Singen beim Händewaschen
07.04.2020 Bezirk Sissach, Gesundheit, GelterkindenDas Wohnheim Opalinus geht kreativ mit der Pandemie um
In Coronazeiten sind Intimität und Abgrenzung in der alltäglichen Betreuung in einem Heim für Menschen mit einer kognitiven Behinderung Dauerthemen. Das «Opalinus» war vorbereitet und setzt kreative Lösungen ...
Das Wohnheim Opalinus geht kreativ mit der Pandemie um
In Coronazeiten sind Intimität und Abgrenzung in der alltäglichen Betreuung in einem Heim für Menschen mit einer kognitiven Behinderung Dauerthemen. Das «Opalinus» war vorbereitet und setzt kreative Lösungen um.
Sander van Riemsdijk
Das Coronavirus hält uns seit einigen Wochen in seinem epidemischen Bann. Die Pandemie führt zu vielen Fragen. In unserer Emotionalität versuchen wir, rationale Antworten auf die unsichtbare Bedrohung zu finden, diese zu verstehen und einzuordnen. Für viele Menschen bedeutet das eine grosse Herausforderung. Besonders schwierig ist die momentane unsichere Situation für Menschen mit kognitiven Einschränkungen in Institutionen, in denen sie wohnen und oft auch arbeiten, wie im «Opalinus» in Gelterkinden, einem Wohnheim für Menschen mit einer Behinderung.
Viele Bewohnerinnen und Bewohner sind wegen ihrer geistigen Behinderung nicht imstande, die Gründe der getroffenen Massnahmen zu ihrem Schutz und zu dem des Personals zu verstehen. Nach dem Motto «Wer gut kommuniziert, wird gut verstanden» bedeutete dies für das Personal einen Kraftakt, der sich im Alltag als sehr anspruchsvoll zeigt und von allen viel Geduld und innovative Beharrlichkeit fordert. Dies gelingt aber sehr gut, wie Heimleiterin Sabine Wenger erfreut feststellen kann: «Wir haben bereits vor Jahren ein Pandemie-Konzept erstellt und können dadurch proaktiv auf eine solche Seuche reagieren.»
Das Konzept wurde im Sinne der Prophylaxe erstellt, um bei Grippewellen oder bei Noroviren schnell die erforderlichen Hygiene- und Verhaltensmassnahmen für das Wohnheim umzusetzen.Trotz dieses Konzepts mit klaren Richtlinien als Leitfaden für den Betreuungsalltag ist eine Pandemie für alle, Bewohner und Angestellte, eine grosse Herausforderung. Erfahrungen in diesem Ausmass konnte man bis vor einigen Wochen nicht sammeln, «aber wir versuchen mit viel Kreativität das Beste daraus zu machen», wie Wenger sagt.
Um eine Infektionskette zu verhindern, ist genügend Abstand zum Mitmenschen einzuhalten. Das Wohnheim setzt im Betreuungsalltag eine besondere Verhaltensstrategie ein. «Wir arbeiten, als wären alle positiv getestet worden», sagt Wenger. Einige Angestellte tragen einen Mundschutz. Damit dieser bei den Bewohnerinnen und Bewohnern keine Ängste auslöst, sind sie teils mit einer Sonne oder einem lachenden Gesicht bemalt worden.
Zwischenmenschlicher Balanceakt
Bei Menschen mit einer kognitiven Einschränkung fehlt oft das Gespür für Nähe und Distanz. Für die Mitarbeitenden bedeutet dies einen beruflichen Spagat zwischen dem Bedürfnis der Bewohner nach körperlicher Nähe und der erforderlichen Distanz, um eine allfällige Ansteckung zu verhindern. Dieser zwischenmenschliche Balanceakt gelingt ihnen offensichtlich gut, denn bis jetzt ist im Heim niemand positiv getestet worden.
Das Wohnheim ist baulich weitläufig konzipiert und dank der grossräumigen Aufenthaltsorte und des sehr grossen Gartens gelingt es, die räumliche Distanz einzuhalten, wie Sabine Wenger ausführt. Neben der Neugestaltung der Tagesstruktur wurden die Gruppen verkleinert. Im Notfall könnten Quarantänezimmer kurzfristig eingerichtet werden. Um die ausserordentliche Situation gut meistern zu können, wurde der Personalbestand zudem erhöht.
Musische Kreativität wird beim regelmässigen Händewaschen gefordert. Diese notwendige hygienische Handlung dauert so lange, bis das Lied «Happy Birthday» gemeinsam gesungen worden ist. Weniger fröhliche Massnahmen sind ein Besuchsverbot und eine Ausgangssperre. Diese werden von den Bewohnenden akzeptiert und eingehalten, «auch wenn das Nicht-mehr-hinausgehen-Können, um einzukaufen, nicht einfach ist», wie Sabine Wenger feststellt. Dazu wurde im Heim eine Einkaufsstelle mit dem kreativen Namen «Opavirus-Kiosk» errichtet, wo ein breites Sortiment an Lebensmitteln angeboten wird.
Einige Bewohnerinnen und Bewohner konnten beim Ausbruch der Pandemie auf Wunsch ihrer Familien nach Hause gehen, andere blieben im Heim. Um den Kontakt zu ihren Angehörigen aufrechtzuerhalten, benutzen sie Videotelefonie. Dort, wo es möglich ist, wie zum Beispiel über die Ostertage, können die Bewohnerinnen und Bewohner, verbunden mit klaren Abmachungen, mit ihren Eltern nach Hause gehen.
Sommerfasnacht geplant
Mehrere Aktivitäten und traditionelle Anlässe, insbesondere die Fasnacht, die bei den Bewohnerinnen und Bewohnern grosse Beliebtheit geniesst, mussten abgesagt werden. Trotzdem müssen diese auf ihren gewohnten närrischen Anlass nicht verzichten: In der Annahme, dass sich die epidemische Lage bis dann beruhigt hat, wird das jährliche Sommerfest mit der abgesagten Fasnacht zusammengeführt und unter dem neuen Namen «Sommerfasnacht» durchgeführt.
Dank ihrer Kreativität und ihres grossen Einsatzes machen die Angestellten zusammen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern sichtlich das Beste aus der momentanen Situation, was auf die Stimmung im Wohnheim einen positiven Einfluss hat, wie Sabine Wenger sagt: «Es ist meist eine gelöste, fröhliche, aber auch ruhigere Stimmung im Haus.»
Opalinus
svr. Das Wohnheim am Gelterkinder Fabrikweg bietet zusammen mit einer Aussenwohngruppe und drei Wohntrainingsplätzen in einer 4-Zimmer-Wohnung geistig oder mehrfach behinderten Menschen ein Zuhause und begleitete Arbeitsplätze in der Küche, im Hausdienst und beim technischen Dienst.