«Ich muss ja nicht, ich darf»
01.11.2019 Bezirk Sissach, Böckten, Kultur, PorträtSchauspieler Charles Brauer mit «Heisenberg» letztmals auf Tournee
Charles Brauer, der Schauspieler aus Böckten, beendet mit dem Zweipersonenstück «Heisenberg» ein Kapitel: Es ist die letzte Tournee des inzwischen 84-jährigen Künstlers. Stattdessen wird er eine Autobiografie ...
Schauspieler Charles Brauer mit «Heisenberg» letztmals auf Tournee
Charles Brauer, der Schauspieler aus Böckten, beendet mit dem Zweipersonenstück «Heisenberg» ein Kapitel: Es ist die letzte Tournee des inzwischen 84-jährigen Künstlers. Stattdessen wird er eine Autobiografie verfassen.
Jürg Gohl
«Tatort-Star brilliert am Ernst-Deutsch-Theater», titelt die «Hamburger Morgenpost». Und darunter: «Uhlenhorst – Beifall und Bravos für Charles Brauer in ‹Heisenberg›». Nicht nur in Hamburg, wo es in der Saison 2017/18 auf dem Spielplan des Ernst-Deutsch-Theaters stand, sondern auch in anderen Städten wird das Zweipersonenstück von Simon Stephens in den höchsten Tönen gelobt. Das gilt auch für die beiden Darsteller: Die kesse, berechnende Georgie, eine 40-jährige Frau, wird von Anna Stieblich gespielt, die man auch aus deutschen Filmen kennt; den Part des etwas mürrischen, 75-jährigen Metzgers übernimmt Charles Brauer, der seit bald 35 Jahren in Böckten wohnhafte Schauspieler aus Berlin. Brauers Frau Lilot Hegi hat die Bühne und die Kostüme zum Stück erschaffen.
Diesen Sonntag nimmt das ungleiche Paar mit seiner ganzen Entourage eine nächste Etappe seiner «Heisenberg»-Tour in Angriff. Beginnend mit zwei Aufführungen in Schweinfurt wird es 14 Tage am Stück auftreten – praktisch jeden Abend in einer neuen Stadt. Und so kommt es vor, dass der weitgereiste Charles Brauer in seinem Heimatland in Städten auftritt, die er noch nicht kennt, ja sogar deren Namen nie gehört hat. «Oder sagen Ihnen die Namen Quakenbrück und Espelkamp etwas?», fragt Brauer im Wissen, gleich ein Kopfschütteln als Antwort zu erhalten.
Im Dezember in Aarau und Olten
Zwei andere Städte, in denen er noch auftreten wird, sind ihm dafür sehr vertraut, liegen sie doch jeweils nur einen Schnellzughalt von seiner Wahlheimat, dem Oberbaselbiet, entfernt: Am Dienstag, den 10. Dezember gastiert «Heisenberg» im Kultur- und Kongresshaus in Aarau und tags darauf im Oltner Stadttheater. Diese Aufführungen zählen bereits zum nächsten Paket, denn die Gastspiele sind jeweils in 14 tägliche Auftritte gebündelt. Danach gönnt sich das Ensemble eine zweiwöchige Pause.
Als er angefragt wurde, die Rolle des zehn Jahre jüngeren und doch älteren Alex zu übernehmen, sagte er aus zwei Gründen zu: Erstens war er vom Stück begeistert, und zweitens erteilte ihm seine Frau, die bestens weiss, wie Künstler ticken, den Segen dazu. So steht das Duo Brauer/Stieblich seit April vergangenen Jahres in verschiedenen Städten regelmässig im Scheinwerferlicht.
«Wenn wir unterwegs sind, geht mir das an die Substanz», sagt Brauer, «Transfer, Hotel beziehen, das Einrichten der Bühne, der Auftritt, etwas essen, schlafen, der nächste Transfer …» Deshalb steht für Charles Brauer unwiderruflich fest: «Das ist meine letzte Tournee.» Verdenken kann ihm das niemand, denn im zurückliegenden Sommer hat er seinen 84. Geburtstag gefeiert.
«Ich bin mir bewusst, dass ich riesiges Glück habe, in meinem Alter körperlich und geistig noch so fit zu sein», sagt er. Dazu reicht eine gewisse Disziplin alleine nicht. Er muss wohl die Gene seiner Mutter geerbt haben, von der Brauer übrigens den früheren Nachnamen übernommen hat. «Muttern», wie er sie mit Berliner Schnauze nennt, wurde 101 Jahre alt und zog mit 99 ins Altersheim, weil ihr das Kochen allmählich zu mühsam wurde.
Das Kürzertreten gilt bei Brauer aber nur für das Tournee-Theater. Zwar wird sein Name auch heute noch oft zuerst mit seiner Rolle als «Tatort»-Kommissar Peter Brockmöller in Verbindung gebracht, obschon der letzte dieser 38 «Tatorte» inzwischen 18 Jahre zurückliegt. Die am Anfang zitierte Schlagzeile aus Hamburg belegt das. Doch Charles Brauer wird sich weiterhin – das ist auch örtlich gemeint – in vielen anderen kulturellen Bereichen bewegen.
Strenges Programm
So steht ihm als offiziellem Vorleser der Hörbücher von John Grisham die Aufnahme des jüngsten Romans «Das Bekenntnis» bevor. Er las das Buch in seiner Originalsprache sowie in der deutschen Übersetzung, um allenfalls Korrekturen vornehmen zu können. Es ist der inzwischen 30. Roman dieses Autors, den Brauer aufnimmt. «Ich schreibe weiter, Sie lesen weiter», hat ihm Grisham in einer Dankesadresse mal geschrieben.
Auch wird Brauer am ersten Sonntag des neuen Jahres in seiner Wohngemeinde seine traditionelle Lesung zugunsten von «Kultur Böckten» halten. «Vielleicht Doris Lessing», verrät er, «eine Frau wäre jedenfalls überfällig.» Mit dem Erich-Kästner-Abend, den er dort vor sieben Jahren gab, wird er im Lörracher Burgtheater auftreten.
In Frankfurt las er kürzlich Fontane-Texte vor. Vor einem Jahr ist Brauer, der mit elf Jahren seine erste Filmrolle und später am Hamburger Schauspielhaus unter dem berühmten Gustav Gründgens spielte, für einen dokumentarischen Film über den Nord-Ostsee-Kanal, dessen Eröffnung sich 2020 zum 125. Mal jährt, in die Rolle von Bismarck geschlüpft. Er tourt mit einer «Hommage für Manfred Krug». Die Liste könnte verlängert werden.
Autobiografie geplant
Nun betritt er in seinem 85. Lebensjahr möglicherweise sogar noch Neuland. Ihm liegt eine Anfrage vor, seine Autobiografie zu verfassen. «Ich werde zusagen», sagt er. All seine Engagements sind nicht nur mit Reisen, sondern auch mit Proben und Auswendiglernen verbunden.
Daran führt trotz seiner Routine kein Weg vorbei. Er schildert auch, wie er früher bei Dreharbeiten zum neusten «Tatort» mit Schauspielkollegen und Freund Manfred Krug bis spät in Hotels gesessen und detailversessen Dialoge umgeschrieben habe – selten zur Freude des Drehbuchautors. «Da bin ich preussisch geblieben.»
Abgesehen vom Ende seiner Karriere als Tournee-Schauspieler denkt Charles Brauer auch mit bald 85 Jahren nicht daran, sein künstlerisches Engagement auch in anderen Bereichen zu drosseln. «Weshalb auch», sagt er, bevor er sich auf den Fussweg von Sissach nach Böckten macht, «ich muss ja nicht mehr, sondern ich darf. Es macht ja Spass.»
Brocki und Böckten
jg. Charles Brauer zog 1985 nach Böckten. Erst im Jahr darauf wurde die erste «Tatort»-Folge ausgestrahlt mit ihm als «Tatort»-Kommissar Peter Brockmöller oder «Brocki», wie er genannt wurde. Der Berliner fand ins Oberbaselbiet, weil seine damalige Lebensgefährtin Lisi Mangold ein Haus in Böckten geerbt hatte. Lisi Mangold, die in Böckten zur Welt gekommen war und später in München als Schauspielerin zahlreiche klassische Frauenrollen übernommen hatte, starb mit 35 Jahren an Krebs. Brauer blieb sesshaft und wohnt heute mit seiner zweiten Frau, der Künstlerin Lilot Hegi, im Oberbaselbiet.