Abschied aus der ersten Reihe
30.06.2020 Baselbiet, Parteien, Porträt, PolitikSP-Parteisekretär Ruedi Brassel gibt sein Amt ab
Nach zwölf Jahren tritt Ruedi Brassel als Parteisekretär der SP Baselland zurück. Im nächsten Monat wird der frühere Fraktionspräsident der SP im Landrat 65 Jahre alt. Er freut sich darauf, sich wieder mehr dem Schreiben und der ...
SP-Parteisekretär Ruedi Brassel gibt sein Amt ab
Nach zwölf Jahren tritt Ruedi Brassel als Parteisekretär der SP Baselland zurück. Im nächsten Monat wird der frühere Fraktionspräsident der SP im Landrat 65 Jahre alt. Er freut sich darauf, sich wieder mehr dem Schreiben und der Forschung widmen zu können.
Thomas Immoos
Den Titel «Graue Eminenz der SP Baselland» würde Ruedi Brassel weit von sich weisen. Obwohl sein mittlerweile grau gewordenes Haar dies optisch durchaus unterstreichen würde. Trotzdem trifft es zu, dass Ruedi Brassel die Baselbieter Sozialdemokratie während vieler Jahre geprägt hat. Nun, kurz vor seinem 65. Geburtstag, tritt er als kantonaler Parteisekretär zurück, ein Amt, das er während 12 Jahren mit ebenso viel Engagement wie Leidenschaft ausgeübt hat.
«Politik hat mich schon immer interessiert», erzählt der promovierte Historiker. Schon im Gymnasium Münchenstein gründete er eine politisch aktive Schülerbasisgruppe. Mit Schulkameradinnen und -kameraden sammelte er Unterschriften für die «Münchensteiner Initiative», welche die Einführung eines Zivildienstes in der Schweiz forderte. Man führte Aktionstage und Themenwochen durch. Bei einer ging es um nichts weniger als eine Schulreform und um Reformschulen. Man darf sich das Gym Münchenstein der frühen Siebzigerjahre als sehr lebhaftes politisches Biotop vorstellen.
Ruedi Brassel ist Pfarrerssohn. Das hat ihn geprägt. Trotzdem entfernte sich Brassel in jungen Jahren von der Kirche. Wissenschaftlich setzte er sich allerdings mit dem protestantischen Theologen und Mitbegründer des Religiösen Sozialismus, Leonhard Ragaz, intensiv auseinander. Seine Lizenziatsarbeit widmete sich der Geschichte der FDP Schweiz. Dass Brassel aber der SP beitrat, hat mit seiner Haltung zu tun: «Mir geht es um das solidarische Zusammenwirken, um Selbstverwaltung im Sinne des demokratischen Sozialismus.» Sehr früh hat sich Brassel auch ökologisch engagiert. Seine Dissertation widmete er der politischen Kultur der 1920er-Jahre. Es war die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Der Generalstreik in der Schweiz sollte die Rechte der Arbeitnehmenden stärken. Brassel sieht in der Gegenwart Parallelen zu jener Zeit: «Es geht auch heute um Verteilungsgerechtigkeit und um die Überwindung von egoistischen Nationalismen.»
Brassel ist Angehöriger einer Generation, die miterleben durfte, wie es immer aufwärtsging und der Wohlstand wuchs. Nun scheine man an einer Wende zu stehen. Deshalb sorgt sich der SP-Politiker, dass es für die Schwächeren in unserer Gesellschaft härter wird. Diese Tendenz sieht er in politischen Vorstössen, welche die Sozialhilfe infrage stellen oder diese drastisch kürzen wollen.
Viel gelobter Redner im Landrat
Im Jahr 1999 wurde Brassel in den Landrat gewählt und in den nachfolgenden drei Wahlen jeweils mit guten Ergebnissen bestätigt. Nach 16 Jahren Zugehörigkeit schied er 2015 wegen der Amtszeitbeschränkung aus dem Landrat aus. Dort hatte er während vier Legislaturperioden nicht nur seine Fraktion, die er von 2003 bis 2008 präsidierte, sondern auch das Parlament geprägt. Wenn Ruedi Brassel ans Rednerpult trat, dann hörte man ihm zu, man hörte nicht nur aufmerksam, sondern auch gerne zu. Denn er war ein hervorragender und humorvoller Redner. Bei seinem Abschied aus dem Landrat titelte die «Basler Zeitung»: «Ein genialer Rhetoriker geht».
Bei den rund dreissig Vorstössen, die Brassel in seiner Landratszeit unter seinem Namen einreichte, handelte es sich vor allem um Postulate und Interpellationen. Die Schwerpunkte lagen bei Umweltschutz, Bildungswesen und Rechtspolitik sowie Steuerfragen. Gerade bei letzterem Thema geht es Brassel vor allem um mehr Steuergerechtigkeit. Deshalb ist es ihm ein besonderes Anliegen, dass die Konzernverantwortungsinitiative, über die demnächst abgestimmt wird, beim Volk eine Mehrheit findet.
Ruedi Brassel hat als SP-Politiker Höhen und Tiefen seiner Partei miterlebt. Als er in die kantonale Politik einstieg, hatte die SP zwei Sitze im Regierungsrat (Edi Belser und Peter Schmid), dann während vieler Jahre nur noch einen Vertreter. Schliesslich ging dieser Sitz 2015 verloren, konnte aber mit Kathrin Schweizer vor einem Jahr zurückgeholt werden. «Die grossen, konsensfähigen Parteien sollten in der Regierung vertreten sein, um dort direkt ihren Einfluss einzubringen», hält Brassel fest. Trotzdem komme es immer wieder vor, dass ein Regierungsrat Positionen vertreten muss, die denjenigen seiner Partei widersprechen. Für die Aussenwirkung einer Partei bleibe es aber wichtig, jemanden in der Regierung zu haben – gewissermassen als Gesicht der Partei.
Beruflich legte der Historiker seine Forschungsschwerpunkte auf die Geschichte der politischen Kultur, die Friedensbewegung, den religiösen Sozialismus und auf die regionale Geschichte im Baselbiet. «Ich freue mich, künftig wieder mehr Zeit zum Forschen und Schreiben zu haben.» Gegenstand dieser Arbeiten könnte die Regionaloder die Familiengeschichte sein. Ob daraus Fachliteratur, fiktionale Texte oder ein dramatischer Stoff entstehen, bleibe offen. Langweilig werden wird es Ruedi Brassel sicherlich nicht.