«Enormer Reife- und Entwicklungsprozess»
31.10.2019 Baselbiet, Kirche, Gelterkinden, PorträtDer in Gelterkinden aufgewachsene Martin Siedler erinnert sich in Pratteln an seine Zeit als Schweizer Gardist im Vatikan
In der «Collection Beyeler» in Pratteln wird die Berufsausstellung «Päpstliche Schweizergarde» gezeigt. Die «Volksstimme» schaute sich mit dem ehemaligen ...
Der in Gelterkinden aufgewachsene Martin Siedler erinnert sich in Pratteln an seine Zeit als Schweizer Gardist im Vatikan
In der «Collection Beyeler» in Pratteln wird die Berufsausstellung «Päpstliche Schweizergarde» gezeigt. Die «Volksstimme» schaute sich mit dem ehemaligen Gardisten und heutigen Weibel von Bundesrätin Viola Amherd, Martin Siedler, die Ausstellung an.
Daniel Schaub
«Polizist, Priester, Priester, Polizist, Berufsmilitär.» Martin Siedler steht vor einem Bild der päpstlichen Schweizergarde in Rom, die gerade vor einer gigantischen Metallplastik posiert, welche die Auferstehung von Jesus Christus zeigt. Viele Gesichter der Gardisten erkennt er wieder, denn zwischen 2010 und 2013 war er selbst Teil der Garde. Es ist eine Zeit, die ihn geprägt und die auch seinen beruflichen Weg entscheidend beeinflusst hat. Er selbst ist heute weder Polizist noch Priester, sondern Weibel von Bundesrätin Viola Amherd. Aber dazu später mehr.
Martin Siedler ist in Buckten geboren und in Gelterkinden aufgewachsen. Er besuchte dort die Schulen, er war Teil der Jugendriege und spielte in der Nachwuchsabteilung des FC Gelterkinden Fussball. Die Sportbegeisterung steuerte auch den Entscheid zur ersten Berufswahl, er liess sich zum Sportfachhändler ausbilden. Mit 18 Jahren verliess er das Oberbaselbiet und zog in den Aargau. Seine Wurzeln indes sind nicht bloss im Dialekt noch zu erkennen. «Es ist noch immer meine Heimat, ich interessiere mich, was hier läuft und schaue jedes Mal, wenn ich hier vorbeifahre, was neu gebaut worden ist.»
Erst in der Rekrutenschule reifte der Entscheid beim heute 31-jährigen Martin Siedler, sich für die Ausbildung in der Schweizergarde im Vatikan zu bewerben. Ein Bubentraum war das zuvor trotz eher katholisch geprägtem Elternhaus nie gewesen, eher eine Art späte Berufung. Den Entschluss bereute er keine Sekunde. «Wir machten einen enormen Reife- und Entwicklungsprozess durch», sagt er. Von der jugendlichen Unbeschwertheit direkt in die Verantwortung für die Bewachung und Sicherheit des Papstes, das sei durchaus eine Herausforderung für einen jungen Menschen, vor allem auch, was das diplomatische Gespür für eine solche Aufgabe betreffe. Auch menschlich habe ihn die Zeit in Rom geprägt: «Es sind Freundschaften fürs Leben entstanden.»
Siedler ist in den Momenten, in denen er seine Geschichte erzählt, virtuell von der Schweizergarde umgeben. In Pratteln läuft seit dem vergangenen Wochenende die Berufsausstellung «Päpstliche Schweizergarde» (siehe Kasten). Viele Erinnerungen steigen auf und auch der eine oder andere Überraschungsmoment, wenn Heinz Simonet, der Kurator der einzigartigen Ausstellung, zu jedem Exponat eine Geschichte zu erzählen weiss und ab und zu eine Frage an den ehemaligen Gardisten richtet, die neben den richtigen Antworten ab und an auch ein fragendes Anheben der Schultern auslöst. «Es gibt so vieles, das man im Vatikan sieht und erlebt, man kann sich nicht alles merken», sagt Siedler.
Der Coup mit dem Papamobil
Die Ausstellung in der Galerie des Unternehmers und Kunstliebhabers Hermann Alexander Beyeler ist in verschiedene Kabinette zu Geschichte, Kunst, Bewaffnung, Ausrüstung und zu den Nebenaktivitäten der Schweizergarde eingeteilt. Dazu zeigt sie als Highlight das «Papamobil» von Papst Benedikt aus dem Jahr 2012, das mittlerweile bei Mercedes-Benz in Stuttgart eingelagert ist, aber noch nie ausserhalb öffentlich gezeigt wurde.
Um es in die Ausstellung integrieren zu können, musste eigens eine spezielle Aussparung aus der Wand gebrochen werden. «Probesitzen ist leider ausdrücklich verboten», entschuldigt sich Simonet, der mit seinen Kontakten und seiner Hartnäckigkeit innerhalb nur eines halben Jahres Raritäten aus dem Vatikan, der Armeria oder den diversen Museen nach Pratteln schaffen konnte, die noch nie ausserhalb gezeigt werden konnten. Dazu gehören eine Soutane von Papst Johannes Paul II., die dieser bis zu seinem Tod getragen hat, ein Originalschriftstück aus den Frühzeiten der Schweizergarde, eine über 200-jährige Papstkrone (Tiara), ein Rosenkranz von 1820 oder zahlreiche Uniformen und Rüstungen (Harnische) der Schweizergarde. Im Zentrum der Ausstellung ist eine Vereidigung der Schweizergarde nachgebildet, die Originalfahne der Garde ist als Replikat zu sehen.
Teil der Ausstellung ist auch eine Projektidee zum Neubau der Kaserne für die Schweizergarde im Vatikan. Die Unterkunft, die sich Siedler zu seiner Zeit mit einem Kollegen teilte, sei sehr einfach und eng gewesen, «uralt», um es in seinen Worten auszudrücken. Ein Neubau für rund 50 Millionen Franken soll dies nun ändern, finanziert werden muss dieser indes einzig aus Mitteln der Stiftungen der Schweizergarde, wie Siedler weiss. «Etwas schade an diesem Projekt finde ich nur, dass künftig nur noch Einzelzimmer zur Verfügung stehen sollen.» Das Gemeinschaftliche ist eine der prägenden Erinnerungen, die Siedler an seine Zeit im Vatikan hat. Er spielte auch regelmässig mit dem FC Guardia in der vatikanischen Fussballmeisterschaft – als Libero, den es dort noch gibt.
Maurer, Parmelin, Amherd
Als die Zeit im Vatikan ablief, erhielt Martin Siedler vom damaligen Bundesrat Ueli Maurer die Chance, ihm künftig als Weibel zur Verfügung zu stehen.
Maurer hatte gute Erfahrungen auf dieser Position mit einem anderen Gardisten gemacht.
«Als Gardist gibt es drei sehr wichtige Eigenschaften: Loyalität,Verschwiegenheit und Belastbarkeit», sagt Siedler. Genau diese Tugenden sind auch als Bundesratsweibel gefragt – nach diesen suchte Maurer.
Sein Einstieg in der neuen Funktion war intensiv: Er musste den ganzen politischen Betrieb in Bern kennenlernen, es war das Präsidialjahr von Ueli Maurer mit vielen repräsentativen Pflichten. «Als Weibel ist man einem Bundesrat am nächsten, hat das Büro gleich nebenan und bekommt nahezu alles mit.» Auch private Dinge eines Bundesrates sind zu erledigen, und die Verfügbarkeit muss immer gewährleistet sein. Ein fordernder Job. Mit dem Wechsel zu Guy Parmelin kam die sprachliche Komponente dazu. Seit der Wahl von Viola Amherd als Bundesrätin und Vorsteherin des VBS ist Martin Siedler ihr Weibel. «Wir haben uns nach einem Gespräch sofort gefunden.»
Als er im Jahr 2013 aus der Schweizergarde austrat und seine Stelle als Bundesratsweibel annahm, nahm ihn Ueli Maurer für die Vereidigung der nächsten Gardisten mit in den Vatikan. Siedler trug die rot-weisse Uniform des Bundesratsweibels und sah sich in die eigene Vergangenheit zurückversetzt. Bei der Audienz beim Papst waren auch seine Eltern dabei. Ein prägender Moment, genauso wie jene zwei Monate, in denen er als Gardist mit Papst Benedikt XVI. die Ferien verbrachte.
Die Ausstellung in Pratteln
ds. Religion hat den Immobilienunternehmer Hermann Alexander Beyeler schon immer interessiert. Er wuchs sowohl katholisch wie russisch-orthodox auf. In seiner Galerie «Collection Beyeler» in Pratteln zeigte er in diesem Frühjahr die monumentale Ausstellung «Leiden Christi», nun läuft noch bis zum 30. November die Berufsausstellung «Päpstliche Schweizergarde», die mit einzigartigen Exponaten und wohl konzipiert einen so noch nie präsentierten Überblick über die Geschichte und die Hintergründe der Schweizergarde gibt.
Beyeler, der sich selbst als «Ideenproduzent» bezeichnet und im Zusammenhang mit der aktuellen Ausstellung den Begriff «vatikantastisch» erfunden hat, möchte demnächst auch Ausstellungen zum Schweizer Zoll oder zu den Verbindungspunkten zwischen russisch-orthodoxer und katholischer Kirche realisieren lassen. Zu diesem Zweck greift er gerne auf die kuratorischen Fähigkeiten des Birsfelder Bauunternehmers Heinz Simonet zurück, der auch für die aktuelle Ausstellung verantwortlich zeichnet und für das laufende Projekt auf grosse Unterstützung des Schweizergarde-Kommandanten Christoph Graf und Kardinal Rudolf Koletzko zählen konnte.
Simonet war in den vergangenen Monaten mehrmals im Vatikan, um die nicht unkomplizierten Freigaben für Exponate zu erlangen. Drei Lastwagen mit Material wurden für die Ausstellung nach Pratteln gefahren, bei nicht ganz simplen Export- und Zollbestimmungen. Die Ausstellung, zu der der Eintritt kostenlos ist, soll junge Männer zur Bewerbung für die Schweizergarde bewegen, aber auch generell hinter die Kulissen dieser faszinierenden Organisation blicken lassen.
Sie wird begleitet von einer Talk- und Eventreihe jeweils an den Samstagmorgen bis zum 30. November. Dann muss die Ausstellung geschlossen sein, weil viele der Exponate zur Weihnachtszeit wieder im Vatikan gebraucht werden.
Mehr Informationen unter www.kunstundkulturregionbasel.ch
Die Schweizergarde
ds. Die päpstliche Schweizergarde wurde 1506 durch den damaligen Papst Julius II. gegründet. Heute hat sie einen Bestand von 135 Mann, rund die Hälfte davon ist als Offiziere und Unteroffiziere professionell tätig, dazu kommen 78 Hellebardiere, die zahlreiche Aufnahmekriterien erfüllen, eine Rekrutenschule absolvieren und sich für mindestens 26 Monate verpflichten müssen. Zu ihnen zählte auch der Oberbaselbieter Martin Siedler. Die Vereidigung der neuen Rekruten findet jedes Jahr am 6. Mai, dem Jahrestag der Plünderung Roms, statt. Zum 500-Jahre-Jubiläum der Schweizergarde fand sie 2006 einmalig auf dem Petersplatz statt. Die Gardefahne, die in der derzeitigen Ausstellung in Pratteln in einem Replikat in der nachgestellten Vereidigungsprozedur zu sehen ist, ist durch ein weisses Kreuz in vier Felder geteilt, die den Gründerpapst Julius II., den amtierenden Papst Franziskus sowie in den weiteren Feldern die Farben der Schweizergarde, Blau, Rot und Gelb, zeigen. Seit 2015 ist Christoph Graf der Kommandant der Schweizergarde. Dass es sie nach fünf Jahrhunderten immer noch gibt, schreibt Martin Siedler einer einfachen Gegebenheit zu: «Die Gardisten interessieren sich weniger für die Hierarchien und die Gangdiplomatie im Vatikan. Sie setzen ganz einfach ihren Auftrag um. Und dafür sind wir Schweizer sehr geeignet.»