz der katholischen Kirche in Sissach zierten. Einen eigentlichen Zweck erfüllte das Geläut dort nicht. Einzig spielende Kinder brachten die Glocken hin und wieder zum Klingen.
«Nach 31 Jahren im Exil sind die Glocken endlich wieder zurück», werden die Prattler morgen in ihren Ansprachen sagen und von «Irrwegen und Umwegen» reden. Übertrieben ist das keineswegs, wie die Läufelfingerin Beatrice Llamera-Marquis sagt. Sie ist in die Archive gestiegen und hat die spezielle Glocken-Geschichte recherchiert. Llamera war die letzte Präsidentin des vor zwei Jahren aufgelösten Kultusvereins Homburgertal, von dem in der Folge die Rede sein wird.
Verschenkt ist verschenkt
Die 1935 in St. Gallen gegossenen Glocken hingen ursprünglich in der im gleichen Jahr eingeweihten katholischen Kirche St. Antonius in Pratteln. Beim Neubau des dortigen Kirchturms 1959 wurden sie allerdings ersetzt. Offenbar wollte das Geläut akustisch nicht mit demjenigen der reformierten Kirche im gleichen Dorf harmonieren. Pratteln übte sich in christlicher Nächstenliebe und verschenkte das nicht mehr gebrauchte Geläut an den Kultusverein Homburgertal, der Ende 1954 mit dem Segen der Bischofsverwaltung in Solothurn ins Leben gerufen worden war. Der Verein verfolgte das Ziel, für die Katholiken in Läufelfingen eine Kirche – oder zumindest eine Kapelle – zu bauen. Die Prattler Glocken waren also hoch willkommen.
Einst hatten sich mit dem Bau des Hauensteintunnels zahlreiche italienische Arbeiter im reformierten Homburgertal angesiedelt, wodurch die katholische Bevölkerung gewachsen ist. Das Bedürfnis nach einer eigenen Kirchgemeinde war vorhanden. Bald nach seiner Gründung hatte der Kultusverein in Läufelfingen Land für eine Kirche gekauft und einen Architekturwettbewerb durchgeführt. Der Verein habe bei den örtlichen Katholiken sogar Kirchensteuern eingezogen, so Llamera, womit der Pfarrer aus Wisen (SO) entlöhnt wurde, der sie betreute.
Später stockte das Vorhaben. Das für den Kirchenbau vorgesehene Land im Industriegebiet nahe des Läufelfinger Bahnhofs wurde für ungünstig befunden. Daher wurde eine neue Landparzelle an besserer Lage gekauft. Der Bau der Kapelle verzögerte sich anschliessend aus finanziellen Gründen weiter, bis der Plan schliesslich ganz aufgegeben werden musste. Die Läufelfinger Katholiken hatten sich mittlerweile auch damit abgefunden (und sogar angefreundet), im entfernten Sissach zur Kirche zu gehen.
Glocken unter dem Heu
Die Glocken befanden sich seit der Schenkung beim einstigen Kassier der Kultusgemeinde Homburgertal. Nach dessen Tod im Jahr 1982 wurden sie auf den Hof Breite oberhalb von Läufelfingen gebracht und lagerten dort im Tenn – unter dem Heu.
Derweil wuchs der Unmut der Prattler, wie Beatrice Llamera sagt. Da in Läufelfingen entgegen der erklärten Absicht keine Kapelle gebaut worden war, verlangte die katholische Kirchgemeinde Pratteln das Geschenk zurück. Die Glocken sollten zumindest für die Dauer einer Ausstellung zu einem Pfarreijubiläum zurück nach Pratteln. Die Kultusgemeinde Homburgertal war jedoch misstrauisch und widersetzte sich der Forderung, da Pratteln nicht schriftlich zusichern wollte, dass die Glocken nach der Ausstellung auch tatsächlich zurückgebracht werden: «Geschenkt ist geschenkt», lautete daher die abschlägige Antwort aus Läufelfingen.
Nacht- und Nebelaktion
Dann geschah im September 1984 das fast Undenkbare: Der bei den Prattler Katholiken für das Geläut zuständige Mann fuhr nach Läufelfingen, fand die schweren Glocken im Tenn unter dem Heu und transportierte sie in einer Nacht- und Nebelaktion kurzerhand zurück nach Pratteln. Offenbar hatte die «Volksstimme» damals nichts von der dreisten Aktion mitbekommen, jedenfalls sucht man im Zeitungsarchiv vergeblich nach einer entsprechend saftigen Schlagzeile.
Natürlich löste der unfreundliche Akt grosse Diskussionen aus. Pratteln zeigte sich jedoch nicht gewillt, das einstige Geschenk wieder herauszurücken. Infrage käme dies nur dann, wenn Läufelfingen doch noch eine Kirche baue.
Erst 1989 weichten sich die Fronten wieder auf; schliesslich versöhnte man sich. Der Kultusverein Homburgergtal durfte die drei Glocken in Pratteln abholen und überliess sie in der Folge Sissach als Leihgabe. Im Bezirkshauptort wurden die schmucken Glocken an einem Gestell vor der Kirche aufgehängt.
Am 11. September dieses Jahres, also 31 Jahre später, wurden sie nun wieder nach Pratteln verfrachtet. Abgeholt wurde das Geläut vom Sohn des einstigen «Glockenräubers». Dieses Mal allerdings nicht in einer Nacht- und Nebelaktion: Sissach hatte Pratteln die Glocken ganz offiziell angeboten, weil der Platz vor der katholischen Kirche neu gestaltet wird und es für die Glocken keine Verwendung mehr gibt. Pratteln nahm das einst selber verschenkte Geschenk dankbar an.
Damit scheint die Odyssee der drei Glocken beendet. Es sei denn, in Läufelfingen kommt man irgendwann wieder auf die Idee, eine Kapelle bauen zu wollen …
Der Kultusverein Homburgertal ist mittlerweile zwar aufgelöst, doch es verbleiben Guthaben, die für den Bau der Kirche vorgesehen waren. Dazu zählt auch das erwähnte Landstück in Läufelfingen. Laut Beatrice Llamera wird das Vereinsvermögen in eine neue Stiftung eingebracht, deren Ziel es sei, «Förderung und Unterstützung von Projekten mit christlichem und/oder sozialem Hintergrund im oberen Homburgertal anzubieten». Profitieren könnten nicht nur Katholiken, sagt Llamera. Die Stiftung habe eine überkonfessionelle Ausrichtung.