«Acht Jahre Staat sind genug»
12.12.2019 Baselbiet, Verkehr, BauprojekteUrs Hess geht als Leiter des Bereichs Kantonsstrassen in Pension
Nach einer mehr als 30-jährigen beruflichen Karriere in der Privatwirtschaft ist der Bauingenieur Urs Hess seit 2011 verantwortlich gewesen für den Erhalt und Unterhalt des kantonalen Strassennetzes. Nun geht er in ...
Urs Hess geht als Leiter des Bereichs Kantonsstrassen in Pension
Nach einer mehr als 30-jährigen beruflichen Karriere in der Privatwirtschaft ist der Bauingenieur Urs Hess seit 2011 verantwortlich gewesen für den Erhalt und Unterhalt des kantonalen Strassennetzes. Nun geht er in Rente.
Elmar Gächter
Herr Hess, was hatte Sie veranlasst, von der Bauwirtschaft in die kantonale Verwaltung zu wechseln? Wollten Sie es ein wenig ruhiger angehen lassen?
Urs Hess (lacht): Klar ist, dass man in der privaten Bauwirtschaft dem täglichen Druck ausgesetzt ist, genügend Aufträge hereinzuholen, damit man seinen Mitarbeitenden Ende Monat den Lohn auszahlen kann. Andererseits hat man unternehmerische Freiheit, vor allem auch im Personalbereich, die ich sehr geschätzt habe. Der Reiz an der Stelle beim Tiefbauamt war für mich, meine langjährige Erfahrung im Beruf und in der Politik zum Wohl der Allgemeinheit einzubringen.
Welche Ziele hatten Sie sich gesetzt?
Bei meiner vorherigen Tätigkeit war zum grössten Teil die öffentliche Hand meine Auftraggeberin. Dabei hat mich stets das starre Budget des Kantons gestört, mit dem die Aufträge jeweils auf ein Jahr begrenzt waren. So konnten die Arbeiten erst Anfang Jahr ausgeschrieben und ab Frühling ausgeführt werden. Und weil der Kredit nicht übertragen werden konnte, mussten sie im gleichen Jahr abgeschlossen sein. Dies führte zu kleinen Bauetappen und damit zu Mehrkosten. Abgesehen davon war es für die Unternehmen schwierig, ihre Leute bis im März/April anderweitig zu beschäftigen.
Konnten Sie daran etwas ändern?
Ja, ich denke schon. In der Zwischenzeit haben wir einen Vierjahreskredit, der es uns ermöglicht, viel flexibler zu sein.Vor allem können wir viel längere Bauetappen über mehrere Jahre planen und ausführen. Dies bringt sowohl den Unternehmern als auch den Planern eine konstantere Auslastung und spart letztendlich Geld. Wir haben errechnet, dass wir dadurch beim Erhalt unserer Bauwerke um 5 bis 7 Prozent günstiger fahren.
Haben sich für Sie beim Stellenantritt neue Welten eröffnet?
Ich stellte rasch fest, wie schwierig eine staatliche Verwaltung funktioniert, wie viele Eigeninteressen von Einzelpersonen, Abteilungen oder Dienststellen vorhanden sind. Ich möchte betonen, dass grundsätzlich gut gearbeitet wird. Aus meiner Sicht war allerdings das Denken, gemeinsam etwas zu erreichen und das Wünschbare vom Notwendigen zu trennen, zu wenig ausgeprägt. Dies galt auch für den betriebswirtschaftlichen Bereich.
Welche Bedeutung hatte Ihr Landratsmandat, das Sie bei Ihrem Stellenantritt ja schon innehatten?
Die Kombination der Landratstätigkeit, vor allem auch mein Mitwirken in der Bau- und Planungskommission und meine breite berufliche Erfahrung waren sicher kein Nachteil. Ich denke, dass ich damit im Parlament leichter Verständnis für unsere öffentlichen Aufgaben wecken konnte. Das nötige Vertrauen muss man sich allerdings erarbeiten und auch glaubhaft darlegen können, dass es nicht um die eigenen persönlichen Befindlichkeiten, sondern um das Wohl der Allgemeinheit geht.
Gemäss den gesetzlichen Bestimmungen sind die Strassen nach wirtschaftlichen und öffentlichen Gesichtspunkten so zu unterhalten, dass ein sicherer Verkehr gewährleistet ist. Ist Ihnen dies gelungen?
Unsere Strassen sind grundsätzlich in einem guten und sicheren Zustand. Wir haben aufgrund der Zustandsanalysen ein Erhaltungsmanagement erarbeitet, das uns in einem Mehrjahresprogramm aufzeigt, wann wo was gemacht werden muss. Mit dem Budget für den Werterhalt der Strassen können wir jährlich 14 bis 16 Kilometer Strassen sanieren. Beim gesamten Netz von 450 Kilometern heisst dies, dass wir es rund alle 30 Jahre erneuern können. Damit erreichen wir einen auch international anerkannten Wert.
Wir führen einen Teil des Interviews in den «Katakomben» des Chienbergtunnels in Sissach, der im Untergrund nach wie vor Probleme macht. Wie sicher ist dieses Bauwerk?
Mit unseren baulichen Massnahmen können wir die örtlich immer noch auftretenden Hebungen des Untergrunds fast vollständig unter Kontrolle halten. Aber dies ist nicht gratis zu haben, die Kosten belaufen sich auf über eine halbe Million Franken pro Jahr. So, wie wir diesen Tunnel laufend kontrollieren, überprüfen wir auch unsere übrigen Kunstbauten regelmässig und handeln lange, bevor es zu spät ist. Einen Brückeneinsturz wie kürzlich in der Nähe von Genua müssen wir nicht befürchten.
Kritiker warfen der öffentlichen Verwaltung immer wieder vor, unsere Strassen würden «vergoldet». Was haben Sie ihnen entgegnet?
Vielfach sieht eine Strasse nach der Sanierung wahnsinnig breit aus. Aber dies relativiert sich nach einer gewissen Zeit von alleine. Grundsätzlich muss die Strasse den heutigen Bedürfnissen entsprechen, und diese sind nicht mehr die gleichen wie vor 30 oder 50 Jahren, als sie letztmals saniert wurde. Die Fahrzeuge wurden breiter, schwerer und es hat wesentlich mehr Verkehr. Und nicht zu vergessen: Gegen 80 Prozent des öffentlichen Verkehrs wickelt sich auf der Strasse ab. Zudem gilt es, immer mehr Vorschriften zu erfüllen, vor allem auch in ökologischer Hinsicht. Mir war es stets wichtig, meinen Kolleginnen und Kollegen vom Landrat vor Ort zu zeigen, was wir machen, und ich denke, damit viel Verständnis für unsere Projekte geweckt zu haben.
Sie sind Urheber eines überwiesenen Postulats, das die kantonale Verwaltung verpflichtete, 10 Prozent ihres Personalbestands abzubauen. Damit haben Sie sich nicht nur Freunde gemacht.
Ich war von Anfang an davon überzeugt, dass sich viele Aufgaben und Abläufe einfacher und effizienter erledigen lassen. Wenn ich das Ergebnis in meinem Bereich betrachte, so haben wir dieses Ziel erreicht. Es ging mir nicht darum, mit der Geissel zu knallen, sondern dass jeder Mitarbeiter sich hinterfragt, ob er seine Arbeit auch anders als bisher ausführen könne. Und dies alles, ohne dass wir Leute entlassen mussten, sondern einfach die normale Fluktuation nutzten.
Wurde unter dem Strich tatsächlich gespart oder die Arbeit einfach an Dritte ausgelagert?
Obwohl wir weniger Leute waren, konnten wir sogar Fremdleistungen abbauen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass bei einer Auslastung des Personals von mindestens 80 Prozent die Arbeiten inhouse günstiger sind, als sie einzukaufen. Beim Winterdienst ist es anders. Hier decken wir nur 9 von insgesamt 25 Equipen mit eigenem Personal ab.
Wie stand es in Ihrem Bereich mit der Rekrutierung von Fachkräften?
Dies war stets ein grosses Thema. Der Markt an Ingenieuren und Bauleitern ist seit Jahren ausgetrocknet. Etwas besser ist es bei den Handwerkern, aber auch dort gibt es immer weniger Bewerbungen. Gute Leute zu finden wird noch schwieriger, wenn der Kanton lohnmässig hinterherhinkt. Wer in der Privatwirtschaft 8000 Franken im Monat verdient, heuert nicht für 5000 beim Kanton an. Zwar würden die meisten Modellumschreibungen des kantonalen Besoldungssystems eine Flexibilität erlauben, aber diese wird von den zuständigen Instanzen kaum gelebt. Das hat mich in letzter Zeit mehr und mehr geärgert. Für einen Führungsverantwortlichen ist es frustrierend, wenn er zwar die Verantwortung für sein Personal trägt, in personeller Hinsicht jedoch kaum über Kompetenzen verfügt. Im Grossen und Ganzen habe ich meinen beruflichen Schritt zum Tiefbauamt nicht bereut, aber heute muss ich sagen, acht Jahre Staat sind genug.
Worauf blicken Sie mit Freude und Stolz zurück?
Ich darf einen Betrieb weitergeben, der betriebswirtschaftlich denkt, der auf Effizienz achtet und in dem alle Abläufe und Prozesse gefestigt sind. Und ich hoffe, dass es mir gelungen ist, dass die Mitarbeitenden über den eigenen Gartenhag hinausschauen. Stolz macht es mich, dass wir den Vierjahreskredit einführen konnten. Dafür durfte ich auch das eine oder andere Lob der Bauwirtschaft und von Planern erhalten. Und nicht zuletzt freut es mich, dass meine Leute zu Recht über einen grossen Berufsstolz verfügen und sie alle in gut ausgebauten Werkhöfen über die notwendige moderne Infrastruktur verfügen.
Und jetzt folgt das Rentnerdasein mit möglichst viel Dolcefarniente?
Nein, dies kann ich mir nicht vorstellen. Vorerst setze ich mich als Ressortleiter Infrastruktur intensiv für ein Gelingen des eidgenössischen Schwingfestes in Pratteln ein. Auch würde ich gerne mein Gemeinderatsmandat vier Jahre weiterführen. Allfällige berufliche Anfragen werde ich gerne prüfen. Vor allem wird sich meine Frau freuen, wenn ich etwas mehr Zeit mit ihr verbringen kann. Und vor drei Jahren habe ich meinen Jugendtraum wahrgemacht und übe seither das Alphornspielen.
Zur Person
emg. Der bald 65-jährige Urs Hess wohnt mit seiner Frau in Pratteln. Vor Kurzem ist er erstmals Grossvater geworden. Er hat sich vom Tiefbauzeichner zum Bauingenieur weitergebildet und war während 31 Jahren Leiter eines Profitcenters im Bauunternehmen Marti AG.
Seit 2011 ist er beim Tiefbauamt und noch bis Ende Jahr verantwortlich für den Geschäftsbereich Kantonsstrassen. Während 17 Jahren unterrichtete er nebenamtlich die angehenden Bauingenieure an der Fachhochschule Nordwestschweiz im Fach Strassenbau.
Urs Hess war während 13 Jahren Landrat, 2011/12 dessen Präsident, 22 Jahre im Einwohnerrat Pratteln und ist seit der laufenden Amtsperiode Gemeinderat. Seine Hobbys sind Velofahren, Skifahren, Wandern und Alphornspielen.